Leopold von Ranke: Historiografische Werke. Leopold von Ranke

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Leopold von Ranke: Historiografische Werke - Leopold von  Ranke


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Vorkommnisse, welche die Jugend gleichsam mit einem allgemeinen Leben erfüllten, vergessen sich nicht. Wer hätte nicht den Fall dieser Größe mit einer Teilnahme, die freudige Bewunderung war, bis zum Ende begleitet? Er verschwand also, aber sein Wort schien sich zu bewähren, daß nach ihm die Revolution die Runde durch die Welt machen würde. Aus den Schwankungen der Geschicke sahen wir dann einen zweiten Napoleon aufsteigen, der den Ruhm des Kaisertums wiederherzustellen bestimmt schien. Von den kontinentalen Feinden, denen der Oheim unterlegen war, überwand der Neffe die beiden mächtigsten: Rußland und Österreich; bei dem Kampf mit dem dritten erlag er selbst. Seine Stellung war nicht die alte des ersten Napoleon, denn den Kampf gegen England, welcher fast das wesentlichste Moment in dem Leben des Oheims gewesen war, gab der Neffe, der dort ein Asyl gefunden hatte, vollkommen auf. Aber auf dem Kontinent war er doch eine Zeitlang der mächtigste aller Fürsten. Ihm verdankt Italien seine Regeneration; Frankreich nahm unter ihm eine Zeitlang die erste Stelle unter den Mächten ein. Ich beschreibe wohl noch einmal, wie ich ihn auf dem Gipfel seiner Macht in den Tuilerien gesehen und gesprochen habe. Aber seiner Größe war ein baldiges Ziel gesetzt; er erlag dem ersten Ansturm der sich wieder fühlenden deutschen Nation. Eine Restauration seiner Macht schien noch immer vorbehalten zu sein. In England hat man in seinem Sohne, wenn er zur Regierung komme, einen befreundeten Nachbar zu bekommen gehofft. Da ist nun auch der, und zwar durch eine unverzeihliche Nachlässigkeit der Engländer, denen er sich anschloß, dem Schicksal verfallen. Die Napoleoniden leben noch als Prätendenten, wie einst die verjagten Stuarts; ein großes tragisches Geschick hat sich in dieser Familie vor unsern Augen vollzogen.

      53. Der deutsche Zollverein

       Inhaltsverzeichnis

      Zur Geschichte Deutschlands und Frankreichs. Werke Bd. 49 u. 50 S. 294 ff. Geschrieben Ende 1832.

      In welch eine unselige Nichtigkeit und Abhängigkeit vom Auslande war der deutsche Verkehr durch die zusammenwirkenden Erfolge des napoleonischen Systems, der Kriege und des Friedens geraten! So tätig und gewerbsam die Nation sein mag, so war doch ohne eine festere Stellung gegen das Ausland, ohne befreiende innre Maßregeln eine wahrhafte Ermannung nicht möglich und alle Bemühung zur Hilfe vergeblich. Von allgemeinen Unterhandlungen unter den verschiednen deutschen Staaten, von gemeinschaftlichen Verabredungen im voraus ließ sich nichts erwarten, da der Gegenstand allzu tief mit dem Haushalt jedes einzelnen zusammenhing. Durch seine Lage darauf angewiesen, durch seine Bedürfnisse genötigt griff endlich Preußen auf eigne Hand, für sich allein zu rettenden Maßregeln. Was die tiefsten Geister, die sich je mit Staatswirtschaft beschäftigt, in reiner Anschauung der Realität der Dinge gefunden und gelehrt, hatte Preußen unter allen Staaten zuerst den Mut zur Ausführung zu bringen. Solange sich die fremden Staaten nicht zur Reziprozität verstanden, mußte es sich ihnen freilich noch immer entgegensetzen, aber wesentlich adoptierte es die Grundsätze eines freien innern Verkehrs, eines freien Handels nach außen. Diese Grundsätze erprobten sich in ihrem Erfolge über alle Erwartung.

      Allerdings trennte es sich hiermit zugleich von dem übrigen Deutschland, es sonderte sich selbst von seinen Nachbarn mit Entschiedenheit ab, und die innre Trennung Deutschlands schien damit eher zu wachsen. Aber gerade in dieser Stellung lag die Möglichkeit einer Abhilfe des vornehmsten Übels. Es gab ein Mittel, durch welches man sich mit einem Male sowohl der innern Trennung entledigen als in eine respektable Verfassung gegen das Ausland setzen konnte; man brauchte sich nur dem preußischen System anzuschließen. Dazu bot Preußen die Hand. Oder wäre dieses System darum nicht anzunehmen, weil es nicht durch gemeinschaftlichen Beschluß zustande gekommen, sondern von einem einzelnen Staate ausgegangen war? Ich sollte nicht denken; wenn es sich nur gut und nützlich erwies. Hatte es doch jetzt sogar den Vorteil schon erprobt zu sein.

