Leopold von Ranke: Historiografische Werke. Leopold von Ranke
Читать онлайн книгу.der auswärtigen Angelegenheiten einen ähnlichen Gegensatz zwischen den Folgen der beiden Reichstage zu bemerken glauben. Denn fast allezeit ist mit einer entsprechenden, den Genius einer Nation befriedigenden inneren Entwicklung auch eine glückliche Tendenz nach außen verbunden.
Das Haus Österreich, das damals den Fortgang der Evangelischen guthieß, war dafür mit Hilfe der deutschen Nation zur Herrschaft in Italien und in Ungarn erhoben worden. Es ließ sich nicht erwarten, daß, nachdem dieses Haus eine so ganz andere Richtung eingeschlagen, die Neigung der Nation ihm wieder zugute kommen werde. »Ich habe gehört,« schrieb Daniel Mieg, der von dem Reichsregiment ausgeschlossen worden, an den Altarmeister zu Straßburg, »die Königliche Majestät habe um Pulver angesucht; mein Rat wäre, es ihr nicht zu bewilligen, da uns solch eine Schmach geschehen ist. Es wird gut sein; daß wir unser Geld und unser Pulver selbst behalten, wir werden es selber brauchen.« Schon machte das Verfahren, das Umsichgreifen des Hauses Österreich eine allgemeine Besorgnis rege, und man hatte keine Lust, es ernstlich zu unterstützen. Ein Beisitzer des Reichsregiment, Abgeordneter des sonst so gut kaiserlich gesinnten Frankfurt, Hammann von Holzhusen, bemerkt doch, daß viele Stände, mögen sie nun lutherisch sein oder nicht, nicht wissen, was sie von Österreich zu erwarten haben; sie besorgen, die Hilfe, welche sie leisten, möge am Ende dem Reiche und der Nation zum Schaden gereichen. Bald darauf finden wir in Ungarn Briefe umlaufen, in denen aus den Glaubensstreitigkeiten, in welche Ferdinand mit den Großen in Deutschland geraten, die Unmöglichkeit hergeleitet wird, daß er Ungarn verteidige. Und indem nun diese Stimmung herrschend wurde, erschien der mächtigste Feind, den das Reich seit vielen Jahrhunderten gehabt, der Repräsentant einer andern, der christlichen entgegengesetzten Welt, an den Pforten desselben.
Noch zu einer Zeit, wo in Europa kein Friede geschlossen war, wo er erwarten konnte, die ganze Opposition, gegen Karl V. in voller Tätigkeit zu finden, am 4. Mai 1529, erhob sich Suleiman mit einem Heere, das man auf dritthalbhunderttausend Mann berechnet hat, zum heiligen Kriege. Vor ihm her brach der Hospodar der Moldau in Siebenbürgen ein und trieb die Anhänger Ferdinands auseinander; dann stieg Johann Zapolya mit der kleinen Truppe, die sich um ihn gesammelt, von den Karpathen herunter. Er hatte das Glück, auf die ferdinandeischen Ungarn zu treffen, ehe sie sich mit den Deutschen vereinigten, um sie zu schlagen. Auf dem Schlachtfelde von Mohacz kam er mit dem Sultan zusammen. Suleiman fragte ihn, wodurch er sich bewogen fühle, zu ihm zu kommen, der Verschiedenheit ihres Glaubens ungeachtet. »Der Padischah,« antwortete Johann, »ist die Zuflucht der Welt, und seine Diener sind unzählig, sowohl Moslems als Ungläubige.« Von dem Papst und der Christenheit ausgestoßen, floh Zapolya unter den Schutz des Sultans. Eben dieses Bedürfnis momentanen Schutzes war es von jeher gewesen, was das osmanische Reich groß gemacht hatte.
In Ungarn fand Suleiman diesmal so gut wie gar keinen Widerstand. Die österreichische Regierung wagte nicht die leichte Reiterei aufzubieten; bei der ungünstigen Stimmung des Landes fürchtete sie einen Aufruhr zu veranlassen. Aber ebensowenig hatte sie eigene Kräfte, um das Land zu verteidigen. Dem Befehlshaber der Flotte, welcher seinen Leuten 40 000 Gulden zahlen sollte, konnten nach langer Mühe nicht mehr als 800 übersandt werden; man hatte die Mittel nicht, um die Festungen ordentlich zu besetzen. Der Wesir Suleimans lachte über die abendländischen Fürsten, welche, wenn sie einen Krieg zu führen hätten, das nötige Geld erst von armen Bauern erpressen müßten; er zeigte auf die sieben Türme, wo seines Herrn Gold und Silber in Fülle liege, während sein Wort hinreiche, ein unermeßliches Heer ins Feld zu stellen. Man darf sich wohl so sehr nicht verwundern, wenn unter diesen Umständen die starke Partei, die sich zu Zapolya hielt, das volle Übergewicht bekam. Wetteifernd eilten die Magnaten, die ungarischen Begs, wie Suleimans Tagebuch sie nennt, in dessen Lager, um ihm die Hand zu küssen. Peter Pereny wollte wenigstens die heilige Krone für Österreich retten, aber unterwegs überfiel ihn ein Verwandter Zapolyas, der Bischhof von Fünfkirchen, nahm ihn mit allen seinen Kleinodien gefangen und brachte sie ins osmanische Lager. Wer kennt nicht die ungemeine Verehrung, welche die Ungarn ihrer Krone widmen, die sie einer unmittelbar göttlichen Sendung zuschreiben, bei deren Anblick einmal wohl die zur Schlacht erhobenen Schwerter in die Scheide zurückgekehrt waren. Und dies Palladium nun, in welchem die Ungarn ein göttliches Symbol ihrer Nationalität und ihres Reiches sahen, befand sich jetzt im Lager Suleimans, ward auf dessen Zuge mitgeführt.
