Gesammelte Werke. Джек Лондон
Читать онлайн книгу.wenn es sich bäumte, die Sporen ein, worauf es die Vorderbeine auf die Erde stemmte und mit den Hinterbeinen ausschlug.
Wolfsblut beobachtete den Vorgang mit wachsender Unruhe, endlich konnte er sich nicht länger halten und brach in wildes, drohendes Gebell aus. Oft versuchte er hernach noch zu bellen, und der Herr ermunterte ihn dazu, – ohne daß es ihm gelingen wollte, und nur einmal noch gelang es ihm, und dann nicht in Gegenwart des Herrn. Als der einst über ein Feld ritt, hüpfte plötzlich ein Kaninchen dicht vor den Füßen des Pferdes auf. Dieses sprang zur Seite, stolperte, fiel, und ein Beinbruch des Herrn war die Folge. Wolfsblut sprang wütend dem Pferde an die Kehle, aber ein Wort des Herrn rief ihn zurück.
»Geh nach Hause! Nach Hause!« gebot er ihm, als er sich von der Art der Verletzung überzeugt hatte. Aber Wolfsblut hatte keine Lust, ihn zu verlassen. Der Herr dachte daran, einen Zettel zu schreiben, suchte aber vergebens in der Tasche nach Bleistift und Papier. Wieder gebot er Wolfsblut nach Hause zu gehen. Dieser sah ihn nachdenklich an, machte ein paar Schritte vorwärts, kehrte wieder um und winselte leise. Der Herr sprach sanft, aber in ernstem Ton zu ihm, und Wolfsblut spitzte die Ohren und lauschte gespannt.
»Komm her, mein Alter, und höre mir zu. Renne spornstreichs nach Hause, hörst du?« gebot Scott. »Nach Hause! und erzähle, was mir passiert ist. – Nach Hause, Wolfsblut! Vorwärts, nach Hause!«
Wolfsblut kannte die Bedeutung des Befehls »Nach Hause!« und wenn er auch das Übrige nicht verstand, so wußte er doch, daß es der Wille des Herrn sei, daß er heimgehen solle. Er kehrte um und trabte widerstrebend hinweg. Nach einigen Schritten blieb er von neuem unentschieden stehen und blickte über die Schulter zurück. Abermals kam der Befehl »Nach Hause!« und diesmal viel schärfer, und jetzt gehorchte Wolfsblut.
Die Familie war in der Kühle des Nachmittags auf der Veranda versammelt, als Wolfsblut keuchend und staubbedeckt ankam.
»Weedon ist zurück,« verkündete die Mutter. Die Kinder begrüßten Wolfsblut mit Jubel und rannten ihm entgegen. Er vermied sie, aber sie drängten ihn in eine Ecke der Veranda zwischen einen Schaukelstuhl und das Geländer. Er grollte und suchte an ihnen vorbeizukommen; besorgt blickte die Mutter nach dem Kleinen hin.
»Ich muß gestehen, ich ängstige mich immer um die Kinder,« bemerkte sie. »Ich habe stets Furcht, daß eines schönen Tages sich Wolfsblut unerwartet gegen sie kehrt.«
Grimmig knurrend sprang Wolfsblut aus dem Winkel heraus, wobei er die Kinder umwarf. Die Mutter rief sie zu sich, beruhigte sie und sagte ihnen, sie müßten Wolfsblut nicht belästigen.
»Wolf bleibt Wolf!« verkündete Richter Scott. »Einem solchen ist nie recht zu trauen.«
»Aber er ist nicht ganz ein Wolf,« mischte sich Betty ein, die in Abwesenheit des Bruders für dessen Hund Partei ergriff.
»Das ist Weedons Meinung von der Sache,« entgegnete der Richter. »Auch vermutet er nur, daß ein gut Teil vom Hunde in ihm ist. Er selber sagt, er wisse nichts Bestimmtes darüber. Und was das Aussehen betrifft –«
Er vollendete den Satz nicht. Wolfsblut stand vor ihm und grollte ingrimmig.
»Geh fort und leg dich nieder,« gebot Richter Scott. – Wolfsblut wandte sich zu der Gattin des Gebieters. Die aber schrie vor Schreck auf, als er ihr Kleid mit den Zähnen ergriff und so sehr daran zerrte, daß das dünne Gewebe zerriß. Jetzt wurde er der Mittelpunkt des Interesses. In seinem Halse arbeitete es heftig, ohne das er einen Ton von sich gab, und sein ganzer Körper wand sich krampfhaft in der Anstrengung, einen Ausdruck für das zu finden, was in seinem Innern nach Mitteilung rang.
»Hoffentlich wird er nicht toll,« bemerkte Weedons Mutter. »Ich habe zu Weedon immer gesagt, ich fürchte, das warme Klima bekommt einem Tier aus dem Norden nicht.«
»Ich glaube, er möchte etwas sagen,« kündigte Betty an. – In dem Augenblick fand Wolfsblut wirklich die Sprache und machte sich in einem lauten Bellen Luft.