      Zu einer solchen Vereinigung geschah der erste entscheidende Schritt von dem Großherzogtum Hessen; bald ist ein zweiter gefolgt von dem Kurfürstentum Hessen. Der Kreis der Unterhandlungen hat sich immer mehr erweitert; der größere Teil der deutschen Staaten steht auf dem Punkt, demselben System beizutreten. Für den gewerblichen Zustand Deutschlands war dreierlei erforderlich: Befreiung des innern Verkehrs, feste Stellung gegen das Ausland, Berücksichtigung der finanziellen Bedürfnisse der verschiedenen Länder. Wir dürfen sagen, durch eine Vereinigung, wie sie nahe zum Ziel gediehen ist, würden diese Forderungen sämtlich erledigt werden. Die Schlagbäume, die ein Gebiet von dem andern trennen, würden fallen; für das einheimische Gewerbe würde sich ein Markt eröffnen, wie ihn Deutschland niemals gekannt hat; alle mit dem Handel zusammenhängenden Lebenszweige würden durch ihre eigne Regsamkeit, ihre eigne Kraft emporkommen. Die gewerbliche Intelligenz von Deutschland könnte erst in Zukunft recht zeigen was sie vermag, wessen sie fähig ist. Wenn nun hierdurch die Konkurrenz mit dem Auslande zu einer noch ganz andern Bedeutung steigen müßte, als die sie bisher erreicht hat, so würde man jetzt erst vollkommen frei von demselben; man würde seine Willfährigkeiten und seine Verletzungen gemeinschaftlich zu erwidern imstande sein. Was vor fünfzehn Jahren kaum wenige Privatleute in flüchtiger Hoffnung in Gedanken zu fassen, aber nicht einmal zu einem Umriß der Ausführbarkeit, zu einer haltbaren Aussicht zu bringen vermochten, würde man ruhig, ohne Erschütterung zu allgemeinem Nutzen ausgeführt sehen. Wer wollte sich an kleine Unbequemlichkeiten stoßen? Durch große nationale Vorteile würden sie ausgewogen werden. Es sind dies so klare Sachen, daß sie niemand bezweifeln sollte.

      Eher könnte man fragen, wie es möglich sein werde dem finanziellen Bedürfnis zu genügen, da doch so viele innre Grenzen und mit ihnen die Erträge der daselbst befindlichen Zölle wegfallen. Auch dies aber macht keine wesentliche Schwierigkeit. Der vornehmste Ertrag der Zölle kommt von ausländischen Produkten her. Die Eingangsabgaben von Zucker, Kaffee, Gewürzen, Südfrüchten, Tabaksblättern, nichtdeutschen Weinen und geistigen Getränken liefern allein fünf Sechstel alles Einkommens der preußischen Eingangszölle. Da diese Artikel für sämtliche Staaten fremd sind und ihr Verbrauch der nämliche bleiben oder vielmehr mit der zunehmenden Einwohnerzahl steigen muß, so wird das Einkommen, das sie liefern, gleichviel an welcher Stelle es gehoben werde, dasselbe bleiben und keiner wird etwas an ihnen verlieren. Was ja an Eingangszöllen andrer Waren an den innern Grenzen verloren ginge, würde man nicht vermissen. Schon die Kosten, welche die Bewachung dieser Grenzen verursacht, würden wegfallen; wieviel überwiegende Vorteile aber lassen sich von dem Aufschwung der Gewerbe erwarten!

      Und wolle doch auch niemand sagen, daß der mächtigste Staat hierdurch zu einem ungebührlichen politischen Einfluß gelangen werde. Wie derselbe die Vereinigung niemals angetragen, sondern sie sich allemal hat antragen lassen, so ist wohl selten eine Verhandlung so rein von politischen Nebenzwecken geblieben wie diese. Die Staaten werden einander völlig gleichstehen. Darmstädtische Bevollmächtigte beaufsichtigen die preußischen Einrichtungen, so gut wie preußische die darmstädtischen. Alle Schwierigkeiten wird man in gemeinschaftlicher Beratung erledigen. Allerdings wird dadurch die Vertraulichkeit und Vereinigung zwischen den verschiednen Staaten, durch die notwendige Verschmelzung des Verkehrs zwischen den Völkerschaften und vor allem zwischen den Regierungen, um vieles größer werden. Aber wäre dies ein Unglück? Ist es nicht vielmehr immer das Bedürfnis der Nation, der Wunsch ihrer besten Männer gewesen? Gäbe es eine solche Möglichkeit nicht, so müßte man darauf denken sie herbeizuführen. Wieviel weniger darf man diejenige verschmähen, die man ungesucht in Händen hat!

      54. Die Ablehnung der deutschen Kaiserwürde 1849

       Inhaltsverzeichnis

      Zur Geschichte Deutschlands und Frankreichs. Werke Bd. 49 u. 50 S. 508 ff. Briefwechsel Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen.


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