Seegeschichte-Sammelband: Die Abenteuer berühmter Seehelden, Epische Seeschlachten & Erzählungen. Heinrich Smidt
Читать онлайн книгу.Unter der Wucht des riesigen Bogens seufzte die mittlere Saite. Sie setzte dem Druck des Tyrannen lebhaften Widerstand entgegen und zersprang mit gellendem Mißton. Inmitten dieser Katastrophe rauschte der Vorhang in die Höhe.
»Nun geht es los!« sagte Meister Lorenz zu seiner Schwester. »Mir ist ordentlich angst und bange.«
»Meinst du, daß ich auf einem Daunenkissen sitze?« gab ihm die Straußin zurück. »Aber gnade Gott der Dirne, wenn ich sie erst in meiner Gewalt habe. Zu dir in's Haus kommt sie nicht wieder.«
»Ich will sie nach der Schande gar nicht wieder haben,« entgegnete der Meister. »Aber ich bilde mir noch immer ein, daß die alte Petersen gelogen hat, und dann will ich dich recht auslachen.«
Das künftige Gelächter wurde von dem hellen Lachen der Gegenwart überboten. Es galt dem Perinus, der mit dem Cesario das Theater betrat, an diesem vorüber mit einem halben Purzelbaum bis an den Souffleurkasten sprang und das Publikum angrinste. Stranitzki war der erklärte Liebling der lachlustigen Hamburger jener Tage. Jedes Wort, das er sprach, wurde bejubelt. Die Reden des Prinzen gingen spurlos vorüber. Lorenz und seine Schwester sahen sich an. Sie fanden sich in einer fremden Welt.
Die Szene wechselte und die männerfeindliche Fürstin erschien mit ihren Damen. Bei dem Anblick der Frauengestalten fuhren beide rasch in die Höhe.
»Sitzen bleiben! Sitzen bleiben!« erschallte es hinter ihnen und beide, von kräftigen Händen dazu ermuntert, fielen auf ihre Bank zurück.
»Sie ist nicht dabei!« sagte die Straußin.
»Die Petersen ist ein verlogenes Mensch!« brummte Meister Lorenz.
Aber in demselben Augenblick flog ein allgemeines Ach! durch die Versammlung. Dorine, das lustige, übermütige Kammermädchen, hüpfte herein und erregte durch ihre Schönheit einen allgemeinen Aufstand. Die ersten Worte verrieten einige Befangenheit; aber eben dieses unwillkürliche Zögern der Zunge verlieh ihr einen neuen Reiz und bald flossen die Worte wie Perlen aus ihrem Munde. Um die Lippen schwebte ein schelmisches Lächeln und ein reizender Mutwille blickte aus ihren Augen.
»Da ist sie!« riefen die Geschwister wie aus einem Munde.
»Versteht sich!« sagte ihr Nachbar. »Wer sollte es sonst sein?«
»Es ist das Unglückskind!« schrie die Straußin. »Welche Schande für unser Haus!«
»Herunter da, du Teufelskind!« rief Meister Lorenz aufspringend und die drohende Faust erhebend. »Gott sei dir gnädig, wenn du dich unterstehst, noch ein Wort zu sprechen.«
Vergeblich suchten die Zunächstsitzenden die Lärmenden zu beschwichtigen. Die Geschwister wehrten sich aus Leibeskräften. Das Publikum, welches weiter zurücksaß, gebot Ruhe. Man sprang von den Bänken und aus dieselben, um besser zu sehen, was vorne vorging. Die muntern Burschen und Winkeljungen auf dem Vierschillings-Platz lachten, kreischten und pfiffen. Es entstand ein Höllenlärm.
Auf der Bühne war die Verwirrung nicht geringer, als vor derselben. Der Graf im purpurgetränkten Friesmantel rieb sich die Hände und sagte: »das sind meine Freunde aus dem Bremer Schlüssel!« Die männerfeindliche Gräfin lachte die Maienblüte höhnisch an, welche sie für immer vernichtet glaubte, und drehte ihr verächtlich den Rücken, als Dunkelschön aus der Kulisse hervorstürzte und die Geliebte, die sich nicht auf den Füßen halten konnte, mit seinen Armen auffing und fest an sich drückte.
Scheinbar hatten sich die Geschwister der stürmischen Mehrheit gefügt und geschwiegen. Allein bei diesem Anblick begann der Lärm aufs neue und Frau Straußin rief:
»Bruder Lorenz, das ist der Kerl!«
Ich will hinauf und ihn durchwamsen!« entgegnete Meister Lorenz.
