Leopold von Ranke: Historiografische Werke. Leopold von Ranke
Читать онлайн книгу.der Kurfürst werde kommen; hätte er etwas anderes im Sinn, das wäre von einem deutschen Fürsten nie erhört. Noch am 28. Februar schrieb er dem Kurfürsten von Brandenburg, er versehe sich zu Moritz alles Gehorsams, guten und geneigten Willens. Aber einen größeren Meister in der Verstellung hat es wohl kaum je gegeben, als Moritz war. Keiner von seinen alten Räten, Carlowitz so wenig wie die anderen, hatte Kunde von seinen Entwürfen. Noch von Schweinfurt aus, am 27. März, hat er die Bitte um Loslassung des Landgrafen erneuert, unter dem Vorgeben, daß er sich sonst in das Gefängnis der Kinder desselben einstellen müsse. Und doch vereinigte er in diesem Augenblicke schon sein Heer mit dem Kriegshaufen eben dieser jungen Landgrafen, durch alle denkbaren Verträge gebunden, dem Kaiser selber zu Leibe zu gehen.
Der Kaiser glaubte wohl, als die Sache ernster ward, es sei auf nichts andres abgesehen als eben auf die Befreiung des Landgrafen. Allein die Ausschreiben der verbündeten Fürsten, die in einem Moment durch Deutschland flogen, belehrten ihn bald eines andern. Nicht allein von dieser Befreiung war darin die Rede, sondern eine ganze Reihe Beschwerden geistlicher und weltlicher Natur ward darin namhaft gemacht. Da leuchtete nun wohl ein, daß es auf eine Abänderung des ganzen kaiserlichen Regiments, wie es in und nach dem schmalkaldischen Krieg eingerichtet worden, abgesehen sei. Noch einmal erhob sich die ungebändigte Freiheit des alten Germaniens gegen die Ordnung und Gewalt, welche der Sieger gegründet hatte und zu gründen im Begriff war. Und zwar standen eben diejenigen an der Spitze, die früher von ihren Glaubensgenossen abgefallen, die Niederlage derselben befördert, die Partei des Kaisers gehalten hatten, die Mächtigsten und Kriegsgeübtesten. Die Antipathieen der Religion, die durch alle die bisherigen offenen oder indirekten Angriffe und durch die Bedrohungen des Konzils angeregt worden, gaben ihrem Unternehmen eine breite nationale Grundlage und kamen ihnen aufs mächtigste zu Hilfe.
Und wenn nun der Kaiser gegen diese Erhebung des protestantischen Elements Unterstützung von den Katholischen erwartete, so sah er sich auch darin getäuscht. Er wendete sich zunächst an die geistlichen Kurfürsten, die unter diesen Umständen Trient zu verlassen eilten. Der Kurfürst von Trier antwortete, er werde sich immer als ein gehorsamer Reichsfürst bewähren, um aber zu wissen, was er in diesem Fall tun solle, müsse er erst mit seinen Räten sprechen. So erklärte sich auch Köln; Mainz machte sogar auf Hilfeleistung Anspruch. Und nicht bereitwilliger ließen sich die ältesten Verbündeten und nahen Verwandten vernehmen. Herzog Albrecht versicherte seine Ergebenheit, gab aber zu bedenken, welcher Gefahr er sich aussetze, wenn er sich jetzt ohne Verzug auf die Seite des Kaisers schlage. Schon früher hatte man sich am kaiserlichen Hofe beklagt, daß Ferdinand den Versuch, zur Abdankung des von Magdeburg abgezogenen Heeres eine Anleihe aufzubringen, nicht mit seinem Kredit unterstützen wolle. Fast feierlich forderte ihn jetzt der Kaiser auf, ihm zu sagen, was er als Bruder und römischer König aus den Mitteln seiner Länder in dieser gemeinschaftlichen Gefahr zu leisten gedenke. Der König antwortete, er brauche alle seine Kräfte wider die Osmanen in Ungarn. Statt der Unterstützung kam dem Kaiser vielmehr von dieser Seite eine Forderung zu. Seine Tochter Maria, Gemahlin Maximilians, ersuchte ihn in diesem Augenblick um 300 000 Dukaten ihrer Aussteuer, wofür sie sich eine gut rentierende Besitzung in Ungarn kaufen wolle. Der Kaiser war sehr geneigt, diese Bitte den Einflüsterungen ihres ihm im Herzen feindlichen Gemahls zuzuschreiben. Er meinte fast, es sei eine allgemeine Verschwörung gegen ihn im Werke. Die Wechslerhäuser in Augsburg, an die er sich wendete, verweigerten ihm ihre Unterstützung, so günstig auch die Bedingungen waren, die er ihnen vorschlug.
