Leopold von Ranke: Historiografische Werke. Leopold von Ranke

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Leopold von Ranke: Historiografische Werke - Leopold von  Ranke


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konstitutionellen Formen verbunden sind, nachzugeben. Er hätte sonst einfach die belgische Verfassung herübergenommen und sich den Anschauungen der Frankfurter Versammlung angeschlossen. Daß er es nicht tat, kann als die vornehmste Handlung, wenigstens als die nachwirkendste seines Lebens betrachtet werden.

      Nach beiden Seiten hin erhielt er das Selbst des preußischen Staats. In der Verfassung behauptete er den Nerv des monarchischen Prinzips, in bezug auf das Deutsche Reich bezwang er seinen Ehrgeiz und ließ sich nicht durch den geheimen Wunsch seines Herzens dazu verführen, das Prinzip zu verleugnen, welches er bekannt und auf seine Fahne geschrieben hatte. Dazu gehörte ein Mann von der idealen und doch strengen, der im einzelnen biegsamen und im ganzen festen Gesinnung, von der geistvollen, aber in die Institutionen und das Leben alter Zeit versenkten Weltauffassung, die ihm eigen waren. Eine Überzeugung von einer Nachhaltigkeit und Tiefe, wie sie ihm innewohnte, war erforderlich, um die konservativen Grundsätze, die aus einer großen Vergangenheit stammten, nicht untergehen zu lassen für Zukunft und Welt.

      Dabei ist aber nicht zu verkennen, daß zwischen seinen Ideen und ihrer praktischen Durchführung bei den ganz veränderten Umständen ein weiter Abstand eintrat. Sein nach vielen Richtungen hin anstrebender Geist bildete eine neue Schwierigkeit für die Verwaltung. Mit der verdienstvollen Bureaukratie, die er vor sich fand, konnte er sich nie verständigen, da er sie unaufhörlich nach einem Sinne lenken wollte, der nicht der ihre war. Dieser Widerstreit gab seiner Regierung den Charakter der Unsicherheit und des Schwankens; aber die Entwicklung der innern Lebenskräfte hat dabei nicht gelitten. Wenn man sich des Zustandes erinnert, in welchem er die Regierung übernommen hatte, – mit patriarchalischer Fürsorge waltend, aber zugleich trocken und einseitig gebieterisch, – wie war unter ihm alles so ganz verändert, von Leben und eigner Regsamkeit erfüllt, freilich nicht ohne tiefe Gärung.

      In der Politik kann man überhaupt zwei Direktionen unterscheiden: das Ergreifen der beherrschenden Ideen und die Verwaltung der laufenden Geschäfte. Glücklich der Regent, für den beide zusammenfallen und ein einziges Ganze bilden! An Friedrich Wilhelm IV. tadelten die Mitlebenden, daß er die jeweiligen Zeitumstände nicht entschlossen genug benutze, so daß er mit all den Mitteln, über die er verfügen könne, doch nichts ausrichte; seine auf Zustände der Vergangenheit begründete Doktrin hindre ihn, in die Fragen des Tages energisch einzugreifen, und gebe seiner Tätigkeit selbst eine falsche Richtung; sein stetes Schwanken mache jeden Erfolg unmöglich und entziehe ihm das allgemeine Vertrauen. Und so mag es scheinen, wenn man die Verhandlungen, soweit sie bekannt wurden, in ihren Einzelheiten auffaßt und danach urteilt. Der Briefwechsel aber, von dem wir einen Auszug mitgeteilt haben, und der sich in die Höhe der maßgebenden Gedanken erhebt, führt doch zu einer andern Ansicht.

      In der Mitte der miteinander ringenden Weltkräfte, die einander das Gleichgewicht hielten, war für den preußischen Staat eine neutrale Politik geboten, nicht eigentlich um das Gleichgewicht zu erhalten, sondern vor allem um sich selbst zu behaupten. Erwägungen von religiös-moralischem Inhalt über Recht und Unrecht der streitenden Parteien oder Staatsgewalten übten Einfluß auf die Entschließungen Friedrich Wilhelms. Aber überdies hatte er jeden Augenblick das lebendigste Bewußtsein seiner eignen Stellung, die ihm Rücksichten und selbst Nachgiebigkeiten auferlegte. Und immer schwebte ihm die Bedeutung des Moments für die Zukunft vor Augen. Die Welt sah in seinem Verhalten häufig charakterlose Oscillation und Unentschlossenheit, nicht die dabei doch immer vorwaltende einheitliche Direktion. Heutzutage aber ist es möglich, den Blick über den momentanen Eindruck hinaus auf das Konstante in der Politik des Königs zu richten. Dann treten doch, wenn wir uns nicht täuschen, die Wirkungen derselben für den preußischen Staat und Deutschland als überaus bedeutend hervor: der heutige Zustand beruht größtenteils darauf.