»Hinaus! Hinaus!« rief es wie im Donnersturm und von allen Seiten geschah der Angriff zur gleichen Zeit. Meister Lorenz wehrte sich aus allen Kräften, aber als nun der Flötenbläser und der Trommelschläger vom Orchester aus das Angriffskorps verstärkten, mußte er der Uebermacht weichen. Dem Ausgange nahe, riß er sich nochmals los und gegen das Theater gewendet, rief er mit kreischender Stimme:
»Christine! Du Unglückskind! Ich verstoße und verfluche dich! Fahre in Jammer und Not dahin und verende am Wege!«
»Das ist meines Oheims Stimme!« schrie die Maienblüte entsetzt. »Er hat mich verflucht und vermaledeiet.«
Sie schloß die Augen. Die ganze Gesellschaft umringte die Ohnmächtige.
»Bringt mich hinauf zu ihr!« rief die Straußin, die noch immer tapfer Widerstand leistete, als ihr Bruder schon hinausgeschafft war. »Ich will sie bei den Haaren hinter mir herschleppen!«
Prinzipal Pandsen war in Verzweiflung. Er sann auf hundert Mittel, versuchte aber keines, um den steigenden Tumult zu wehren. Jetzt stürzte er auf das Theater und schrie:
»Den Vorhang herunter! Den Vorhang herunter!« Die Gardine rauschte nieder. Die männerfeindliche Gräfin, die kaum das Licht der Lampen erblickte, war vor dem Schlusse des ersten Aktes Todes verblichen.
Die Wirtin zum holländischen Oxhoft, welche mit Argusaugen ihr Eigentum bewachte, hatte in Folge einer Meldung des gegenüberliegenden Bremer Schlüssels einige Vorkehrungen getroffen, ohne an den stattgehabten Zwischenfall im geringsten zu denken. Ein Piket Stadtsoldaten erschien in dem Parterre des Theaters, besetzte den Zugang zur Bühne, welche niemand verlassen durfte, bis das Publikum aus demselben entfernt wurde. Tumultuarisch entfernte sich dasselbe mit Pfeifen und Schreien.
Der Verfasser des verunglückten Lustspiels war in Verzweiflung. Er bedeckte das Gesicht mit den Händen und wußte sich vor Betrübnis nicht zu lassen. Stranitzki, in der gepufften Hanswurstjacke, stand vor ihm, schnitt eines seiner tollsten Gesichter und sagte so gutmütig, als es ihm möglich war:
»Tröste sich der Herr. Es wäre ohnehin mit dem Stücke nicht gegangen, und ob es nun ein bissel früher begraben ist, als sonst geschehen wäre, das muß den Herrn nicht kümmern.«
»Es ist meine verdiente Strafe!« murmelte er vor sich hin. »Mein Herz hat seinen Stachel für das Leben!«
»Mir ist's nur leid, daß ich nicht Zeit hatte, meinen Witz von dem spanischen Wind anzubringen,« sagte Stranitzki. »Der hätte uns wieder auf die Beine geholfen.«
»Wie sie toben und wüten!« sagte der Dichter mit leisem Zittern.
»Ja, wenn die einmal anfangen, kriegt sie keiner so bald still!«
In ihrer Nähe stampfte es auf, daß der Boden erdröhnte.
»Weh uns! Was ist das?«
»Das sind die Soldaten, welche die Gewehre absetzen. Das Theater ist vom Zuschauerraum abgesperrt, allein es sollte mich nicht wundern, wenn einige tolle Burschen dennoch den Weg hierher fänden.«
»Und was würde aus mir? ...« Er vollendete die Rede nicht, denn der Courtisan unterbrach ihn:
»Ja, es wäre allerdings schlimm, wenn sie einen Herrn, wie der Herr ist, hier fänden. Das würde ein großes Gerede geben. Nun, ich kenne die Schlupfwinkel, und wenn der Herr sich nicht scheut, hier und dort durchzukriechen, bringe ich den Herrn ungesehen in das Vorderhaus, von wo der Herr dann ohne Hindernis gehen kann, wohin es beliebt. Gebe der Herr mir getrost die Hand. Es ist dunkel.«
Und der Hanswurst ergriff die Hand des Pfarrers und zog ihn hinter sich her.
Auf der Bühne lief der Direktor lamentierend auf und ab. Er fuhr alle an, die sich ihm näherten und wünschte dem Dunkelschön alle sieben Landplagen an den Hals. Durch die unsinnige Liebschaft, die er mit einem Bürgerkinde angezettelt, habe er sein Theater ruiniert; denn da die ganze Stadt sich gegen ihn erheben werde, müsse er mit einem weißen Stock in der Hand davongehen.
Dunkelschön hatte nicht Zeit, auf die Vorwürfe des Direktors zu antworten. Maienblüte war aus der Ohnmacht erwacht. Das Entsetzliche ihrer Lage ergriff sie mit voller Gewalt. Flehend bat sie den Geliebten mit überströmenden Augen, sie vor der ihr drohenden Mißhandlung zu schützen. Umsonst versuchte Dunkelschön,