Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band). Ðртур Шницлер
Читать онлайн книгу.ja…« Er steckte das Kuvert ein und fand, daß es sich seltsamer anfühlte, als andre…
Therese erschien mit einem spanischen Hütchen, zum Fortgehen bereit. »Da bin ich. Auf Wiedersehen, Mama. Zum Nachtmahl komm ich nicht nach Haus.«
Sie ging mit Georg die Treppe hinab, sah ihn vergnügt von der Seite an.
»Wohin darf ich Sie führen?« fragte Georg.
»Nehmen Sie mich nur mit, irgendwo steig ich halt aus.« Sie stiegen ein, der Wagen fuhr davon. Sie fragte ihn um allerlei, worauf er schon in der Wohnung Antwort gegeben hatte, als nähme sie an, daß er jetzt, mit ihr allein, aufrichtiger sein müßte, als vor den andern. Sie erfuhr nichts anderes, als daß er sich in der neuen Umgebung wohl fühlte und daß seine Arbeit ihm Befriedigung gewährte. Ob sein Erscheinen eine große Überraschung für Anna bedeutet hätte? Nein, das nicht, er hatte sie ja verständigt. Und ob es denn wahr sei, daß er zu Ostern wiederkommen wollte? Es sei seine bestimmte Absicht…
Sie schien verwundert. »Wissen Sie, daß ich mir fest eingebildet hatte…«
»Was?«
»Man würde Sie niemals wiedersehen.«
Er erwiderte nichts, etwas betroffen. Dann fuhr es ihm durch den Sinn: Wär es nicht vernünftiger gewesen…? Er saß ganz nahe neben Therese, fühlte die Wärme ihres Körpers wie damals in Lugano. In welchem ihrer Träume mochte sie jetzt leben? In dem wirr-düstern der Menschheitsbeglückung, oder in dem heiter-leichten eines neuen Liebesabenteuers? Sie sah angelegentlich zum Fenster hinaus. Er nahm ihre Hand, die sie ihm nicht entzog, und führte sie an die Lippen. Plötzlich wandte sie sich zu ihm und sagte harmlos: »So, nun lassen Sie halten, hier steig ich am besten aus.«
Er ließ ihre Hand los und sah Therese an.
»Ja, lieber Georg, wohin geriete man«, sagte sie, »wenn man sich nicht…«, sie verzog spöttisch den Mund, »für die Menschheit zu opfern hätte. Wissen Sie, was ich mir manchmal denke…? Vielleicht ist das alles nur eine Flucht vor mir selbst.«
»Warum… warum fliehen Sie?«
»Leben Sie wohl, Georg.« Der Wagen hielt. Therese stieg aus, ein junger Mann blieb stehen, starrte sie an; sie verschwand in der Menge. Ich glaube nicht, daß sie auf dem Schafott enden wird, dachte Georg. Er fuhr in sein Hotel, aß zu Mittag, zündete sich eine Zigarette an, kleidete sich um und begab sich zu Ehrenbergs.
Im Speisezimmer, beim schwarzen Kaffee, mit den Damen des Hauses waren James, Sissy, Willy Eißler und Frau Oberberger anwesend. Georg nahm zwischen Else und Sissy Platz, trank ein Gläschen Benediktiner und beantwortete alle Fragen, die seinem neuen Wirken galten, geduldig und mit Humor. Bald begab man sich in den Salon, und nun saß er eine Weile im erhöhten Erker mit Frau Oberberger, die heute wieder ganz jung aussah und vor allem über Georgs persönliche Erlebnisse in Detmold näheres zu hören wünschte. Sie glaubte ihm nicht, daß er nicht mit sämtlichen Sängerinnen Verhältnisse angeknüpft hatte, wie ihr überhaupt das Theaterleben nur als Anlaß und Vorwand für galante Abenteuer zu gelten schien; jedenfalls bestand sie darauf, über Vorgänge hinter den Kulissen, in den Garderoben und in der Direktionskanzlei Ungeheuerlichkeiten zu vernehmen. Als Georg nicht umhin konnte, sie durch seine Berichte von der bürgerlich anständigen, beinahe philiströsen Lebensweise der Bühnenmitglieder und durch die Schilderung eines eigenen arbeitsvollen Daseins zu enttäuschen, begann sie sichtlich zu verfallen, und bald saß ihm eine gealterte Frau gegenüber, in der er dieselbe erkannte, die ihm im verflossenen Sommer zuerst in der Loge eines weiß-roten Theaterchens und später in einem nun fast vergessenen Traum erschienen war. Dann stand er mit Sissy neben der marmornen Isis, und während des harmlosen Plauderns suchte jeder in den Augen des andern die Erinnerung einer glühenden Stunde unter den tiefen Nachmittagsschatten eines dunkelgrünen Parks. Aber beiden schien sie heute wie in unzugängliche Tiefen versunken. Endlich saß er mit Else an dem kleinen Tischchen, auf dem Photographien und Bücher lagen. Auch sie stellte zuerst gleichgültige Fragen, wie alle andern.
