Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band). Артур Шницлер

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Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band) - Артур Шницлер


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Und alles… alles… verstehst du mich.«

      Sie nickte wieder.

      »Und… und… morgen früh seh ich dich noch einmal.«

      Sie schüttelte den Kopf. Er wollte etwas erwidern, wie erstaunt – als verstünde es sich eigentlich von selbst, daß er sie noch einmal vor der Abreise sehen müßte. Sie erhob leicht die Hand, als bäte sie ihn zu schweigen. Er stand auf, drückte sie an sich, küßte ihren Mund, der kühl war und seinen Kuß nicht erwiderte, und verließ das Zimmer. Sie blieb zurück, mit schlaffen Armen, stehend, die Augen geschlossen. Er eilte die Treppen hinab. Unten auf der Straße war ihm, als müßte er noch einmal hinauf – ihr sagen: »Es ist ja alles nicht wahr! Das war nicht der Abschied. Ich liebe dich ja. Ich gehöre dir. Es kann nicht zu Ende sein…«

      Aber er fühlte, daß er es nicht durfte. Jetzt nicht. Morgen vielleicht. Von heute Abend bis morgen früh würde sie ihm nicht entglitten sein… Und er eilte umher, planlos, durch leere Straßen, wie in einem leichten Rausch von Schmerz und Freiheit. Er war froh, daß er sich mit niemandem verabredet hatte und allein bleiben durfte. Weit draußen in einem niedern, alten, rauchigen Wirtshaus, wo an Nebentischen Menschen aus einer andern Welt saßen, in einer stillen Ecke nahm er sein Nachtmahl und erschien sich wie in einer fremden Stadt: einsam, ein wenig stolz auf seine Einsamkeit und ein wenig durchschauert von seinem Stolz.

      Am nächsten Tag um die Mittagsstunde spazierte Georg mit Heinrich durch die Alleen des Dornbacher Parks. Eine Luft, die von dünnen Nebeln schwer war, umgab sie, durchfeuchtetes Laub knisterte und glitt unter ihren Füßen, und durchs Gesträuch schimmerte die Straße, auf der sie gerade vor einem Jahr den rötlich-gelben Hügeln entgegengezogen waren. Die Äste breiteten sich regungslos, als drückte die ferne Schwüle der umgrauten Sonne sie nieder.

      Heinrich war eben daran, den Schluß seines Dramas zu erzählen, der ihm gestern eingefallen war. Ägidius war auf der Insel gelandet, gefaßt nach der Todesfahrt von sieben Tagen sein vorverkündetes Schicksal zu erleiden. Der Fürst schenkt ihm das Leben, Ägidius nimmt es nicht an und stürzt sich vom Felsen ins Meer hinab.

      Georg war nicht befriedigt. »Warum muß Ägidius sterben?« Er glaubte nicht daran.

      Heinrich begriff nicht, daß man das erst erklären sollte. »Wie kann er denn weiterleben«, rief er aus. »Er war zum Tode verurteilt. Immer mit dem Ausblick auf das Ende, als unumschränkter Herr auf dem Schiff, Geliebter der Prinzessin, Freund von Weisen, Sängern, Sternguckern, aber immer mit dem Ausblick auf das Ende, hat er die herrlichsten Tage erlebt, die je einem Menschen geschenkt waren. Dieser ganze Reichtum hätte sozusagen seinen Sinn verloren, ja, die hoheitsvoll-würdige Erwartung des letzten Augenblicks müßte sich in der Erinnerung dem Ägidius zu lächerlich genarrter Todesangst verändern, wenn diese ganze Todesfahrt sich am Ende als ein schaler Spaß enthüllte. Darum muß er sterben.«

      »Und Sie halten das für wahr?« fragte Georg mit noch stärkerem Zweifel als vorher. »Ich kann mir nicht helfen, ich nicht.«

      »Das macht nichts«, erwiderte Heinrich. »Wenn es Ihnen jetzt schon wahr erschiene, hätte ich es zu leicht. Aber wenn die letzte Silbe meines Stückes einmal geschrieben ist, wird es wahr geworden sein. Oder…« Er sprach nicht weiter. Sie stiegen eine Wiese hinan, und bald breitete sich das wohlbekannte Tal zu ihren Füßen aus. An der Hügellehne rechts schimmerte der Sommerhaidenweg, auf der andern Seite, hart am Wald, zeigte sich der gelb angestrichene Gasthof, mit den roten Holzterrassen und nicht weit davon, das kleine Haus mit dem dunkelgrauen Giebel. In ungewissem Nebel war die Stadt zu ahnen, noch weiter schwamm die Ebene zur Höhe auf und ganz ferne verdämmerten blasse, niedrig gezogene Berglinien. Nun war eine breite Fahrbahn zu überschreiten, und endlich führte ein Feldweg über Wiesen und Äcker nach abwärts. Weit abgerückt zu beiden Seiten ruhte der Wald.

      In Georg war ein Vorgefühl der Sehnsucht, mit der er in Jahren, vielleicht schon morgen sich dieser Landschaft erinnern würde, die nun aufgehört hatte ihm Heimat zu sein.

