Seegeschichte-Sammelband: Die Abenteuer berühmter Seehelden, Epische Seeschlachten & Erzählungen. Heinrich Smidt
Читать онлайн книгу.auf sie wartete, weiß ich auch nicht. Lasse die Frau mich los! Ich bin nicht Ihre Magd und Sie hat mir nichts zu befehlen!«
Die kräftige Dirne riß sich los und lief davon, indem sie aufschrie:
»Sie hat mir den Arm braun und blau gekniffen! Dafür soll Sie mit mir vor Gericht.«
Meister Lorenz stöhnte: »Was will mir das bedeuten? Christine! Dirne! Wohin kann sie sein?«
»Ich will es Dir sagen, wo sie ist!« rief Frau Straußin. »Zu den Komödianten in der Fuhlentwiete ist sie gelaufen. Die Petersen hat es gesagt.«
»Komme mir nicht wieder mit der alten Hexe!« eiferte der Meister. »Ich breche ihr den Hals, wenn sie mir in die Hände fällt.«
»Und doch hat dies alte Weib uns so gut bedient, daß wir verhindern können, öffentlich an den Schandpfahl gestellt zu werden. Sie soll heute Abend vor allem Volke auf dem Theater stehen und ihre Kunststücke machen. Gott erbarme sich! Ich hätte den Tod davon. Darum müssen wir es verhindern. Du so gut, als ich! Es ist unsere Schuldigkeit, sie vor dem zeitigen und ewigen Verderben zu erretten. Eile nur, denn wir müssen von Herodes zu Pilatus und Himmel und Erde in Bewegung setzen.
Dem Meister leuchtete es ein. Er warf seine Jahre und seine Gicht hinter sich, fuhr in den Sonntagsrock und stülpte den Dreimaster auf. Am Arm der Schwester verließ er das Haus und beide gingen zum Polizeiherrn.
Die Zeit verstrich, ohne daß sie sonderlich etwas ausrichteten. Hindernisse boten sich auf Hindernisse dar. Das Einzige, was geschah, bestand darin, daß der Prinzipal Pandsen befragt ward, ob sich unter seiner Bande eine Jungfer Christine Ramke befinde, welche er kürzlich angeworben, und die ein hiesiges Stadtkind sei. Die Antwort lautete, daß ein Frauenzimmer solches Namens nicht bei ihm weile. Alle Damen seines Theaters seien mit ihm von Bremen hierher gekommen und die einzige, welche in Hamburg zu der Gesellschaft getreten, sei ohne allen Anhang und heiße Jungfer Maienblüte.
Ein weiteres war für diesen Augenblick nicht zu erkunden. Die Schauspieler waren bereits in den Garderoben mit dem Ankleiden beschäftigt. Die Stunde der Aufführung rückte heran und das Publikum strömte in Massen herbei. Ein neues Stück, welches einen Pastor zum Verfasser haben sollte und eine neue Schauspielerin von unbekannter Herkunft und von ausgesuchter Schönheit: das sind zwei Eigenschaften, welche ein Publikum der Gegenwart, wie der Vergangenheit in einen gelinden Taumel versetzen.
»Geduld, meine Herren, Geduld!« sprach die Frau Wirtin vom holländischen Oxhoft, welche an der Kasse saß, mit flehender Stimme. »Hier sind drei Billets zum ersten Platz. Achtundvierzig Schilling, wenn die Herren so gut sein wollen! – Vierschillings-Plätze sind nicht mehr!«
»Billets! Billets!« rief es durcheinander. Das Publikum vor der Kasse geriet in einige Kollision mit sich selbst. Es war ein bewegliches, inhaltreiches Vorspiel, welches sich hier entwickelte.
»Greife in die Tasche, Bruder!« entschied Frau Straußin. »Wir wollen mit eigenen Augen uns von der Schande überzeugen, die über uns ausgegossen wird.«
»Das wollen wir!« sagte Meister Lorenz desperat und steuerte mit seinen schweren Beinen der Kasse zu, die noch immer umlagert wurde.
Die Frau Wirtin fürchtete, dem Sturm zu erliegen und sagte mit versetztem Atem:
»Die Achtschillings-Plätze sind auch alle. Nur noch ein Paar Billets zum ersten Platz.«
»Die gehören mir!« schrie Meister Lorenz, der glücklich alle Schwierigkeiten überwunden hatte. »Her mit den Dingern! Hier ist das Geld.«
Die Straußin war ihm auf dem Fuße gefolgt. Beide verschwanden unter der Menge, die in das Parterre drang.