Plötzlich aber, ganz unvermutet und etwas leiser fragte sie: »Wie geht’s denn Ihrem Kind?«
»Meinem Kind…?« Er zögerte. »Sagen Sie mir, Else, warum fragen Sie mich eigentlich…? Es ist ja doch nur Neugier.«
»Sie irren sich, Georg«, erwiderte sie ruhig und ernst, »wie Sie sich ja meistens in mir geirrt haben. Sie halten mich für recht oberflächlich, oder weiß Gott was. Nun, es hat ja keinen Sinn, weiter darüber zu reden. Aber jedenfalls ist es nicht so ganz unbegreiflich, daß ich mich nach dem Kind erkundige. Ich möchte es gern einmal sehen.«
»Sie möchten es sehen?« Er war bewegt.
»Ja. Ich hätte sogar noch eine andre Idee… die Sie aber wahrscheinlich ganz verrückt finden werden.«
»Lassen Sie doch hören, Else.«
»Ich denke mir nämlich, wir könnten es zu uns nehmen.«
»Wer, wir?«
»James und ich.«
»Nach England?«
»Wer sagt Ihnen denn, daß wir nach England gehen? Wir bleiben hier. Wir haben schon eine Wohnung gemietet, im Cottage draußen. Es braucht’s ja niemand zu wissen, daß es Ihr Kind ist.«
»Was für ein romanhafter Gedanke.«
»Gott, warum romanhaft? Anna kann’s doch nicht bei sich haben und Sie doch erst recht nicht. Wo soll’s denn während der Proben stecken? Im Souffleurkasten vielleicht?«
Georg lächelte. »Sie sind sehr gut, Else.«
»Ich bin gar nicht gut. Ich denk nur, warum soll denn so ein unschuldiges kleines Geschöpf dafür büßen, oder darunter leiden, daß… na ja, ich meine, es kann doch nichts dafür… schließlich… Ist es ein Bub?«
»Es war ein Bub.« Er machte eine Pause. Dann sagte er leise: »Es ist nämlich tot.« Und er sah vor sich hin.
»Was? Ach so, Sie wollen sich… vor meiner Zudringlichkeit schützen.«
»Else, wie können Sie denn… Nein, Else. In solchen Dingen lügt man nicht.«
»Also wirklich? Ja, wie ist denn das…«
»Es ist tot zur Welt gekommen.«
Sie sah zu Boden. »Nein, wie schrecklich!« Sie schüttelte den Kopf. »Wie schrecklich!… Nun hat sie mit einemmal gar nichts mehr.«
Georg zuckte leicht zusammen, aber vermochte nichts zu antworten. Wie entschieden es für alle schien, daß die Geschichte mit Anna zu Ende war. Und ihn bedauerte Else gar nicht. Sie ahnte wohl nicht einmal, wie der Tod des Kindes ihn erschüttert hatte. Wie konnte sie es auch ahnen! Was wußte sie von der Stunde, da der Garten seine Farben, der Himmel sein Licht für ihn verloren hatte, weil sein wunderschönes Kind tot drin im Hause lag.
Frau Ehrenberg war herangekommen. Sie drückte Georg ihre besondere Zufriedenheit aus. Sie habe übrigens nie daran gezweifelt, daß er seinen Mann stellen würde, sobald er nur einmal in einem Beruf mitten drin stände. Auch sei sie fest überzeugt: in drei bis fünf Jahren hätten sie ihn hier, in Wien, als Kapellmeister. Georg wehrte ab. Er denke vorläufig gar nicht daran, nach Wien zurückzukehren. Er fühle, daß man draußen im Reich mehr und ernster arbeite. Hier sei man immer in Gefahr, sich zu verlieren.
Frau Ehrenberg stimmte zu und nahm Anlaß, sich über Heinrich Bermann zu beschweren, der als Dichter verstummt sei und sich nebstbei nicht mehr blicken lasse.
Georg nahm ihn in Schutz und fühlte sich verpflichtet, festzustellen, daß Heinrich fleißiger wäre als je. Aber Frau Ehrenberg hatte auch andre Beispiele für den verderblichen Einfluß der Wiener Luft. Nürnberger vor allem, der sich nun vollkommen von der Welt abzuschließen scheine. Und was mit Oskar passiert sei… hätte das in einer andern Stadt als in Wien geschehen können? Ob Georg übrigens wüßte, daß Oskar mit dem Prinzen von Guastalla auf Reisen wäre? Sie tat, als fände sie daran nichts Besonderes, Georg merkte ihr aber an, daß sie ein wenig stolz war und irgendwie die Meinung hegte, als