Der Begriff der Religion im System der Philosophie. Hermann Cohen

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Der Begriff der Religion im System der Philosophie - Hermann Cohen


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die Logik etwa nur für die mathematische Naturwissenschaft vorhanden, oder wäre sie bei den Geisteswissenschaften nur die negative Vorbedingung, die positiv durch die Ethik zu ersetzen wäre, oder hätte diese selbst mit der Logik gar keinen positiven Zusammenhang?

      Und andererseits, faßt die Ethik allein und ausschließlich alle Probleme der sittlichen Erkenntnis, alle Aufgaben der Wahrheit in sich? Dann wäre die Religion aus dem Gebiete der Philosophie ausgeschlossen, dem sie ja nur auf Grund ihres Zusammenhangs mit den aus der Ethik abzweigenden Geisteswissenschaften angehören kann. Ihr Zusammenhang mit der Ethik mithin bedingt zugleich ihren Zusammenhang mit der Logik.

      2. Aber auch der Zusammenhang mit der Ethik ist ja gar nicht über allen Zweifel sichergestellt. An dem Problem der Metaphysik hat sich uns dies schon aufgedeckt. Die Frage der Selbständigkeit will hier über die der Eigenart entscheiden. Da aber die Selbständigkeit der Religion der Ethik gegenüber keinen zulässigen Sinn mehr haben kann, so kann die Eigenart nur in den Fragen Problem werden, welche den Begriff des Sittlichen scheinbar über die Ethik hinaus zur Bestimmung bringen, sei es daß sie den Umfang des Begriffs erweitern, sei es seinen Inhalt verengen. Immer bildet das Sittliche der Ethik die Grundlage und die Voraussetzung des Lehrstoffs und des eingeteilten Stoffgebietes. Wenn jedoch diese Voraussetzung der Ethik uneingeschränkt für die Religion zu gelten hat, so bleibt in aller Kraft die Frage bestehen: durch die Hinzufügung welcher Begriffe und welcher Bestimmungen ihres Anwendungsgebietes nicht zwar über das Sittliche hinaus, sondern am Sittlichen selbst die Religion die Eigenart eines einen eigenen Inhalt rein erzeugenden Bewußtseins zu gewinnen vermag.

      3. Daß zwischen Kunst und Religion Beziehungen obwalten, und demgemäß zwischen Ästhetik und Religion ein Verhältnis zu bestimmen sein werde, das setzt die einfachste Überlegung außer Zweifel. Denn alle Gebiete der Kunst berühren diese Grenze. Früher als Herrensitze errichtet die Baukunst Göttertempel. Und dieselbe Priorität vollzieht sich in der Plastik. Nicht allein Homer hat den Griechen ihre Götter gegeben, sondern auch Phidias ist an ihrer Entwicklung beteiligt, wennschon das Epos sie erschaffen haben mag. Aber auch das Drama, ja sogar auch die Lyrik ist eine Mitschöpferin der Religion; dafür genügt der Gedanke an die Psalmen.

      4. Und was sich historisch so leicht überschauen läßt, das wird durch die schlichteste Erwägung bestätigt. Wenn anders im Unterschiede von Erkenntnis und Willen das Gefühl die Richtung bezeichnet, kraft deren das Bewußtsein alle Kunstgebilde hervorruft, so kann man den Inhalt dieses Gefühls noch so unbestimmt denken, ja dieses Gefühl selbst, als eine Kraft des Bewußtseins, noch so allgemein fassen: man wird dennoch in dem Gefühl und seinem unmittelbaren Inhalt die Beziehung zur Religion als eine natürliche, unausweichliche, unersetzliche ansehen, wie unbestimmt immer man den Begriff der Religion auch denken mag. Auch der Anspruch der Metaphysik auf die Religion gründet sich nicht zuletzt auf diese universelle Beziehung der Religion zur Kunst, durch die sie erst ihre Universalität, die in alle Gebiete des Bewußtseins eingreift, gewinnt und begründet.

      5. Dieser Zusammenhang ist ein so intimer, daß daraus eine besondere Schwierigkeit entstanden ist, nämlich eine Kollision der Mittel, die für die systematische Begründung der Religion verfügbar sind. Wie die Kunst auf das Gefühl begründet wird, so beruft sich auch die Religion auf das Gefühl. Dasselbe Gefühl kann jedoch nicht zwei Probleme der Systematik vertreten. Wenn aber dennoch die Religion das Gefühl in Anspruch nimmt, so erweist sich in diesem Anspruch auf geradem Wege der innere Zusammenhang, der zwischen Religion und Kunst besteht. Aber es entsteht daraus für die systematische Begründung der Religion eine schwere Gefahr. Bevor wir indessen mit dieser Frage uns befassen, verfolgen wir zunächst weiter die Aufgabe der systematischen Begründung.