Bei diesem allgemeinen Abfall konnte man nicht darauf rechnen, daß die deutschen Besatzungen, die es in einigen festen Plätzen gab, dieselben zu behaupten vermögen würden. In Ofen standen ungefähr 700 vor kurzem angeworbene Landsknechte unter dem Oberst Besserer. Sie hielten einige Stürme aus; als aber die Stadt genommen und die Burg von St. Gerhardsberg her, der sie beherrschte, fast in Grund geschossen war, verzweifelten sie, mit ihren langen Lanzen das Feuer des Feindes bestehen zu können, und hielten sich berechtigt, auf ihre Rettung zu denken. Sie nötigten ihren Anführer zu kapitulieren; sie wußten jedoch nicht, mit wem sie es zu tun hatten. Ibrahim Pascha versprach ihnen auf das feierlichste freien Abzug; noch in den Toren von Ofen wurden sie sämtlich niedergehauen.
Und von da an wälzte sich nun ohne weiteren Widerstand das barbarische Heer nach den deutschen Grenzen, nach einem Lande, sagen die osmanischen Geschichtschreiber, das noch nie von den Hufen moslemischer Rosse geschlagen worden. Da traf die orientalische Weltmacht, die über zertrümmerten, in den unentwickelten Anfängen oder dem schon wieder halb barbarisierten Absterben der Kultur begriffenen Reichen errichtet worden, zuerst mit den Kernlanden des occidentalischen Lebens, in denen die ununterbrochene Kontinuation des Fortschrittes des allgemeinen Geistes ihren Sitz genommen und in vollen Trieben war, zusammen. Die Osmanen empfanden doch einen Unterschied, als sie unser Vaterland berührten. Sie bezeichnen es auch als ein Land der Kafern, denn ihnen gilt alles, was ihren Propheten nicht bekennt, als derselbe Unglaube; als ein waldiges Reich, schwer zu durchziehen. Aber sie bemerken doch, daß es von den Fackeln des Unglaubens ganz besonders erleuchtet, von einem streitbaren Volke bewohnt, allenthalben von Burgen, Städten, ummauerten Kirchen beschützt sei, es macht auf sie Eindruck, daß sie, sowie sie die Grenze überschritten haben, alles im Überfluß finden dessen das tägliche Leben bedarf. Sie nehmen wahr, daß sie ein von den Elementen der Kultur durchdrungenes, in seinen Wohnsitzen gut eingerichtetes, tapferes, religiöses Volk vor sich haben.
Am 26. September langte Suleiman vor Wien an und schlug daselbst sein Lager auf. Vom Stephansturm aus sah man ein paar Meilen über Berg und Tal nichts als Zelte, und auf dem Flusse die Segel der türkischen Donauflotte. Man zeigt noch den Platz, bei Sömmering, wo das Hauptgezelt Suleimans stand, dessen innere Pracht die goldenen Knäufe verrieten, mit denen es auswendig geschmückt war. Er lagerte, wie er gezogen war. Ihn zunächst umgaben die Truppen der Pforte; hinter ihm bis nach Schwechat dehnte sich das anatolische Heer unter seinem Beglerbeg aus; vor ihm hielt der Seraskier Ibrahim mit den europäischen Sipahi, den Rumelioten und Bosniaken, den Sandschaks von Mostar und Belgrad. Denn wie der Staat nur das Kriegsheer ist, so repräsentiert das Lager in seiner Anordnung das Reich. Schon hatten die Ungarn, welche noch immer wetteiferten »sich mit dem Halsband der Untertänigkeit zu schmücken«, in diesem großen Verein ihre Stelle gefunden. Es war das westliche Asien und das östliche Europa, wie sie unter dem Einfluß des erobernden Islam sich gestaltet hatten und gestalteten; jetzt machten sie einen ersten Versuch auf das Herz des christlichen Europa. Die leichten Truppen suchten höher an der Donau hinauf die fabelhafte Brücke des zweigehörnten Alexander auf, die Grenze der phantastischen Welt der orientalischen Mythe. Das Lasttier der arabischen Wüste ward mit Mundvorrat und Munition an die Mauern einer deutschen Stadt herangetrieben; man zählte in dem Lager bei 22 000 Kamele. Einen heiligen Krieg »gegen die staubgleichen Ungläubigen« glaubte man zu führen. Im Angesicht der vornehmsten Burg der letzten deutschen Kaiser erscholl jetzt die Doktrin der hohen Pforte, daß es nur Einen Herrn auf Erden geben müsse, wie nur Ein Gott im Himmel sei, und Suleiman ließ sich vernehmen, der Herr wolle er sein, er werde sein Haupt nicht zur Ruhe legen, bis er die Christenheit mit seinem Säbel bezwungen. Man erzählte sich, er rechne auf eine an drei Jahre lange Abwesenheit von Konstantinopel, um diesen Plan auszuführen.
So stumpf war nun wohl Europa nicht, um nicht die Größe dieser Gefahr zu fühlen. Es erlebte einen ähnlichen Moment wie damals, als die Araber das Mittelmeer eingenommen, Spanien erobert hatten, nach Frankreich vordrangen, oder damals, als die mongolische Weltmacht, nachdem sie den Nordosten und Südosten von Europa überflutet, zugleich an der Donau und an der Oder das christliche