»Es ist Weedon ein Unglück passiert,« entschied Weedons Frau. Alle sprangen auf, während Wolfsblut die Stufen hinablief und sich umblickte, ob man ihm auch folge. Zum zweiten und letztenmal in seinem Leben hatte er gebellt und sich dadurch verständlich gemacht.
Nach diesem Ereignis trat er den Herzen der Bewohner von Sierra Vista noch näher, und selbst der Stallknecht, dem er den Arm aufgerissen hatte, gab zu, daß er, wenn auch ein Wolf, doch ein kluges Tier sei. Richter Scott war derselben Ansicht und bewies seine Meinung von der Abstammung Wolfsbluts unter dem lauten Widerspruch der andern Familienmitglieder durch Maße und Beschreibungen, die er dem Konversationslexikon und verschiedenen naturwissenschaftlichen Werken entnommen hatte.
Die Tage kamen und gingen, und nie endender Sonnenschein überflutete das Tal von Santa Clara. Als aber die Tage kürzer wurden, und Wolfsbluts zweiter Winter im Südlande herannahte, da machte er die seltsame Entdeckung, daß Collies Zähne weniger scharf wären. Wenn sie ihn zauste, so geschah es mehr aus Neckerei und zum Scherz, ohne ihm wirklich wehe zu tun. Er vergaß, daß sie ihm einst das Leben zur Last gemacht hatte, und wenn sie ihn spielend umkreiste, so ging er gravitätisch darauf hin und versuchte selbst mutwillig zu sein, wobei er eine höchst lächerliche Figur spielte.
Eines Tages jagte sie lange auf den Wiesen, ja selbst bis in den Wald hinein, mit ihm herum. Es war an einem Nachmittage, als der Herr ausreiten wollte, und Wolfsblut wußte das. Das Pferd stand gesattelt vor der Tür, und Wolfsblut zögerte. Aber noch tiefer lag etwas in ihm, als all die Gesetze, die er gelernt, als all die Bräuche, die ihn geformt hatten, tiefer selbst als die Liebe zum Herrn und als der Wille zum Leben, und als Collie in dem Augenblick des Zauderns ihn zauste und vor ihm herlief, kehrte er um und rannte hinter ihr drein. Der Herr ritt an dem Tage allein aus, und im Walde lief Wolfsblut neben Collie her, wie einst vor vielen Jahren neben seiner Mutter Kische Einauge im stillen Walde des Nordens gelaufen war.
5. Kapitel. Der schlafende Wolf
Um diese Zeit waren die Zeitungen voll von den Taten eines Sträflings, der tollkühn aus dem Gefängnis von San Quentin entsprungen war. Derselbe war ein wilder, mordlustiger Gesell, dem schon die Natur schlimme Gaben verliehen, und den die Hand der Umstände nicht besser gemacht hatte. So war er zur menschlichen Bestie geworden, furchtbar wie ein gewaltiges Raubtier.
Die Gefängnisstrafe hatte Jim Hall nicht bessern können; Zwangsjacke, Hunger und Prügel, das war nicht die richtige Behandlung für ihn gewesen. So übel war er von jeher behandelt worden, als er noch ein kleines Bübchen in einem der Winkelgäßchen von San Franzisko gewesen war, wo er weicher Ton war, aus dem man alles Mögliche hätte formen können. Im dritten Jahre seiner Haft war in dem Gefängnis ein Wärter, der fast ebenso schlimm, wie Jim Hall selber, war. Dieser verleumdete und verfolgte ihn. Allein der trug ein Bund Schlüssel und hatte einen Revolver, und Jim Hall hatte nichts als seine nackten Hände und die Zähne, und so geschah es, daß er eines Tages über den Wärter herfiel und ihn wie ein wildes Tier bearbeitete.
Darauf sperrte man Jim Hall in die Zelle der unverbesserlichen Verbrecher ein. Dort blieb er drei Jahre. Diese Zelle war ganz aus Eisen, die Wände, die Decke und der Fußboden. Nie verließ er dieselbe, nie sah er Himmel und Sonnenschein, lebendig war er in der eisernen Gruft begraben. Kein menschliches Antlitz sah er, mit keinem menschlichen Wesen sprach er; sein Essen wurde ihm hineingeschoben. Manchmal brüllte und schrie er ganze Tage und Nächte lang in seiner Wut gegen die Welt und die Menschen, manchmal verharrte er ganze Wochen und Monate in starrem Schweigen, und in einer Nacht war er entflohen. Man hatte behauptet, daß das eine Unmöglichkeit sei, dennoch war die Zelle leer, nur der Leichnam eines Gefangenenwärters lag darin, und noch zwei Leichen bezeichneten den Weg, den er bis zur Außenmauer eingeschlagen hatte. Die Waffen der Erschlagenen hatte er an sich genommen und war in die Berge entflohen.
Ein hoher Preis wurde auf seinen Kopf gesetzt, und habsüchtige Farmer verfolgten ihn mit Flinten, um mit dem Blutgeld eine Hypothek zu tilgen oder einen Sohn zur Universität zu schicken. Ebenso ergriffen patriotische Bürger die Büchsen, um den