      6. Die Schwierigkeit, die zwischen Religion und Kunstgefühl sich gezeigt hat, leitet uns zu einer allgemeineren Erwägung der Schwierigkeiten hinüber, die für die systematische Begründung der Religion überwunden werden müssen. Es bestehen nämlich nicht nur mit allen Richtungen des reinen Bewußtseins Berührungen der Religion, sondern diese Berührungen sind genauer so zu verstehen, daß sie einen Teil des Inhalts zur Deckung bringen. Daher scheint kein eigenes Problem für die Religion übrigzubleiben. Sie ist ja in allen Richtungen schon enthalten, sofern sie sich mit ihnen berührt. Man nimmt keine Latenz an, und es scheint daher, daß sie in allen schon sich entfaltet habe, und daß sie somit als eigene Richtung erledigt sei.

      Diese Inhaltsgleichheit zeigt sich schon an dem allgemeinen Problem der Wahrheit, diesem gemeinsamen Zielpunkt aller systematischen Richtungen. Wir sagten schon, daß sich ohne dieses Ziel kein Zusammenhang zwischen Religion und Philosophie herstellen lasse. Das Apriori der Religion muß das Fundament auch dieser philosophischen Methodik bilden. Und durch dieses Apriori ist die Religion mit der Erkenntnis verbunden. Alle Bedenken dagegen müssen auf Mißverständnissen beruhen. Die Religion würde allen echten Kulturwert einbüßen, wenn sie der Gemeinschaft mit der Erkenntnis entrissen würde. Wenn aber ihr Zusammenhang mit der Erkenntnis unlösbar ist, so ist damit ihr Zusammenhang mit der Logik in aller Strenge befestigt.

      7. Welche Bedenken könnten denn dagegen sich erheben, daß die gemeinsame Grundlage des wissenschaftlichen Denkens auch für die Religion als Vorbedingung gelten müsse? Es ist doch wohl gar nicht anders zu verstehen, als daß die Einwände gegen diese Grundforderung von Zielpunkten herkommen, welche der gesamten Richtung der wissenschaftlichen Philosophie zuwiderlaufen.

      Wenn die Intuition dem Denken der Erkenntnis entgegengestellt wird, so hat darauf schon Mephisto geantwortet: verachte nur Vernunft und Wissenschaft. Die Vernunft ist die Vernunft der Wissenschaft. Und wenn anders die Religion auf Vernunft beruhen soll, so kann es für sie keine andere Unterlage geben als die Wissenschaft, und kein anderes Instrument und Organ als die Erkenntnis. Die Prediger der Intuition braucht man nicht erst an ihren Früchten zu erkennen; sie enthüllen sich genugsam in ihrer Aussaat, bei der sie die Pflugschar der Erkenntnis nicht sowohl verschmähen, als vielmehr mißbrauchen. Die Verächter der Wissenschaft sind die schlimmsten Feinde der Religion.

      8. Gehen wir nunmehr zur Betrachtung des Inhalts über, den die Religion zur Erzeugung haben kann, und der ihr dennoch mit den drei Gliedern des Systems gemeinsam sein soll, so muß dieser Inhalt samt und sonders an den Begriffen Gott und Mensch zur Gestaltung kommen. Vielleicht zwar ist es nicht durchaus notwendig, daß der Inhalt der Religion schlechthin identisch werde mit den Begriffen von Gott und Mensch. Vielleicht ist es daher schon nicht richtig, mit der Ausschließung Gottes die Religion aufzuheben. Und vielleicht könnte man diese Konsequenz noch dahin steigern, daß es sogar nicht durchaus notwendig sei, mit der Ausschließung des Menschen die Religion aufzuheben. Aber man müßte dann eben für Gott, sowie für den Menschen, Begriffe einsetzen können, welche den homogenen Inhalt der Religion bilden würden. Und dann würde die Frage entstehen, in welchem Sinne und Grade der Gleichartigkeit diese eingesetzten Grundbegriffe zu denen von Gott und Mensch schließlich in Relation ständen.

      9. Als solche Grundbegriffe der Religion von weiterem Umfang könnten gedacht werden für Gott das Universum, und für den Menschen die Seele. Wenn man aber mit diesen Begriffen die Religion entwickeln wollte, so würden wir sehen, daß auch von hier aus zu Gott und Mensch der Weg hinausführt. Und wir wollen zunächst sehen, daß bei dem Anfang mit dem Universum und der Seele von vornherein und prinzipiell der Weg der Erkenntnis beschritten wird.

      10. Um uns für diesen Leitgedanken auf die richtige Fährte zu bringen, bleiben wir nicht bei den Verallgemeinerungen stehen, die Universum und Seele bilden, sondern halten uns an den noch allgemeineren Begriff, der der Grundbegriff aller Philosophie für alle ihre Grundrichtungen ist, und der daher auch am besten beweisen kann, daß die Religion zur Philosophie gehört, wenn sie auch zu diesem Grundbegriffe gehörig ist, wenn sie zum mindesten an dem Problem jenes Grundbegriffes einen natürlichen und unbestreitbaren Anteil hat.

       Ein solcher Grundbegriff ist der des Seins.

      Für


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