Das Innere des Zuschauerraumes war wenig einladend. Der nicht allzugroße Raum wurde mit Talglichtern notdürftig erhellt. Die Wände zeigten ein schmutziges Grau. Von der Decke herab hing eine aus Tonnenreifen und welkem Laube zusammengefügte Krone, an welcher einige farbige Lampen, wie verlöschende Lichtfunken glühten. Das sogenannte Parterre war mit hölzernen Bänken besetzt; die vordersten Reihen hatten Lehnen und bildeten den ersten, die übrigen waren ohne Lehnen und bildeten den zweiten Platz. Im Hintergrunde drängten sich auf einer roh zusammengezimmerten Estrade die Inhaber der Vierschillings-Billets.
Rechts und links vom Souffleurkasten standen je sechs Lichter. Der Arbeitsmann, welcher sie anzündete, wurde mit lautem Applause von dem Publikum begrüßt. Er schwenkte zum Dank seine Mütze und schwatzte gemütlich mit den sechs Musikanten, welche das Orchester vorstellten. Der Vorhang zeigte einen großen Apfelbaum, um dessen Stamm sich eine Schlange wand. Unter dem Baume stand Eva und ließ sich einen rotbäckigen Apfel schmecken, während Adam sie trübselig anblickte. Neben ihm graste ein Schaf.
Hinter diesem Vorhange herrschte ein ebenso bewegtes Leben. Prinzipal Pandsen schritt gravitätisch auf und ab, blickte durch das in den Vorhang geschnittene Loch in das Parterre hinab und freute sich des ausverkauften Hauses. Die Schauspieler, welche in dem Stücke beschäftigt waren, begannen sich zu versammeln. Da erschien, mit geschmacklosem Flitter überladen, die männerfeindliche Fürstin, an der Hand ihres Vaters, eines vornehmen hispanischen Grafen, der sich in einen roten Friesmantel, bordiert mit goldpapiernen Tressen, gar stattlich ausnahm. Ihnen folgte Dunkelschön als Prinz Cesario, dessen Grazie die Dürftigkeit seiner Toilette vergessen ließ, und Arm in Arm mit ihm die Maienblüte, deren Schönheit so groß war, daß niemand ein Auge für die geringen Mittel hatte, welche ihr zu Gebote standen, dieser Schönheit einen höheren Reiz zu verleihen.
»Sind wir beisammen?« rief Vater Pandsen, indem er seine Schäfchen musterte.
Ein lautes Ja erscholl zur Antwort und die männerfeindliche Fürstin flüsterte mit einem Blick auf die Maienblüte ihrem gräflichen Vater zu:
»Wie sich der Affe ziert! Als wenn es mit ihr etwas Besonderes wäre!«
»Sie wird ausgepfiffen!« versicherten seine gräfliche Gnaden. »Meine Freunde drüben im Bremer Schlüssel haben es mir versprochen.«
Hinter den Kulissen, in dem dunkelsten Winkel der Bühne, saß der Verfasser des Lustspiels. Er hielt die Hand an die Stirn, als sinne er einem Gedanken nach, in Wahrheit aber drängte sich ihm das Blut zum Herzen und er war eines Gedankens nicht fähig.
Da streifte in bunter Narrentracht der Courtisan Stranitzki an ihm vorüber. Der Dichter, durch das Geräusch aufgeschreckt, sprang auf und blieb mit offenem Munde stehen:
»Wie sieht man aus? Ist das die Tracht, die dem Diener eines vornehmen spanischen Prinzen gebührt?«
»Was versteht der Herr von der Garderobe?« fuhr Stranitzki auf. »Hanswurst ist Hanswurst, er mag nun Perinus oder Jocus heißen.«
»Nennt man den Perinus einen Hanswurst?« sagte der Verfasser erschrocken.
»Wie denn sonst? Danke der Herr seinem Gott, daß ich ihn so auffasse. Und auch dafür bedanke der Herr sich bei mir, daß ich dem Perinus einige angenehme Scherze von meiner Fabrik in den Mund lege, denn sagte ich nichts als die langweiligen Dinge, die der Herr mir vorschreibt, pfiffen sie mich schon im ersten Akte aus.«
Lachend sprang er davon. Im Parterre wurde es unruhig. Das verehrungswürdige Publikum stampfte mit Füßen und Stöcken.
»Was ist dir, Liebchen?« fragte Dunkelschön, die Geliebte zärtlich an sich drückend.
»Mir klopft das Herz, als wollte es zerspringen. Ich weiß nicht, was es ist.«
»Lampenfieber, Liebchen. Das geht vorüber, wenn der Vorhang in die Höhe rollt.«
»Nein, nein! Es ist etwas anderes. Mir steht es vor Augen, als müsse mir heute Abend noch ein großes Unglück begegnen.«
»Ja, denn sie wird ausgepfiffen!« sprach pathetisch die männerfeindliche Fürstin, welche hinter ihr stand.
»Alle Mann vom Theater! Es wird aufgezogen!« rief Vater Pandsen, in die Hände klatschend.
Zwei schlechtgestimmte Geigen und eine schwindsüchtige Flöte bemühten sich, den dumpfen Wirbel einer großen Trommel zu begleiten und das Ihrige zu dem