Der Begriff der Religion im System der Philosophie. Hermann Cohen

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Der Begriff der Religion im System der Philosophie - Hermann Cohen


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der Tatsachen unter dem Gesichtspunkte der Zugehörigkeit zu ordnen erdacht wird?

      2. So ist in der neueren Zeit die Religionsgeschichte in Aufschwung gekommen, nicht nur kraft des Gewichtes ihres neuen Materials nebst den Einsichten, die dabei mit aufkamen, sondern auch in einem ernsthaften Gegensatze zu aller bisherigen Art, das Faktum der Religion zu erhellen und zu würdigen.

      3. Die bisherige Art, die Religion zu beurteilen, war freilich keineswegs eine einheitliche; sie war sogar von einem inneren Widerspruch zentraler Kulturmotive beherrscht: sie war nämlich einerseits innerhalb der Religion selbst, wie als eine Entwickelung und Pflege derselben entstanden und fortgeführt, andererseits aber war sie auf dem Acker der Philosophie gesät und dort gepflügt worden.

      Und damit erschöpft sich der Gegensatz noch nicht; denn es ist noch hinzuzunehmen, daß, was im Gebiete der Philosophie entstanden war, auf das der Religion verpflanzt wurde. Man muß daher vielleicht von vornherein ins Auge fassen, daß auch rein religiöses Arbeitsgut in die Philosophie eingeschlichen war, oder gar mit Bewußtsein und Nachdruck von ihr übernommen wurde. So durchschlingen sich hier die Probleme und daher wohl auch die Methoden in Religion und Philosophie.

      Schwierige Kreuzungen und Verwirrungen waren dabei unvermeidlich; sie sind ja überall so schwer zu überwinden, wo immer die Grenzfrage zwischen irgendeiner Wissenschaft und der Philosophie erhoben wird. Überall scheint der eine Ausweg nur übrigzubleiben: daß man allein von der Philosophie aus den Begriff einer jeden Wissenschaft, als solcher, zu bilden vermöge. Es dürfte nicht anders stehen bei den Fragen um den Begriff der Mathematik, wie auch um den der Rechtswissenschaft.

      So wird es denn begreiflich, daß die Religionsgeschichte wie eine neue Offenbarung erscheinen mochte. Denn die beiden Arten, sich mit der Religion in Verhältnis zu setzen, haben beide Schiffbruch erlitten: sowohl die Philosophie innerhalb der angeblich selbständigen Glaubenslehre, wie die in der Religionsphilosophie, in welcher die Religion selbst durch Philosophie gebunden war. Beide litten an dem allgemeinen Fehler der Deduktion: an der dogmatischen Voraussetzung eines Begriffs der Religion.

      Und dabei hatte sich die Philosophie nicht weniger befangen gezeigt als die Religion. Diese konnte sich in den neueren Zeiten noch den Schein historischer Entwicklung beilegen, indem sie das Spätere als das Wahrere erkennen ließ, während die Religionsphilosophie, von der anerkannten Absolutheit ihrer Methode getragen, auch dem Begriffe der Religion an dieser Absolutheit Anteil verlieh.

      Die Falschheit der Deduktion schien auch hier ihren Gipfel zu erreichen. Die Religion schien hier aller Bestimmtheit ihres Inhalts verlustig zu gehen. Nur auf die Bergung der Religion im Gesamtgehalt der philosophischen Wahrheiten schien es abgesehen zu sein, mochte darüber immerhin der Sondergehalt der Religion verdunkelt werden und verlorengehen. Wenn nur nach der allgemeinen Schablone das Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt auch hier zur Aufstellung kommen kann, so ist mit dem durchherrschenden Grundbegriffe dem Problem der Religion Genüge geschehen.

      So standen die Dinge in der Blüte der Religionsphilosophie, die aus Hegels System bei seinen Nachfolgern aufging.

      4. Es war begreiflich, daß auf dem Boden der Theologie selbst ein scharfes Mißtrauen und Unbehagen an dieser Metaphysik der Religion entstehen konnte. Und der Grund dieser Abweisung war nicht dahin mißzuverstehen, als ob er auf der Abneigung gegen Philosophie überhaupt beruhte. Albrecht Ritschl hatte gegen die Metaphysik die kritische Philosophie angerufen. Damit war gegen die Unklarheiten, die mit dem Schicksal der Metaphysik verbunden sind, die Heerstraße der Ethik freigemacht für den selbständigen Weg, den nunmehr die Religion geführt werden sollte, den sie jetzt erst einschlagen konnte. Aber jetzt zeigte es sich, daß die Notlage der Religion mehr in der Philosophie als in der Theologie wurzelt.