      Endlich standen sie vor dem kleinen Haus mit dem Giebel, das Georg ein letztes Mal hatte sehen wollen. Tür und Fenster waren mit Brettern verschlagen; verwittert, wie uralt geworden vor der Zeit, stand es da und wollte von der Welt nichts wissen.

      »Ja, nun heißt es Abschied nehmen«, sagte Georg in leichtem Ton. Sein Blick fiel auf die Tonfigur inmitten der verblühten Beete. »Komisch«, sagte er zu Heinrich, »daß ich den blauen Knaben da immer für einen Engel gehalten hab. Das heißt, ich hab ihn nur so genannt, denn ich hab ja immer gewußt, wie er aussieht, und daß er eigentlich ein gelockter Bub ist, barfuß, mit Röckchen und Gürtel.«

      »Heut über ein Jahr«, sagte Heinrich, »hätten Sie doch geschworen, daß der blaue Knabe Flügel gehabt hat.«

      Georg warf einen Blick nach oben zur Mansarde. Es war ihm, als bestände die Möglichkeit, daß irgend jemand plötzlich auf den Balkon heraustreten könnte. Labinski vielleicht, der sich seit jenem Traum nicht mehr gemeldet hatte? Oder er selber, ein Georg von Wergenthin aus früherer Zeit? Der Georg dieses Sommers, der dort oben gewohnt hatte? Dumme Einfälle. Der Balkon blieb leer, das Haus war stumm, und der Garten schlummerte tief. Enttäuscht wandte Georg sich ab. »Kommen Sie«, sagte er zu Heinrich. Sie gingen und nahmen die Straße zum Sommerhaidenweg.

      »Wie warm es geworden ist«, sagte Heinrich, zog den Überzieher aus und warf ihn seiner Gewohnheit nach über die Schultern.

      In Georg war ein ödes, etwas trockenes Erinnern. Er wandte sich an Heinrich. »Ich will es Ihnen lieber gleich sagen. Die Geschichte ist aus.«

      Heinrich sah ihn rasch von der Seite an, dann nickte er, nicht sonderlich überrascht.

      »Aber«, setzte Georg mit einem schwachen Versuch zu scherzen hinzu, »Sie werden dringend gebeten, nicht an den Engelsknaben zu denken.«

      Heinrich schüttelte ernsthaft den Kopf. »Danke. Die Fabel vom blauen Engel können Sie Nürnberger widmen.«

      »Er hat doch wieder einmal recht behalten«, sagte Georg.

      »Er behält immer recht, lieber Georg. Man kann nämlich nie und nimmer betrogen werden, wenn man allem auf Erden mißtraut, sogar seinem eigenen Mißtrauen. Auch wenn Sie Anna geheiratet hätten, hätte er recht behalten… oder es käme Ihnen wenigstens so vor. Aber jedenfalls denk ich… Sie erlauben mir wohl das auszusprechen… ist es gut so, wie es gekommen ist.«

      »Gut? Für mich gewiß«, erwiderte Georg mit absichtlicher Schärfe, als hätte er durchaus nicht die Absicht seine Handlungsweise zu beschönigen. »In Ihrem Sinn Heinrich, war es vielleicht sogar eine Pflicht gegen mich, daß ich ein Ende machte.«

      »Dann war es wohl auch Ihre Pflicht gegen Anna«, sagte Heinrich.

      »Das wird sich doch erst zeigen. Wer weiß, ob ich sie nicht aus ihrer Bahn gerissen habe.«

      »Aus ihrer Bahn?«

      »Erinnern Sie sich noch, wie Leo Golowski einmal von ihr sagte, sie sei bestimmt, im Bürgerlichen zu enden?«

      »Meinen Sie, Georg, eine Ehe mit Ihnen wäre etwas sehr Bürgerliches geworden? Anna war vielleicht geschaffen Ihre Geliebte zu sein – nicht Ihre Frau. Wer weiß, ob nicht der, den sie einmal heiraten wird, allen Grund hätte Ihnen dankbar zu sein, wenn die Männer nicht so rasend dumm wären. Reine Erinnerungen haben ja die Menschen doch nur, wenn sie was erlebt haben. Die Frauen so gut wie wir.«

      Sie spazierten auf dem Sommerhaidenweg weiter, in der Richtung gegen die Stadt, die aus grauem Dunst hervorstieg, und näherten sich dem Friedhof.

      »Hat es eigentlich einen Sinn«, fragte Georg zögernd, »das Grab eines Wesens zu besuchen, das niemals gelebt hat?«

      »Dort liegt Ihr Kind?«

      Georg nickte. Sein Kind! Wie seltsam es immer wieder klang! Sie gingen längs der braunen Holzlatten hin, über die Grabsteine und Kreuze ragten, an einer niedern Ziegelmauer weiter, zum Eingang. Ein Wächter, den sie fragten, wies ihnen den Weg über die breite, mit Weiden bepflanzte Mittelstraße. Auf einem Wiesenplan, hart an den Planken, auf niedern wie zum Spiel aufgeworfenen Hügeln, reihten sich ovale Plättchen aneinander,


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