Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band). Ðртур Шницлер
Читать онлайн книгу.bald zu einer gesicherten und günstigen Position gelangen. Andererseits wäre zu bedenken, daß es gefährlich sei, sich auf allzulange zu binden; eine Karriere wie die des alten Kapellmeisters wäre nicht nach seinem Geschmack. Freilich… die Temperamente seien verschieden, er für seinen Teil glaube sich vor einem ähnlichen Schicksal gefeit.
Anna sah ihn immer nur an, und in einem nachsichtig-spöttischen Ton, wie wenn sie zu einem Kinde spräche, sagte sie endlich: »Nein, wie er sich anstrengt.«
Er war betroffen. »Inwiefern streng ich mich an?«
»Schau, Georg, du bist mir doch nicht Aufklärungen irgendwelcher Art schuldig.«
»Aufklärungen? Du bist aber wirklich… Ich gebe dir doch keine Aufklärungen, Anna. Ich schildere dir einfach, wie ich lebe, und mit was für Leuten ich zu tun habe… weil ich mir schmeichle, daß dich diese Dinge interessieren; – geradeso wie ich dir erzählt habe, wo ich heute und gestern gewesen bin.«
Sie schwieg. Und Georg fühlte wieder, daß sie ihm nicht glaubte, daß sie ein Recht hatte ihm nicht zu glauben – selbst wenn zufällig einmal Wahrheit über seine Lippen kam. Allerlei Worte traten ihm auf die Zunge, Worte des Gekränktseins, des Zorns, der milden Zusprache – jedes schien ihm gleich wertlos und leer. Er erwiderte gar nichts, setzte sich zum Pianino, griff leise Töne und Akkorde. Nun war ihm wieder, als liebte er sie sehr und könnte es ihr nur nicht sagen, und als wäre diese Stunde des Wiedersehens ganz anders geworden, wenn man sie anderswo gefeiert hätte. Nicht in diesem Zimmer, nicht in dieser Stadt; am liebsten an einem Ort, den sie beide nicht kannten, in einer fremden, neuen Umgebung. Ja, dann wäre vielleicht alles wieder geworden, wie es einstmals war. Dann hätten sie einander in die Arme stürzen können – wie einst, in Sehnsucht, zu Wonne – und Frieden. Es fuhr ihm durch den Sinn: Wenn ich ihr nun sagte: Anna! Drei Tage und drei Nächte gehören uns! Wenn ich sie bäte… mit den rechten Worten… ihr zu Füßen, sie anflehte… komm mit mir! komm… Sie widerstände nicht lang! Sie folgte mir gewiß… Er wußte es. Warum sprach er die rechten Worte nicht aus? Warum flehte er sie nicht an? Warum schwieg er, saß am Pianino, abgewandt, griff leise Töne und Akkorde…? Warum?… Da fühlte er auf seinem Haupt ihre weichen Hände. Seine Finger lagen schwer auf den Tasten, irgendein Akkord tönte nach. Er wagte nicht sich umzuwenden. Er fühlte: sie weiß es auch. Was weiß sie…? Ist es denn wahr…? Ja… es ist wahr. Und er dachte der Stunde, nach der Geburt seines toten Kindes – da er an ihrem Bett gesessen und sie schweigend dagelegen war, den Blick in den dämmrigen Garten gerichtet… Schon in jener Stunde hatte sie’s gewußt – früher als er – – daß alles zu Ende war. Und er hob seine Hände vom Klavier auf, nahm die ihren, die noch immer auf seinem Haupt lagen, führte sie an seine Wangen, zog sie selber nach, bis sie wieder ganz nah bei ihm war und langsam auf seine Knie niedersank. Und schüchtern begann er wieder: »Anna… vielleicht… könntest du dich doch entschließen… Vielleicht wär es mir auch möglich, wenn ich telegraphiere, noch ein paar Tage Urlaub mehr zu bekommen. Du, Anna… hörst du… es wäre doch wunderschön…« Ganz in der Tiefe kam ihm ein Plan. Wenn er wirklich mit ihr auf einige Tage fortreiste. Und ihr bei dieser Gelegenheit ehrlich sagte: Es soll zu Ende sein, Anna! Aber das Ende unserer Liebe soll schön sein, wie es der Anfang war. Nicht matt und traurig, wie diese Stunden in deinem Elternhaus……. Wenn ich ihr das – irgendwo auf dem Land, ehrlich sagte… wär es nicht würdiger, ihrer und meiner – und unseres vergangenen Glücks…? Und in diesem Vorsatz wurde er dringender, kühner, leidenschaftlich beinahe… und seine Worte klangen wieder wie vor langer, langer Zeit.