      Als Ritschl an die Ethik Kants sich anschloß, konnten nur diejenigen seine wahrhaften Anhänger werden, die die philosophische Reife hatten, die Ethik Kants in ihrer vollen Systematik zu begreifen und ihr Begriffsspiel zu beherrschen. Für diese Wenigen war ein genau begrenzter begrifflicher Ausgangspunkt gewonnen, von dem aus die Spekulation ihren methodischen Weg nehmen konnte, um die Eigenart und die Selbständigkeit der Religion sicherzustellen. Denn der Leitgedanke war sicherlich ein richtiger, der die Selbständigkeit oder zum mindesten die Eigenart der Religion zum Problem machte.

      Über diese engere Frage war noch keine Entscheidung getroffen worden. Die Hauptfrage mußte erst gestellt und durchberaten werden: wie steht es um das Verhältnis zwischen Religion und Ethik? Nur auf Grund dieser Verhältnisbestimmung konnte die Forderung aufrechterhalten werden, den Begriff der Religion in ihrer Eigenart zu bestimmen.

      5. Es braucht nur auf die leidige Tatsache hingewiesen zu werden, daß die Weisheit Kants keineswegs zum Gemeingut unserer wissenschaftlichen Kultur geworden ist; nicht einmal in der streng theoretischen, geschweige auf den schweifenden Gebieten einer logischen Methodik. Und doch muß man zum Ruhme der protestantischen Theologie es anerkennen, daß sie vor allen Geisteswissenschaften sich ausgezeichnet hat durch das Eindringen in den letzten ethischen Sinn der Kantischen Lehre, während man gemeinhin den kategorischen Imperativ nicht um den Erweis seiner Wahrheit befragte, ohne den er aber eine stumpfe, wenn auch blinkende Waffe bleibt.

      So konnte es denn kommen, daß die Religionsgeschichte in eine Aufnahme kam, die sich beinahe mehr gegen die Philosophie und ihre Ethik als gegen die Theologie richtete: die ohnehin dadurch nicht allein in ihrer Dogmatik angegriffen wurde, sondern nicht minder auch in ihren beiden Sektionen biblischer Exegese. Und wenn man hier einwenden wollte, daß diese beiden Exegesen auf einen Religionsbegriff beschränkt seien, der jenen beiden Urkunden entspricht, so kann auch dieser Einwand nicht der Religionsgeschichte zustatten kommen. Denn dieses Entsprechen ist keine einfache Sache, die sich nur dem Buchstaben nach aus jenen Urkunden herauslesen und deuten ließe. Dem widerspricht schon die Zweiheit dieser Urkunden, deren Einheit keineswegs gegeben ist, die vielmehr ebensosehr ein vorausgesetzter Leitbegriff ist, wie der ihr entsprechende Religionsbegriff, oder aber wie die beiden Religionsbegriffe selbst es sind, die jenen beiden Urkunden entsprechen.

      So ist bei der biblischen Exegese der Religionsbegriff immer ein deduktives Problem, das als solches gedacht und formuliert werden muß, wenn die biblische Exegese es gleichsam induktiv bestätigen soll. Schon daß der Begriff Gottes oder gar des einzigen Gottes hier die Voraussetzung bildet, bindet den Religionsbegriff an sie.

      6. Die Religionsgeschichte hingegen geht nicht bloß nicht von Gott aus und nicht von den Göttern, sondern sie erweitert den Begriff des Göttlichen durch eine Erweiterung des Seelischen über das gesamte Gebiet der Natur- und Menschenwelt hinaus. Man könnte die Religionsgeschichte geradezu auch Seelengeschichte nennen; denn das ganze Gebiet des Seelenglaubens und Aberglaubens wird hier zum Bereiche der Religion. Der Fetisch, das Tabu, der Totem, sie alle werden mit dem allgemeinen Dämonenglauben zusammengeführt; und ebenso auch das Tier- und das Menschenopfer zugleich mit dem Hymnus und dem Gebet.

      Auch der Kultus nämlich läßt sich nicht als ein unterscheidendes Kriterium festhalten. Auch in ihm gehen die Völker in eine allgemeine Harmonie zusammen, die Inder und die Chinesen, die Ägypter und die Babylonier, die Griechen und die Israeliten, sie alle vereinigt auch im Kultus derselbe Religionsbegriff, der für die Religionsgeschichte überall ein ungelöstes Fragezeichen bleibt. Und es kann nicht anders sein: wo alles Menschliche und alles Göttliche in dem Begriffe alles Seelischen zusammengefaßt ist, da kann nichts Spezifisches übrigbleiben für den Begriff der Religion: die in Seelenkultus über- und untergegangen ist.

      7. Der genauere Nachweis dieses Urteils kann hier nicht angestrebt werden, nämlich nicht in einer eingehenden Kritik der religionsgeschichtlichen Forschung und ihrer Probleme; er soll positiv hier durch die Begründung des Religionsbegriffs erbracht werden. Zur Orientierung nur sei auf die Analogie hingewiesen, welche in dem Verhältnis der Ethik zur Soziologie besteht. Auch von dieser darf


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