      Ein unendlich wichtiger Schritt war es doch, daß er die absolute Monarchie, wie er sie von seinen Vorfahren überkommen, mit einer ständischen und deliberativen Institution in Verbindung brachte, die, wie sie sich auch entwickeln mochte, allemal der monarchischen Gewalt Schranken gezogen haben würde. Er kam damit nicht zu dem Ziele, das ihm vorschwebte; die liberalen und selbst die demokratischen Ideen gewannen die Oberhand. Dann war es seine vornehmste Absicht, in der neuen Verfassung die wesentlichen Bedingungen der Monarchie zu retten. Ihm vor allem gehören die Bestimmungen der Verfassung an, die das finanzielle Bestehen des preußischen Staates von der Fluktuation der Parteien und dem jeweiligen Übergewicht der Opposition unabhängig machen; dem Königtum hat er seine unmittelbare Autorität über das Heerwesen gesichert: man darf darin wohl die beiden Grundpfeiler der Monarchie in dem konstitutionellen Preußen erkennen.

      Indem Friedrich Wilhelm IV. die Kaiserkrone unter den Bedingungen und Umständen, unter denen sie ihm angeboten wurde, ablehnte, hat er doch die Erwerbung derselben in andern Formen unter einer veränderten Weltlage möglich erhalten und selbst angebahnt. Sein Grundgedanke, einen Bundesstaat zustande zu bringen, unabhängig von Österreich, aber nicht feindselig gegen diese Macht, hat sich nach den großen Kämpfen, die seitdem ausgefochten worden sind, zuletzt realisiert. Er beherrscht gegenwärtig die Situation von Deutschland und Europa.

      Mit dem zweiten französischen Imperator in unmittelbaren Hader zu geraten, vermied Friedrich Wilhelm IV. sorgfältig und rücksichtsvoll, aber in dem Auftreten desselben auf Grund der revolutionären und militärischen Erinnrungen, in den innern Trieben der Dinge, von denen die Macht des Gebieters sich herschrieb und die ihn fortreißen konnten selbst ohne seinen Willen, erblickte er eine Gefahr für den territorialen Bestand von Europa und Deutschland, vor allem auch des preußischen Staats. In der Voraussicht eines bevorstehenden Kampfs suchte er ein der alten Bundesgenossenschaft entsprechendes Verhältnis zu Rußland aufrecht zu erhalten. Das Verdienst, das er sich in einem gefährlichen Augenblick um dieses Reich erwarb, hat für den preußischen Staat, als es zu dem vorausgesehenen Angriffe kam, segensreiche Frucht getragen.

      Sein ganzes Leben hindurch ist Friedrich Wilhelm bemüht gewesen, in freundschaftlicher Verbindung mit England zu stehen, ohne sich von vorübergehenden Wechselfällen in der Politik der verschiednen Ministerien zurückstoßen oder fortreißen zu lassen. In einer glücklichen dynastischen Verbindung hat dies Bestreben seinen Abschluß gefunden; es hat zu einem besseren Verständnis der Nationen und Regierungen geführt.

      Mit alledem gelangte Friedrich Wilhelm IV. noch nicht in eine feste und gesicherte politische Lage. Nach jener Abkunft von Olmütz gestaltete sich das Verhältnis zu Österreich in dem wiederhergestellten Bunde unerträglich für Preußen und Deutschland. Sollte das Ziel erreicht werden, das er angestrebt hatte, die Errichtung und Leitung eines Bundesstaates, so mußte man den vorwaltenden Meinungen einen Schritt näher treten, denn sie hatten doch auch ihrerseits eine historische Berechtigung und waren zu tief gewurzelt und zu mächtig, um ihnen nicht Rechnung zu tragen; überdies mußte man sich entschließen mit Österreich zu brechen. Wenn wir recht unterrichtet sind, so war der König am Ende seiner Tage dazu geneigt. Er hatte alles versucht, um mit Österreich Hand in Hand zu gehen, aber vergeblich. Für jenen Entwurf zu einer Expedition nach der Schweiz versagte Österreich seine Zustimmung, wenn sie auch nicht weiter gehe als zur Herstellung des preußischen Königshauses in Neuenburg. In den deutschen Angelegenheiten kam es so weit, daß der König in Wien erklären ließ, seine Nachgiebigkeit habe ihre Grenzen; wenn Österreichs Verhalten mit der Pflicht kollidiere, welche er als König von Preußen für Deutschland habe, so werde er nicht weichen. Er hat das bedeutungsvolle Wort ausgesprochen: es könne wohl geschehen, daß die beiden Mächte am weißen Berge – er zielt auf jene Schlacht von 1620 – noch einmal ihre Kräfte messen würden. Seine Reise nach Wien im Jahre 1857 war darauf berechnet, die Zwistigkeiten zu beseitigen. Es gehörte zu den schmerzlichen Eindrücken seiner letzten Tage, daß er das unmöglich fand. Männer, die ihm nahe standen, versichern, er habe sich ernstlich mit dem Gedanken beschäftigt, den Kampf aufzunehmen. Ihm war es jedoch nicht beschieden, den alten Antagonismus, dessen Ausbruch er noch zurückgehalten hatte, zur Entscheidung zu bringen. Denn nur einen Moment in der Geschichte bildet ein einzelnes Leben.

      56. Der Krieg gegen Österreich 1866

       Inhaltsverzeichnis

      Glückwunschschreiben an König


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