Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band). Артур Шницлер

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Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band) - Артур Шницлер


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mit so strengem und abweisendem Blick, daß sogar die Mutter jede Bemerkung über diese plötzliche Veränderung lieber unterließ. Wenige Tage darauf langte aus Wien eine Büchersendung an die Adresse des Oberstleutnants, eine andere aus Leipzig folgte, ein Salzburger Antiquar sandte gleichfalls ein Paket; und von nun an verbrachte der alte Militär viele Stunden an seinem Schreibtisch, vorerst ohne irgendwen in die Natur seiner Arbeit einzuweihen ; – bis er eines Tages mit geheimnisvoller Miene Therese in sein Zimmer rief und ihr aus einem sorgfältig geschriebenen, geradezu kalligraphierten Manuskript mit eintöniger, heller Kommandostimme eine vergleichende strategische Abhandlung über die bedeutendsten Schlachten der Neuzeit vorzulesen begann. Therese hatte Mühe, dem trockenen und ermüdenden Vortrag mit Aufmerksamkeit oder auch nur mit Verständnis zu folgen; doch da ihr der Vater seit einiger 12 Zeit ein stetig wachsendes Mitleid erregte, versuchte sie, zuhörend, ihren schläfrigen Augen einen Schimmer der Teilnahme zu verleihen, und als der Vater endlich für heute unterbrach, küßte sie ihn wie mit gerührtem Dank auf die Stirn. Noch drei Abende in gleicher Art folgten, ehe der Oberstleutnant mit seiner Vorlesung zu Ende war; dann trug er persönlich das Manuskript auf die Post. Von nun an verbrachte er seine Zeit in verschiedenen Gast-und Kaffeehäusern. Er hatte in der Stadt mancherlei Bekanntschaften angeknüpft, meist mit Männern, die die Arbeit ihres Lebens hinter sich und ihren Beruf aufgegeben hatten: pensionierte Beamte, gewesene Advokaten, auch ein Schauspieler war darunter, der an dem Theater der Stadt alt geworden war und nun Deklamationsunterricht erteilte, wenn es ihm gelang, einen Schüler zu finden. Aus dem früher ziemlich verschlossenen Oberstleutnant Fabiani wurde in diesen Wochen ein gesprächiger, ja lärmender Tischgenosse, der über politische und soziale Zustände in einer Weise herzog, die man bei einem ehemaligen Offizier immerhin sonderbar finden durfte. Aber da er dann wieder einzulenken pflegte, als wäre eigentlich alles nur Spaß gewesen, und sogar ein höherer Polizeibeamter, der zuweilen an der Unterhaltung teilnahm, vergnügt mitlachte, ließ man ihn gewähren.

       Inhaltsverzeichnis

      Am Weihnachtsabend, wie zum Angebinde, lag für den Oberstleutnant unter den andern, übrigens recht bescheidenen Gaben, mit denen die Familienmitglieder sich gegenseitig beschenkten, ein wohlverschnürtes 13 Postpaket unter dem Baum. Es enthielt das Manuskript mit einem ablehnenden Schreiben der militärischen Zeitschrift, an die der Verfasser es einige Wochen vorher abgesandt hatte. Fabiani, zorngerötet bis an die Haarwurzeln, beschuldigte seine Gattin, daß sie eine offenbar schon vor einigen Tagen eingelangte Sendung gerade heute ihm wie zum Hohn unter den Baum gelegt, warf ihr die von ihr gespendete Zigarrentasche vor die Füße, schlug die Türe hinter sich zu und verbrachte die Nacht, wie man später erfuhr, in einem der verfallenen Häuser nahe dem Petersfriedhof bei einer der Frauenspersonen, die dort Knaben und Greisen ihren welken Leib feilboten. Nachdem er sich dann für Tage in sein Kabinett verschlossen, ohne an irgend jemanden das Wort zu richten, trat er eines Nachmittags ganz unerwartet in Paradeuniform in das Zimmer seiner zuerst erschrockenen Frau, bei der eben ihre Kaffeegesellschaft versammelt war. Doch er überraschte die anwesenden Damen durch die Liebenswürdigkeit und den Humor seiner Unterhaltung und hätte als vollendeter Weltmann wie in seiner besten Zeit erscheinen können, wenn er sich nicht beim Abschied, im halbdunklen Vorzimmer, gegen einige der Damen unbegreifliche Zudringlichkeiten herausgenommen hätte.

