Gesammelte Werke. Джек Лондон
Читать онлайн книгу.traf man auf ihn, und dann gab es einen verzweifelten Kampf, dessen Bericht die ruhigen Bürger am Morgen darauf beim Frühstück lasen. Die Toten und Verwundeten wurden in die nächste Stadt geschafft, und ihre Stelle durch frische Leute besetzt. Plötzlich verschwand Jim Hall; man hatte seine Spur verloren. In entlegenen Tälern hatten harmlose Viehzüchter sich über ihre Identität auszuweisen, und einigemale wurden Jim Halls sterbliche Reste in den Bergen von Leuten entdeckt, die das Blutgeld einziehen wollten.
Unterdessen las man in Sierra Vista die Zeitungen weniger aus Neugier als aus Angst. Besonders die Frauen taten das. Richter Scott lachte sie aus und nahm die Sache leicht, hatte aber wenig Grund dazu, denn Jim Hall war im letzten Jahr seines Richteramtes verurteilt worden, und im offenen Gerichtshof hatte derselbe vor den Versammelten laut geschworen, daß er sich an dem Richter, der ihn verurteilt hatte, rächen wolle.
Von alledem wußte Wolfsblut nichts. Allein zwischen ihm und Alice, der Gattin des Herrn, schwebte ein Geheimnis. In der Nacht, wenn jedermann in Sierra Vista zu Bett gegangen war, stand sie auf und ließ Wolfsblut ins Haus ein. Da er aber kein Haushund war und nicht im Flur schlafen durfte, so schlüpfte sie an jedem Morgen früh hinab und ließ ihn hinaus, ehe die Familie auf war.
In einer Nacht, als das ganze Haus schlief, erwachte Wolfsblut, lag aber ganz still. Er sog still die Luft ein, die ihm Kunde von der Gegenwart eines Fremden brachte. Auch schlugen an sein Ohr Laute, welche die Gegenwart eines solchen verrieten. Er bellte nicht, das war nicht seine Manier, und wenn der Fremde leise schlich, so war er noch leiser, denn er hatte keine raschelnden Kleider an. Lautlos folgte er jenem, denn in der Wildnis hatte er unsäglich scheues Wild gejagt, und er kannte die Vorteile eines Überfalles. Der Fremde blieb am Fuß der großen Treppe stehen und lauschte; als er wartend dastand, und ebenso still und regungslos stand Wolfsblut und wartete auch. Die Treppe hinauf ging es zu dem Gebieter und zu denen, die ihm das Liebste auf der Welt waren. Wolfsbluts Haar sträubte sich, als er so wartete. Da hob der Fremde den Fuß empor und setzte ihn auf die erste Stufe. Auch Wolfsblut sprang in die Höhe. Ohne einen warnenden Laut, ohne Knurren, schoß er hoch durch die Luft auf die Schultern des Fremden herab und senkte die Zähne in den Nacken desselben. Es dauerte nur einen Augenblick, dann hatte er den Mann nach hintenüber zu Boden gerissen, und zurückspringend griff er ihn sogleich, als jener sich aufgerafft hatte, wiederum an.
Ganz Sierra Vista erwachte über den Lärm. Es erhob sich unten ein Getöse, als ob eine Schar Dämonen miteinander kämpfte, und dazwischen ertönten die Schüsse eines Revolvers und die Stimme eines Menschen, der in Todesnöten schrie, begleitet von einem lauten, ununterbrochenen Knurren und Grollen, das sich in das Geklirr und Geknatter zerschmetterter Möbel und zerbrochenen Glases mischte.
Allein fast ebenso schnell wie der Lärm entstanden war, erstarb er auch, denn der Kampf hatte nicht länger als drei Minuten gedauert. Die erschrockene Familie versammelte sich oben an der Treppe. Von unten wie aus einem Abgrund kam ein gurgelnder Laut herauf, als ob Luftblasen im Wasser emporstiegen. Dann verwandelte sich der Ton in zischendes Pfeifen; auch dieses ward immer leiser und hörte bald auf. Darauf ertönte nichts mehr in der Finsternis, als ein schweres Keuchen, wie wenn ein Erstickender nach Luft ränge.
Weedon Scott drückte den Knopf der elektrischen Leitung, und Treppe und Hausflur lagen im Nu im hellen Lichte da. Dann stieg er mit dem Richter vorsichtig und mit dem Revolver in der Hand die Treppe hinunter. Allein diese Vorsicht war nicht nötig, Wolfsblut hatte seine Arbeit getan. Denn unter den umgeworfenen Möbeln lag auf der Seite und das Gesicht unter dem einen Arm verborgen ein Mensch. Weedon Scott beugte sich über ihn, schob den Arm zurück und drehte das Gesicht des Mannes aufwärts. Eine klaffende Wunde am Halse zeigte, wie er den Tod gefunden hatte.
»Jim Hall,« sagte Richter Scott, und Vater und Sohn blickten sich bedeutsam an.
Dann wandten sie sich zu Wolfsblut. Auch er lag auf der Seite, und seine Augen waren geschlossen, aber er erhob die Lider ein wenig, als die beiden Männer sich über ihn beugten, und sein Schwanz bewegte sich zu einem Wedeln. Weedon Scott streichelte ihn, und aus Wolfsbluts Halse stieg als Antwort ein Grollen empor, doch leise nur und schwach, und schnell erstarb es. Dann senkten sich die Augenlider und schlossen sich wieder, und der Körper streckte sich steif auf dem Boden aus.
