Gesammelte Werke. Джек Лондон

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Gesammelte Werke - Джек Лондон


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hatte, ohne metaphysische Spekulationen über ein höheres Leben anzustellen. Der Tod beendete alles. Das hatte er stets geglaubt, ohne sich davor zu fürchten. Und auch in diesem Augenblick, als das Boot unbeweglich fünfzehn Fuß hoch über dem Wasser hing, und er selbst vor Schwäche ohnmächtig und von aller Kraft verlassen war, glaubte er noch, daß der Tod alles beende, und fürchtete sich nicht. Seine Lebensanschauung war zu einfach, um bei der ersten – oder letzten – Todesfurcht über den Haufen geworfen zu werden.

      Er hatte Menschen und Tiere sterben sehen, und die Erinnerung an ihr Sterben tauchte in ihm auf. Er sah sie wieder wie damals, und sie machten keinen Eindruck auf ihn. Sie waren tot – seit langem tot. Der Tod war leicht – leichter, als er ihn sich je vorgestellt hatte, und jetzt, wo er so nahe war, freute er sich auf ihn.

      Ein neues Bild zeigte sich ihm. Er sah seine Traumstadt – die goldene Metropole des Nordens, die auf den Hängen über dem Yukon lag und sich weit über die Ebene erstreckte. Reihe an Reihe sah er die am Ufer vertäuten Dampfer; er sah die Sägemühlen arbeiten und die langen Hundegespanne mit Doppelschlitten hinter sich, die mit Proviant für die Goldgräber beladen waren. Und weiter sah er die Spielhäuser, die Banken, die Börsen und alle die vielen Möglichkeiten für ein weit höheres Spiel, als er es je gesehen. Es mußte doch mit dem Teufel zugehen, dachte er – nicht mit dabei sein zu können, wenn die Chance, die er in seinem Innern gespürt hatte, zur Wirklichkeit, wenn der große Goldfund gemacht wurde. Bei dem Gedanken hob das Leben das Haupt und begann noch einmal seine alten Lügen zu wispern. Daylight rollte vom Boot herunter und lehnte sich, auf dem Eise sitzend, dagegen. Er wünschte, mit dabei zu sein. Und warum sollte er es nicht? Irgendwo in seinen ausgemergelten Muskeln besaß er noch Kraft genug, das Boot über den Eisrand ins Wasser zu schaffen. Ganz sinnlos tauchte der Gedanke in ihm auf, einen Anteil an den Grundstücken von Harper und Ladue zu kaufen. Sie würden ihn sicher zu günstigen Bedingungen als dritten Teilhaber aufnehmen. Würde dann der große Goldfund am Stewart gemacht, so hätte er sich dort in seiner Elam-Harnish-Stadt festgesetzt, und erfolgte er am Klondike, so wäre er doch nicht ganz aus dem Spiel geschlagen.

      Aber inzwischen wollte er Kräfte sammeln. Er streckte sich der Länge nach, mit dem Gesicht nach unten, auf dem Eise aus, blieb eine halbe Stunde so liegen und sammelte Kräfte. Dann erhob er sich, schüttelte die Blindheit von den Augen und machte sich an die Arbeit. Er wußte genau, wie es um ihn stand; mißglückte die erste Anstrengung, so mußten auch alle späteren scheitern. Er mußte alle seine wiedergewonnene Kraft in einer einzigen Anstrengung zur Entladung bringen, so gründlich, daß für später nichts zu tun übrigblieb.

      Er hob, hob mit der Seele wie mit dem Körper, und alle Kraft seines Körpers und seiner Seele wurden in dieser Anstrengung ausgelöst. Das Boot hob sich. Er glaubte, ohnmächtig zu werden, hob aber weiter. Er fühlte, wie das Boot nachgab und ins Gleiten kam. Mit dem letzten Rest seiner Kraft ließ er sich hineinfallen und landete als ein Häufchen Elend auf Elijahs Beinen. Er war zu müde, um sich zu erheben, und so lag er da und hörte und fühlte, wie das Boot ins Wasser glitt. An den Baumwipfeln konnte er sehen, daß es im Kreise herumwirbelte. Dann kam ein Krachen und Stoßen, und aus Eisstücken, die um ihn herumflogen, entnahm er, daß das Boot gegen das Ufer gestoßen sein mußte. Wohl ein dutzendmal wirbelte es herum und stieß dagegen, dann schwamm es endlich leicht und frei dahin.

      Daylight kam zu sich und sagte sich, daß er geschlafen haben mußte. Nach dem Stand der Sonne mußten Stunden vergangen sein. Es war früh am Nachmittage. Er schleppte sich nach achtern und setzte sich aufrecht. Das Boot befand sich mitten im Strom, die bewaldeten Ufer mit ihrem breiten Fuß leuchtenden Eises glitten vorbei. Neben ihm trieb eine mächtige Kiefer, die mit der Wurzel ausgerissen war, vorüber. Eine Laune der Strömung legte das Boot neben sie. Er kroch nach vorn und befestigte die Leine an einer der Wurzeln. Da der Baum tiefer im Wasser lag, trieb er schneller, die Leine spannte sich, und das Boot folgte in seinem Kielwasser. Er warf noch einen letzten Blick auf seine Umgebung, sah die Ufer auf dem Kopfe stehen und die Sonne am Himmel wie ein Pendel hin und her schwingen, wickelte sich in seinen Schlafsack, legte sich auf den Boden des Bootes und schlief ein.