Sie auf seinen Knien, die Arme um seinen Hals, erwiderte leise: »Noch einmal – Georg, mach ich das nicht durch.«
Schon hatte er ein Wort auf den Lippen, mit dem er ihre Befürchtungen zerstreuen konnte. Aber er hielt es zurück. Denn ausgesprochen, hätte es doch nichts anderes bedeutet, als daß er wohl daran dachte, wieder ein paar Stunden der Lust mit ihr zu durchleben, aber daß er nicht geneigt war, irgendeine Verpflichtung auf sich zu nehmen. Er fühlte es: um sie nicht zu verletzen, hätte er nur dies eine sagen dürfen: du gehörst mir für immer! Du sollst ja ein Kind von mir haben! Zu Weihnachten, zu Ostern spätestens hol ich dich – und nie mehr werden wir voneinander getrennt sein. Er fühlte, wie sie dieses Wort mit einer letzten Hoffnung erwartete – mit einer Hoffnung, an deren Erfüllung sie selbst nicht mehr glaubte. Aber er schwieg. Wenn er ausgesprochen hätte, was sie ersehnte, so hätte er sich aufs neue gebunden und – nun wußte er es – so tief, wie er es noch nie gewußt, daß er frei sein wollte.
Immer noch ruhte sie auf seinen Knien, ihre Wange an seine Wange gelehnt; sie schwiegen lang und wußten, daß dies der Abschied war.
Endlich, entschlossen sagte Georg: »Wenn du also nicht mit mir kommen willst, Anna, dann reise ich ganz direkt zurück – morgen. Und wir sehen uns erst im Frühjahr wieder. Bis dahin gibt’s wieder nur Briefe. Es sei denn, daß ich zu Weihnachten, wenn’s möglich ist…«
Sie hatte sich erhoben und lehnte am Klavier. »Schon wieder ist er leichtsinnig«, sagte sie. »Ist es nicht am Ende sogar besser, wenn wir uns erst nach Ostern wiedersehen?«
»Warum besser?«
»Bis dahin wird – alles noch viel klarer sein.«
Er wünschte sie nicht zu verstehen. »Du meinst, wegen des Vertrags? Ja… da muß ich mich schon in den nächsten Wochen entscheiden. Die Leute wollen ja wissen, woran sie sind. Andererseits, auch wenn ich unterschriebe, auf drei Jahre, und es kämen andere Chancen, gegen meinen Willen werden sie mich nicht halten. Aber bis jetzt scheint es wirklich, daß der Aufenthalt in der kleinen Stadt mir sehr förderlich ist. Nie hab ich so intensiv arbeiten können, wie dort. Hab ich dir nicht geschrieben, wie ich manchmal nach dem Theater bis drei Uhr früh an meinem Schreibtisch gesessen bin? Und war um acht ausgeschlafen und frisch!«
Sie sah ihn immer nur an, mit einem Blick, schmerzlich und nachsichtig zugleich, der ihn wie ein Blick des Zweifels berührte. Hatte sie nicht einmal an ihn geglaubt! Hatte sie nicht in einer halbdunkeln Kirche vertrauensvoll und zärtlich zu ihm gesprochen: »Ich will zum Himmel beten, daß ein großer Künstler aus dir werde.« Wieder war ihm, als hielte sie längst nicht mehr so viel von ihm, als in früherer Zeit. Er fühlte sich beunruhigt und fragte sie unsicher: »Du erlaubst doch, daß ich dir meine Violinsonate schicke, sobald sie fertig ist? Du weißt, auf niemandes Urteil geb ich so viel, wie auf deins.« Und er dachte: wenn ich sie mir doch als Freundin erhalten könnte… oder einmal wiedergewinnen… als Freundin… Wird es möglich sein?
Sie sagte: »Du hast mir auch von ein paar neuen Phantasiestücken geschrieben, für Klavier allein.«
»Ganz richtig. Sie sind aber noch nicht ganz fertig. Aber ein anderes, das ich… das ich… er fand es selbst töricht, daß er zögerte – heuer im Sommer komponiert habe, an dem See, wo diese arme Person ertrunken ist, die Geliebte Heinrichs, das kennst du ja auch noch nicht. Könnt ich nicht… ich spiel dir’s vor, ganz leise, willst du?«
Sie nickte und schloß die Tür. Dort, hinter ihm blieb sie regungslos stehen, als er begann.
Und er spielte. Er spielte das kleine, leidenschaftlich-schwermütige Stück, das er an seinem See komponiert hatte, als Anna und das Kind für ihn völlig vergessen waren. Es erleichterte ihn sehr, daß er es ihr vorspielen durfte. Sie mußte ja verstehen, was diese Töne zu ihr sprachen. Es war gar nicht möglich, daß sie es nicht verstand. Er hörte sich selbst gleichsam sprechen aus diesen Tönen; ja ihm war, als verstände er jetzt erst völlig sich selbst. Leb wohl, Geliebte, leb wohl. Es war schön. Und nun ist es vorbei… Leb wohl Geliebte… Was uns beiden gemeinsam bestimmt war, haben wir durchlebt. Und was nun kommen mag, für mich und für dich, wir werden einander etwas Unvergeßliches bedeuten. Nun geht mein Leben einen andern Weg… Und deines auch. Es muß vorbei sein… Ich hab dich geliebt. Ich küsse deine Augen… Ich danke dir, du Gütige, Sanfte, Schweigende. Leb wohl, Geliebte… Leb wohl… Die Töne verklangen. Er hatte nicht von den Tasten aufgesehen, während er spielte; jetzt wandte er sich langsam nach ihr um. Ernst, mit leise zitternden Lippen stand sie hinter ihm. Er faßte ihre Hände und küßte sie. »Anna, Anna… !« rief er aus. Das Herz wollte ihm zerspringen.
»Vergiß mich nicht ganz«, sagte sie