»Es ist aus mit ihm, dem armen Teufel!« murmelte sein Herr.
»Das wollen wir doch sehen,« entgegnete der Richter und ging ans Telephon.
Der Doktor kam und arbeitete anderthalb Stunden an Wolfsblut herum.
»Wenn er durchkommt, so ist es ein Wunder,« sagte er. »Unter Tausenden käme unter den Umständen kaum einer mit dem Leben davon.«
Die Dämmerung schaute unterdessen durchs Fenster, und das elektrische Licht erschien dadurch trübe. Mit Ausnahme der Kinder war die ganze Familie um den Doktor versammelt, um den Ausspruch desselben zu hören.
»Ein Hinterbein ist gebrochen,« fuhr dieser fort, »sowie drei Rippen, von denen wenigstens eine in die Lunge gedrungen ist. Außerdem hat er fast alles Blut, das er im Körper hatte, verloren, und höchstwahrscheinlich noch innere Verletzungen, denn er ist getrampelt worden, gar nicht zu reden von den drei Kugeln, die durch und durch gegangen sind. Tausend gegen eins ist noch eine zu optimistische Annahme, man sollte zehntausend gegen eins sagen.«
»Aber nichts darf versäumt werden, um ihn durchzubringen.« rief der Richter aus. »Koste es, was es wolle. Durchleuchten Sie ihn mit Röntgenstrahlen – kurz, tun Sie Ihr Möglichstes. – Weedon, telegraphiere sogleich nach San Franzisko an Doktor Nichols. – Nehmen Sie es nicht übel, Doktor, aber es muß alles aufgeboten werden, wissen Sie.«
Der Doktor lächelte mitleidig. »Natürlich, natürlich, ich verstehe das. Er verdient es, daß für ihn alles getan wird. Übrigens muß er wie ein krankes Kind gepflegt werden. Vergessen Sie nicht, was ich Ihnen über die Temperatur gesagt habe. Um zehn bin ich wieder da.«
Und wie wurde Wolfsblut gepflegt! Der Vorschlag des Richters, eine Krankenpflegerin kommen zu lassen, wurde von seinen Töchtern mit großer Entrüstung zurückgewiesen, da sie selber die Pflege übernehmen wollten, und Wolfsblut kam, aller Zweifel und aller trüben Prophezeiungen des Doktors zum Trotz, mit dem Leben davon. Allerdings konnte man sich über dessen Voraussagungen nicht wundern. Sein Leben lang hatte er nur verzärtelte Geschöpfe der Zivilisation behandelt, die selber gehegt und gepflegt von Generationen gehegter und gepflegter Wesen abstammten. Mit Wolfsblut verglichen waren das Schwächlinge, die nur matt und schlaff sich an das Leben klammerten. Er jedoch kam geradewegs aus der Wildnis, wo die Schwachen früh untergehen und niemand verhätschelt wird. Weder sein Vater noch seine Mutter, noch seine Voreltern hatten irgend eine Schwäche gekannt. Eine Gesundheit von Eisen und die Lebenszähigkeit der Wildnis waren sein Erbteil geworden, und so hing er mit jeder Fiber seines Wesens am Leben und klammerte sich mit jener Hartnäckigkeit daran, die einst allen Geschöpfen eigen war.
Wie ein Gefangener gefesselt und jeder Bewegung durch Binden und Gipsverbände beraubt, brachte Wolfsblut viele Monate zu. Er schlief viele Stunden lang und träumte viel, und an seinem Geiste zogen in endloser Reihe die Bilder des Nordlandes vorüber. Die Geister der Vergangenheit standen auf und umgaben ihn. Wieder war er bei Kische in der Höhle, wieder kroch er zitternd zu den Grauen Bibers Füßen, um ihm den Eid der Treue zu leisten, dann rannte er gehetzt umher, um sein Leben vor Liplip und der heulenden Rotte junger Hunde zu retten.
Ein andermal lief er durch die schweigende Einöde während der großen Hungersnot und lauerte dem Wilde auf, oder er befand sich an der Spitze des Gespanns, und Mitsah oder der Graue Biber knallte mit der großen Peitsche und schrie mit rauher Stimme: »Raa! Raa!«, wenn man an einen Hohlweg kam, und das Gespann, wie ein zusammengeklappter Fächer, sich dicht aneinander drängen mußte. Dann durchlebte er wieder die Schreckenstage bei dem schönen Schmitt und die Kämpfe, in denen er dort ruhmreich gestritten hatte. Zu solchen Zeiten winselte und knurrte er im Schlafe, und dann sagten die Leute, daß er schlimme Träume habe.
Am meisten jedoch litt er unter einer Vision, die wie ein Alp auf ihm lastete. Das war, wenn ihm die rasselnden, tutenden Ungeheuer der elektrischen Wagen erschienen, die ihm wie ungeheure Luchse vorkamen. Er träumte dann wohl, er liege im Gebüsch verborgen und lauere darauf, daß ein Eichhörnchen