Leopold von Ranke: Historiografische Werke. Leopold von Ranke
Читать онлайн книгу.er mit seinem Bruder Konstantin gesprochen, sich überzeugt erklärt, daß dem so sei. Konstantin selbst stand an der Spitze dieser Opposition, man könnte sagen eines russischen Partikularismus, der sich nach der Entscheidung von Friedland in doppelter Stärke erhob. Es ist damals mit Bestimmtheit erzählt worden, der Großfürst habe den Kaiser an seinen Vater erinnert, der durch seine politische Halsstarrigkeit eine gräßliche Katastrophe über sich hereingezogen habe. Wenn es sich auch nicht so verhielte, wurde doch der Kaiser durch die Stimmung, welche seine Armee kundgab, dahin gebracht, daß er den Krieg in der angefangnen Weise nicht mehr fortsetzen zu können glaubte. Es gab sich ein Widerwille gegen die Fortsetzung des Krieges kund, den man am preußischen Hofe bitter empfand, wie er denn auch in bezug auf die Waffengemeinschaft sehr ungerechtfertigt war. Die Russen begehrten eine Übereinkunft mit Napoleon, vor welcher die Ideen ihres Kaisers zugunsten einer allgemeinen Restauration zurücktreten mußten.
Der Friede, welchen Rußland und Frankreich zu Tilsit schlossen, war zugleich Allianz gegen England. Indem die beiden großen Mächte gleichsam die Herrschaft über Europa miteinander zu teilen den Anlauf nahmen, mußten ihnen die Angelegenheiten eines so machtlosen Staats, wie damals der preußische war, in den Hintergrund treten. Für Preußen war der Umschwung der Dinge, die Vereinigung der Mächte, die soeben noch in heftigem Kampfe gestanden, verhängnisvoll. Vor der Schlacht von Friedland konnte Hardenberg sich schmeicheln, sein Ziel, das Zustandebringen einer großen Koalition gegen Napoleon, demnächst wirklich zu erreichen. Er zweifelte nicht, daß England seinem System der Sparsamkeit entsagen, wirkliche und nachhaltige Hilfe leisten würde. Die in London eingeleiteten Unterhandlungen führten soeben zu einem Vertragsentwurf, den die engste Vereinigung anzukündigen schien. Die Differenzen über Hannover waren bereits geschlichtet. Preußen hatte sich bereit erklärt, nicht nur das ihm gebliebene Gebiet aufs äußerste zu verteidigen, sondern auch alle Kräfte zur Wiedererlangung des Verlornen anzustrengen. Dazu verhieß England die für damalige Verhältnisse sehr beträchtliche Summe von einer Million Pfund in verschiedenen Raten beizusteuern. Jetzt aber ließ sich diese Konvention430 nicht mehr ausführen. An sich war es dem Minister Hardenberg erwünscht, daß ein englischer Bevollmächtigter, Lord Gower, in diesem Augenblick in Memel eintraf. Er hatte die Absicht, denselben zu den Konferenzen in Sczawl herbeizuziehen; schon war jedoch die Abneigung der Russen gegen eine Verbindung mit England eine so ausgesprochene, daß Hardenberg selbst den englischen Bevollmächtigten bitten mußte, nicht zu kommen. Statt mit England die beabsichtigte Koalition gegen Napoleon zustande zu bringen, wurde Preußen vielmehr genötigt sich der Allianz Frankreichs und Rußlands gegen England anzuschließen. Der preußische Staat hatte eben keinen selbständigen Willen mehr; sein Schicksal hing überhaupt von dem Verhältnis der beiden Kaiser und der beiden Reiche ab.
Auf seine Weise hatte Napoleon eine Zusammenkunft mit dem Zaren, wie denn von einer solchen schon vor der Schlacht bei Austerlitz die Rede gewesen war, in Vorschlag bringen lassen. Alexander ging jetzt mit einer Art von hastiger Begier, den großen Gegner, der ihm in der Welt gegenüberstand, kennen zu lernen, auf diesen Vorschlag ein. Die Zusammenkunft fand am 25. Juni statt, und zwar, nach Sitte der ältesten Zeit, auf dem Fluß, der die Gebiete scheiden sollte. Auf dem Niemen war eine Flöße hergerichtet, auf der man einen anmutig verzierten Pavillon angebracht hatte, in welchem zuerst Napoleon und Alexander zusammentrafen, denen sich später Friedrich Wilhelm III. beigesellte. Daß dabei von den großen Geschäften gesprochen worden sei, ist doch nicht so gewiß, als man annimmt; bei seiner Rückkehr hat Alexander ausdrücklich versichert, es sei von nichts Wichtigem die Rede gewesen. Auf den König von Preußen hatte es fast den meisten Eindruck gemacht, daß Napoleon die preußische Militärverfassung kritisierte, besonders die Stellung der Hauptleute, welche ihnen Gelegenheit zur Bereicherung verschaffe. Der König bemerkte: das habe er immer gesagt; aber er zeigte doch einige Verstimmung darüber.