      Als er erwachte, war es finstere Nacht. Er lag auf dem Rücken und sah die Sterne schimmern. Ein gedämpftes Murmeln schwellenden Wassers drang an sein Ohr. Ein plötzlicher Ruck belehrte ihn, daß die Leine, die bisher schlaff gewesen war, auf einmal von der schneller treibenden Kiefer angezogen worden war. Ein Stück verirrten Treibeises schlug gegen das Boot und scheuerte gegen seine Seite. Schön, dachte er, dann wäre die Eisbarre vorüber, schloß die Augen und schlief wieder ein.

      Als er das nächste Mal erwachte, war heller Tag. Die Sonne zeigte, daß es Mittag war. Ein Blick auf die entfernten Ufer, und er wußte, daß er sich auf dem mächtigen Yukon befand. Sixty Mile konnte nicht mehr fern sein. Er war furchtbar schwach. Seine Bewegungen waren langsam, tastend und unsicher; er keuchte und wurde von Schwindel befallen, aber er zwang sich, die Büchse in der Hand, aufrecht im Stern des Bootes zu sitzen. Er betrachtete Elijah lange, konnte aber nicht sehen, ob er atmete oder nicht, die Entfernung bis zu ihm war allzu weit.

      Er begann wieder zu träumen und Betrachtungen anzustellen, aber Träume und Gedanken wurden von langen Perioden der Leere abgelöst, in denen er weder schlief, noch bei vollem Bewußtsein war. Dazwischen jedoch kamen wieder klare Augenblicke, und dann dachte er über seine Lage nach. Er war noch am Leben, und aller Wahrscheinlichkeit nach wurde er gerettet; aber wie kam es, daß er nicht quer über dem Bootsrande oben auf der Eismauer lag? Dann erinnerte er sich der letzten großen Anstrengung, die er gemacht hatte. Aber warum hatte er sie gemacht? fragte er sich. Nicht aus Todesfurcht. Er hatte sich nicht gefürchtet, das wußte er bestimmt. Dann erinnerte er sich seiner Chance und des großen kommenden Goldfundes, an den er so fest glaubte, und er wußte, daß das, was ihn angespornt, der Wunsch war, das große Spiel mitzumachen. Und wieder warum? Wenn er nun wirklich seine Million hatte? Er würde gerade so sterben wie die andern, die eben ihr Leben fristeten. Also warum? Aber die Perioden der Leere in seinem Denken begannen häufiger zu kommen, und er übergab sich auf Gnade oder Ungnade der wundervollen Mattigkeit, die ihn beschlich ...

      Mit einem Ruck fuhr er auf. Etwas in ihm hatte geflüstert, daß er aufwachen müßte. Plötzlich sah er Sixty Mile, keine hundert Fuß entfernt. Die Strömung hatte ihn dicht an die Stadt geführt. Aber dieselbe Strömung trieb ihn jetzt weiter, hinaus in die Wildnis des unteren Flußlaufes. Kein Mensch war zu sehen. War der Ort verlassen? Aber er sah den Rauch aus einem Küchenschornstein aufsteigen. Er versuchte zu rufen, konnte aber keinen Ton, nur ein unnatürliches Röcheln hervorbringen. Er tastete nach der Büchse, hob sie an die Schulter und drückte ab. Der Rückstoß war so stark, daß ein fast unerträglicher Schmerz ihn durchzuckte. Die Büchse war ihm auf die Knie gefallen, und ein Versuch, sie nochmals zu erheben, mißglückte. Er wußte, daß er eilen mußte, und fühlte das Bewußtsein schwinden, und so drückte er ab, wo seine zitternden Hände die Büchse fanden. Der Schuß ging los, und die Büchse fiel über Bord. Aber ehe die Finsternis ihn einhüllte, sah er noch, wie die Küchentür geöffnet wurde und eine Frau zu der Tür des großen Blockhauses heraussah, das einen gräßlichen Tanz zwischen den Bäumen aufführte.

      Neuentes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Zehn Tage später kamen Harper und Joe Ladue nach Sixty Mile, und Daylight, der zwar noch ein wenig schwach, aber doch stark genug war, der Stimme seines Innern zu gehorchen, tauschte ein Drittel von seinen Grundstücken am Stewart gegen ein Drittel der ihren am Klondike ein.

      Sie glaubten fest an das Oberland, und Harper wollte auf einem Floß mit Proviant und anderm Bedarf den Fluß hinunterfahren, um eine kleine Poststation an der Mündung des Klondike zu errichten.

      »Warum nimmst du nicht den Indian-River in Angriff, Daylight?« meinte Harper beim Abschied. »Da gibt es massenhaft Bäche und Wasserläufe, und das Gold schreit nur danach, daß man es holt. Das ist meine Chance. Da kommt einmal ein großer Goldfund, und der Indian-River ist nicht aus der Welt.«

      »Und es wimmelt da von Elchen«, fügte Joe Ladue hinzu. »Bob Henderson ist nun seit drei Jahren da irgendwo herum. Er schwört darauf, daß sich Großes


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