Wie war dem alten Sieger und Herrscher da zumute, als sich in demselben Augenblicke alle Feinde erhoben und alle Mittel versagten! Einst hatte es in seiner Wahl gestanden, an der Spitze der deutschen Nation, mit Begünstigung des reformatorischen Elements, laut der Reichsschlüsse von 1544, seine Macht gegen die auswärtigen Feinde zu richten: wie gegen die Franzosen, welche besonders durch deutsche Unterstützung früher in Italien besiegt und damals in ihrer Heimat zum Frieden genötigt worden, so hauptsächlich gegen die Osmanen, was in jener Zeit das größte Interesse hatte und der allgemeine Wunsch war. Dann hätte er das Kaisertum in dem Sinne, wie es ihm bei seinen Zügen nach Afrika vorschwebte, entwickeln können. Freilich hätte er z. B. Philipp von Hessen nicht als Feind, sondern als Mitstreiter behandeln, die Einheit der abendländischen Christenheit nicht in die Gleichförmigkeit des Bekenntnisses setzen müssen. Dafür wäre es ihm aber, so lange die Türken sich noch nicht in Ungarn befestigt hatten, vielleicht möglich gewesen, zugleich dieses Land zu befreien und den Trieb der Kultur und Ausbreitung, der in den Deutschen lebte, nach der mittleren Donau, dem südöstlichen Europa, hinzuleiten. Aber er schlug einen entgegengesetzten Weg ein. Er traf eine Abkunft mit den Osmanen, die ihnen Zeit ließ, sich in den eingenommenen Landschaften zu befestigen, mit dem Werke der Barbarisierung vorzuschreiten, und nahm sich vor, in den Streitigkeiten des Glaubens und des Ritus, welche die Jahrhunderte nicht haben beseitigen können, beiden Parteien Maß zu geben, er von seinem politischen Standpunkt aus.
Nun konnte aber die natürliche Feindseligkeit gegen die Osmanen doch nicht auf die Länge beseitigt werden; im Jahre 1551 brach sie wieder in volle Flammen aus. Überhaupt wurde die kaiserliche Politik nach dem Tode des älteren Granvella nicht geschickt genug nach den friedlichen Gesichtspunkten hin geleitet. In demselben Augenblick erhob sich die wetteifernde Macht von Frankreich, die man unbekümmert ihrer andern Gegner hatte Herr werden lassen, zu den alten Bestrebungen. Und indes war doch das Ziel der inneren Politik mit nichten erreicht, weder die Kirchenversammlung in die gewünschte Bahn geleitet noch die Sukzession befestigt worden. Vielmehr erwachte infolge dieser Versuche ein allgemeiner Widerwille in beiden religiösen Parteien über Italien und Deutschland hin und strömte nun in plötzlichem Ausbruch mit den äußeren Feindseligkeiten zusammen. In Ungarn verjagte der Pascha von Ofen die Haiduken und Spanier Ferdinands aus Szegedin, noch ehe sie sich daselbst befestigt, und bezeichnete den Anfang des April mit der Eroberung von Vesprim; zugleich näherten sich noch zwei andre Heere unter dem Beglerbeg von Rumili und dem zweiten Wesir der Pforte den ungarischen Grenzen. In Wahrheit, Ferdinand hatte ganz recht, wenn er darin eine Gefahr erkannte, die alle seine Kräfte in Anspruch nehme. Auch zur See regten sich die Feinde; in den Gewässern von Malta erschien Sala Rais in denselben Tagen, in welchen der König von Frankreich durch Lothringen nach dem Elsaß und dem Oberrhein zog, und die protestantischen Fürsten Augsburg bedrohten.
Der Kaiser selbst, ohne Truppen und Geld, entfernt von den eigenen Landschaften, aus denen er beides hätte ziehen können, sah sich überrascht in dem wenig verwahrten Innsbruck und so gut wie hilflos. Gleich bei der ersten Nachricht von Augsburg erkannte er die persönliche Gefahr, in der er sich befand. Er besorgte, eines Tages in seinem Bett überfallen zu werden; welche Schmach für ihn, in Gefangenschaft der deutschen Fürsten zu geraten! Einen Augenblick dachte er daran, sich zu seinem Bruder zurückzuziehen; der konnte es aber in der verlegenen und schwierigen Lage, in der er sich befand, selber nicht wünschen und widerriet es ihm. Ein anderer Ausweg für Karl wäre gewesen, sich nach Italien zu wenden und hier aufs neue zu rüsten. Allein auch da war der Krieg nicht eben glücklich gegangen, überall war das Land durch die Truppenzüge in Aufregung gesetzt. Es schien dem Kaiser nicht ratsam, mit seiner geringen Umgebung auf den dortigen Landstraßen zu erscheinen, und wenn er einmal in Italien wäre, so würde er eine Reise nach Spanien nicht gut ablehnen können; wie leicht, daß ihm dann bei der Überfahrt ein Unfall von den Franzosen oder gar den Osmanen begegne, noch zuletzt in seinen alten Tagen. Dagegen hielt er es für möglich, den Oberrhein zu erreichen und nach den Niederlanden durchzukommen. In tiefstem Geheimnis, mit Zurücklassung eines Briefes an Ferdinand, der aber erst abgegeben werden sollte, wenn die Sache gelungen sei, brach der Kaiser am 6. April nach Mitternacht von Innsbruck auf, begleitet von seinen beiden Kammerherren, Andelot und Rosenberg, einem eigenen und zwei Dienern Rosenbergs. Sie hofften, die große Straße durch die Klause nach Ulm noch frei zu finden. Durch Gebirg und Wald reitend, kamen sie am 7. mittags nach Nassereith und nach kurzer Rast in die Nähe der Klause. Hier aber erfuhren sie, daß Moritz bereits auf dem Wege sei, um an demselben 7. April Füßen zu besetzen. Sie wären ihm in die Hände gegangen, wären sie fortgeritten und eilten nach Innsbruck umzukehren. Es war für den Kaiser keine Rettung, als daß er zuerst nur dieses nächsten und gefährlichsten Feindes durch irgendeine Abkunft, einen Stillstand, sich zu entledigen suchte.
Und so durfte es noch als ein Glück erscheinen, daß sein Bruder immer mit Moritz in freundlicher Verbindung gewesen war und in dem Moment seines Auszuges aus Sachsen