Abgesehen von allem Nebensächlichen muß die Zusammenkunft als eine der großartigsten Erscheinungen der neuern Weltgeschichte betrachtet werden. Das Oberhaupt des revolutionären Frankreichs, der kriegsgewaltige Korse, erschien den Nachfolgern Friedrichs II. und Katharinas II. gegenüber nicht allein als ebenbürtig, sondern als ihr Besieger. Der Kaiser von Rußland und der König von Preußen begleiteten ihn bei seinen Truppenbesichtigungen, gleich als seien sie, wie man damals gesagt hat, seine Adjutanten. Napoleon machte in der Mitte seiner Generale den Eindruck unüberwindlicher Energie und Superiorität. Patriotische Preußen, die ihn sahen, haben ausgesprochen, niemand werde ihn zugrunde richten, er werde alles zermalmen; sie betrachteten ihn als den Mann des Schicksals. Weniger wurde er am Hofe der Königin von Preußen bewundert. Die Damen derselben haben ihn als den inkarnierten Erfolg bezeichnet, mit einer Art von Widerwillen. Das Allerfalscheste war es wohl, die stolze und schöne Königin mit ihm in Berührung zu bringen, das Gemüt, welches sich über erfahrene Beleidigungen431 hinwegsetzt, um dem Lande zu nützen, mit dem Manne des Kalküls, der nur die zukünftigen Erfolge berechnet. Auf den Grund, daß Napoleon geäußert hatte, er wolle den König gut behandeln, wenn man ihm nur Vertrauen beweise, hat die Königin ihn zu großherziger Mäßigung aufgefordert, denn nur dadurch werde er den König zu seinem Freunde machen, aber unmöglich werde das sein, wenn er ihn schwäche und erniedrige. Napoleon war liebenswürdig, wie er zu sein wußte; er ließ freundschaftliche Versicherungen verlauten, welche die Königin mit Hoffnung erfüllten. Aber des andern Tags sagte er laut, das seien alles nur Phrasen der Höflichkeit gewesen. Es sah es als einen Triumph an, daß die vielgerühmte, noch immer in Schönheit strahlende Fürstin, der er Geist und Beredsamkeit zuschreibt, sich bewegen ließ ihn zu bitten; er gefiel sich in dem Gedanken, daß er standhaft genug gewesen sei ihren Bitten kein Gehör zu geben.
Wie er seine imperatorischen und dynastischen Entwürfe an der Saale und Elbe gefaßt hatte, so wollte er sie jetzt zur Ausführung bringen. Hardenberg hatte sich geschmeichelt, durch persönliche Unterhandlungen noch etwas auszurichten; Graf Kalckreuth,432 der zuerst zu Napoleon geschickt wurde, war eigentlich nur bestimmt die Unterhandlung zu eröffnen, die Hardenberg dann führen sollte. Aber die Art und Weise Napoleons war es, die Handlungen seiner Gegner und ihrer Minister zu verfolgen. Hardenberg war ihm vorlängst widerwärtig gewesen; er war der Vermittler einer werdenden Koalition, die jetzt auseinandergesprengt worden war. Mochte nun Napoleon von dem Vertrage zu Bartenstein Kenntnis haben oder nicht, so viel leuchtete aus der ganzen Haltung Hardenbergs hervor, daß er in den Ideen einer künftigen Restauration lebte. Napoleon weigerte sich mit ihm zu unterhandeln; er wollte ihn nicht als Minister der auswärtigen Angelegenheiten am preußischen Hofe dulden. Den Grund, den er angab, war, daß Hardenberg einst, indem er einen Besuch Laforests433 zu empfangen vermied, die französische Nation und ihn selbst beleidigt habe. Zu den Erfolgen des Sieges gehörte es, daß der Mann, in dem sich die Idee der Teilnahme Preußens an dem Widerstand gegen die allgemeine Domination Frankreichs hauptsächlich repräsentierte, aus den Geschäften entfernt wurde. Kalckreuth war nun gewiß der Mann nicht, um den französischen Anforderungen widerstehen zu können; er nahm einen Waffenstillstand an, wie man ihn von französischer Seite verlangte, so viel sich auch dagegen einwenden ließ. Man gesellte ihm den aus St. Petersburg gekommenen Grafen Goltz bei, aber auch der konnte nicht zu der mindesten Einwirkung gelangen.
Alles wurde dadurch bestimmt, daß Napoleon aus dem Machtbereich und Gebiet von Preußen zwei neue Staaten bildete, aus den polnischen Gebieten das Herzogtum Warschau, das dem Könige von Sachsen zu teil wurde, und im Westen der Elbe das Königreich Westfalen, dem er seinen jüngsten Bruder Hieronymus zum König gab. Das neue Königreich wurde aus den Gebieten der alten verbündeten Häuser Hessen und Braunschweig und den preußischen Landschaften jenseit der Elbe zusammengesetzt. Es waren die ältesten, unvermischtesten deutschen Volksstämme, die jetzt einem französischen Machthaber unterworfen wurden. Dadurch wurde nun der Rheinbund, den Preußen hatte bekämpfen wollen, mächtig verstärkt. Napoleon benachrichtigte seinen Bruder von der Erhebung auf den Thron am 7. Juli, unmittelbar nach dem Abschluß mit Rußland, ehe er mit Preußen abgeschlossen oder auch nur unterhandelt hatte. Über den Frieden von Tilsit, insofern er Preußen betraf, ist eigentlich mit dieser Macht