      Er verbrachte von nun an noch mehr Zeit außer Hause, zeigte sich aber daheim umgänglich und harmlos; und man war daran, sich in sein so erfreulich aufgeheitertes Wesen aufatmend zu finden, als er eines Abends die Seinen mit der Frage überraschte, was sie wohl dazu meinen würden, wenn man die langweilige Kleinstadt wieder mit Wien vertauschte, worauf er weitere Andeutungen von einer bald zu erwartenden 14 großartigen Umgestaltung ihrer Lebensverhältnisse vernehmen ließ. Theresen klopfte das Herz so heftig, daß sie jetzt erst erkannte, wie sehr sie sich nach der Stadt zurücksehnte, in der sie die letzten drei Jahre verlebt hatte; obzwar ihr von den Annehmlichkeiten, die das Dasein in einer Großstadt Begüterten bietet, nur wenig vergönnt gewesen war. Und sie wünschte sich nichts Besseres, als wieder einmal wie damals planlos in den Straßen umherzuspazieren und sich womöglich zu verirren, was ihr zwei-oder dreimal begegnet war und sie jedesmal mit einem bebenden, aber köstlichen Schauer erfüllt hatte. Noch leuchteten ihre Augen in der Erinnerung, da sah sie plötzlich ihres Bruders Blick mißbilligend von der Seite auf sich gerichtet; – ganz mit dem gleichen Ausdruck wie vor wenigen Tagen, da sie zu ihm ins Zimmer getreten war, als er eben mit seinem Schulkollegen Alfred Nüllheim die mathematischen Aufgaben durchnahm. Und nun erst ward es ihr bewußt, daß er immer so mißbilligend dreinblickte, wenn sie selbst heiter schaute und in ihre Augen jenes freudige Leuchten kam, wie es jetzt eben wieder geschehen war. Ihr Herz zog sich zusammen. Früher einmal, als Kinder, ja vor einem Jahre noch, waren sie so vortrefflich zueinander gestanden, hatten zusammen gescherzt und gelacht; – warum war dies anders geworden? Was hatte sich denn ereignet, daß auch die Mutter, der sie freilich niemals besonders nahe gewesen, sich immer verdrossener, feindselig beinahe von ihr abwandte? Unwillkürlich richtete sie nun den Blick auf die Mutter hin, und der böse Ausdruck erschreckte sie, mit dem jene den Gatten anstarrte, der eben mit dröhnender Stimme erklärte, daß die Tage der Genugtuung 15 nicht fern seien und daß ein Triumph ohnegleichen ihm binnen kurzem bevorstünde. Böser noch und haßerfüllter als sonst erschien Theresen heute der Mutter Blick, als hätte sie dem Gatten noch immer nicht verziehen, daß er vor der Zeit pensioniert worden war – als könnte sie es noch immer nicht vergessen, daß sie vor vielen Jahren auf dem elterlichen Gut in Slavonien als kleine Baronesse in einem urwalddichten eigenen Park auf feurigem Pony umhergesprengt war.

      Plötzlich sah der Vater auf die Uhr, erhob sich vom Tisch, sprach von einer wichtigen Verabredung und eilte davon.

      Er kam nicht wieder heim in dieser Nacht. Aus dem Wirtshaus, wo er teils unverständliche, teils unflätige Reden gegen das Kriegsministerium und das Kaiserhaus geführt hatte, wurde er auf die Wachstube und am Morgen, nach ärztlicher Untersuchung, in die Irrenanstalt gebracht. Später wurde bekannt, daß er kürzlich an das Ministerium ein Gesuch um Wiedereinstellung in den Dienst mit gleichzeitiger Ernennung zum General gerichtet hatte. Daraufhin war von Wien aus der Auftrag ergangen, ihn unauffällig beobachten zu lassen, und es hätte kaum mehr des peinlichen Auftrittes im Wirtshaus bedurft, um seine Einlieferung in eine Anstalt zu rechtfertigen.

       Inhaltsverzeichnis

      Seine Gattin besuchte ihn dort vorerst alle acht Tage. Therese erhielt erst nach einigen Wochen die Erlaubnis, ihn zu sehen. In einem weitläufigen, von einer hohen Mauer umgebenen Garten, durch eine von hohen 16 Kastanien beschattete Allee, in einem verwitterten Offiziersmantel, eine Militärmütze auf dem Kopf, kam ihr ein alter Mann entgegen mit fast weißem, kurzem Vollbart, am Arm eines käsebleichen, in einen schmutziggelben Leinenanzug gekleideten Wärters. »Vater«, rief sie tief bewegt und doch beglückt, ihn endlich wiederzusehen. Er ging an ihr vorbei, anscheinend ohne sie zu kennen, und murmelte unverständliche Worte vor sich hin. Therese blieb fassungslos stehen, dann merkte sie, daß der Wärter ihrem Vater irgend etwas klarzumachen versuchte, worauf dieser zuerst den Kopf schüttelte, dann aber sich umwandte, den Arm des Wärters losließ und auf seine Tochter zueilte. Er nahm sie in die Arme, hob sie vom Boden auf, als wäre sie noch ein kleines Kind, starrte sie an, begann bitterlich zu weinen, ließ sie wieder los; endlich, wie in brennender Scham, verbarg er das Gesicht in den Händen und eilte davon, dem düster-grauen Gebäude zu, das durch die Bäume herschimmerte. Der Wärter folgte ihm langsam. Die Mutter hatte dem ganzen Vorgang von einer Bank aus teilnahmslos zugesehen. Als Therese wieder auf sie zukam, erhob sie sich gelangweilt, wie wenn sie hier eben nur auf die Tochter gewartet hätte, und verließ mit ihr den Park.

      Sie standen auf der breiten, weißen Landstraße im grellen Sonnenschein. Vor ihnen, an den Felsen mit der Feste Hohensalzburg gelehnt, in einer Viertelstunde zu erreichen und doch unendlich weit, lag die Stadt. Die Berge ragten in den Mittagsdunst, ein Leiterwagen mit schlafendem Kutscher knarrte vorbei, aus einem Bauernhof jenseits der Felder sandte ein Hund sein Gebell in die stumme Welt. Therese wimmerte: »Mein 17


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