Leopold von Ranke: Historiografische Werke. Leopold von Ranke
Читать онлайн книгу.vorläufigen Stillstand, der hauptsächlich dazu dienen sollte, eine zahlreichere Versammlung »zur Abstellung der Irrungen und Gebrechen deutscher Nation« in Passau möglich zu machen. Moritz hatte den Anfang desselben wegen der Entfernung seiner Bundesgenossen und mit Vorbehalt ihrer Einwilligung auf den 11. Mai festgesetzt; sie genehmigten ihn aber erst vom 26. Mai an. Nun hatte der Kaiser im Laufe des April doch am Ende einiges Geld zusammengebracht und begann sich zu rüsten. In weiterer Ferne bei Frankfurt sowie in der Nähe bei Ulm sammelten sich Truppen auf seinen Namen; nach allen Seiten hin waren Unterhandlungen angeknüpft. Karl V. faßte einen Gedanken, den bereits jedermann von ihm erwartete. Sollte er nicht gegen den Kurfürsten, der ihn angriff, die nämliche Waffe zücken, die ihm in dem vorigen Kriege so große Dienste geleistet hatte: sollte er nicht die Reichsacht über ihn aussprechen? Noch war der alte Geächtete, Johann Friedrich, in seinem Gewahrsam. Er dachte diesen selbst zum Vollstrecker der Acht zu ernennen; dann, meinte er, würden auch dessen alte Freunde, die Herzoge von Kleve und Pommern, sich gegen Moritz erklären. Soeben erschien auch König Ferdinand in Innsbruck; er ging, wiewohl nicht gerade gern, auf den Gedanken ein. Er übernahm es, selbst mit Johann Friedrich zu reden, wie dieser zu seiner Sicherheit es wünschte; wenn man sich verständige, sollte es sein Bewenden bei der Kapitulation von Wittenberg haben; sollte es aber zur Achtserklärung kommen, so sollte Johann Friedrich wieder in das Kurfürstentum eingesetzt werden. Man rechnete dann auf den Abfall seiner Untertanen, die dem alten Kurfürsten noch immer ergeben waren.
Sehr möglich, daß Moritz von diesen Verhandlungen Kunde erhielt, denn schon hatte Johann Friedrich einen seiner Räte nach Passau geschickt, um mit den Fürsten, die dort allmählich zusammenkamen, vorläufige Rücksprache zu nehmen. Und auf keinen Fall wollte Moritz dem Kaiser die dortigen Pässe, deren Besitz in dem vorigen Kriege entscheidend geworden war, und die er auch jetzt verstärkte, in den Händen lassen. Einer der kaiserlichen Musterplätze war Reitti, unfern der Ehrenberger Klause, welche ebenfalls in Verteidigungsstand gesetzt werden sollte. Noch war der für den Waffenstillstand festgesetzte Termin nicht eingetreten; Moritz behielt noch Zeit und trug kein Bedenken, sie zu benutzen, um dem Kaiser diese Stellung zu entreißen. Am 18. Mai griffen die verbündeten Fürsten das Lager von Reitti an und sprengten es auf der Stelle auseinander. Besonders in dem freudigen Georg von Mecklenburg erwachte hierüber eine Schlachtbegier und Siegeszuversicht, die alles mit sich fortriß. Da sich ein Teil der Truppen nach der Klause zurückzog, so ließen sie sich durch ihr gutes Verhältnis zu König Ferdinand nicht abhalten, unmittelbar auf diesen Platz loszugehen. Noch in der Nacht nahmen sie eine Höhe ein, welche die Befestigungen beherrschte. Von hier aus den andern Morgen vordringend fanden sie weder in den Schanzen an der Klause, noch in dem verbollwerkten Passe, noch in dem Schlosse selbst nachdrücklichen Widerstand; neun Fähnlein fielen in ihre Hand. Und wie nun, wenn sie in dem hierdurch eröffneten Lande vordrangen und den Kaiser in Innsbruck überfielen? Es ist als ein Irrtum anzunehmen, sie hätten das nicht gewollt. Am 20. Mai ist zwischen ihnen förmlich geratschlagt worden, ob sie, wie sie sich sehr unehrerbietig ausdrücken, »den Fuchs weiter in seiner Spelunke« suchen sollten; sie entschlossen sich hierzu. Gott weiß, was geschehen wäre, hätte nicht das tumultuarische Kriegsvolk, eben als es vorwärts gegen Aiterwang geführt werden sollte, nach dem Sturmsold geschrieen, den es so eigentlich nicht verdient hatte und der ihm wirklich aberkannt worden ist, und darüber seine Waffen gegen Moritz selbst gerichtet, so daß dieser ihm nur mit Mühe entkam.
Bei der ersten Nachricht von dem Falle der Klause beschloß der Kaiser, Innsbruck zu verlassen. Er empfand, daß die Gefahr, welche er von Anfang an gefürchtet hatte, unmittelbar über ihm schwebe; er hätte durch eine Reitertruppe überrascht und aufgehoben werden können. Es war am 19. ziemlich spät, daß die Nachricht eintraf. Karl und Ferdinand waren einig, daß kein Augenblick verloren werden dürfe, um in Sicherheit zu gelangen, denn wie bald konnte sich der vorrückende Feind der nächsten Pässe und Straßen bemächtigen und die Entfernung unmöglich machen. Die wichtigsten Schriften und Kleinodien wurden eilends nach dem festen Schloß Rodeneck gebracht. Nun erst sprach Ferdinand mit dem gefangenen Kurfürsten im Schloßgarten; er reichte ihm die Hand zum Zeichen der Versöhnung und kündigte ihm seine Befreiung an, wiewohl unter der Bedingung, daß er noch eine Zeitlang dem Hofe ungezwungen folgen möge. Man bedurfte der Mannschaft, die ihn bisher bewacht hatte, zur Bedeckung bei der Abreise. Diese erfolgte noch am 19. abends um 9 Uhr beim Scheine brennender Windlichter. Die Nacht war regnerisch und kalt, das Gebirge noch mit Schnee bedeckt; der Kaiser litt an einem Anfall seiner Krankheit. Sein erster Zufluchtsort war Brunecken, nicht einmal ein eigenes Schloß, sondern dem Kardinal von Trient gehörig, der in den Verhandlungen über die Wahl nicht eben als Anhänger des Kaisers erschienen war. Den andern Morgen folgte Johann Friedrich auf demselben Wege. Er lebte nun, was er immer von seinem Gott erwartet: zum ersten Male seit fünf Jahren sah er sich von keiner spanischen Garde umgeben; er stimmt auf seinem Wagen ein geistliches Danklied an.
Am 23. Mai rückte Moritz an der Spitze seiner Reiter und Fußvölker in Innsbruck ein. Die Landsknechte brüsteten sich in den prächtigen spanischen Kleidern; denn alles, was den Spaniern gehörte, ward ihnen von dem Kurfürsten als gute Beute überlassen. Auf ihren Hüten glänzten portugiesische Goldstücke, einer nannte den andern Don; bei alledem aber wußte sie Moritz aufs beste in Zucht zu halten. Er tadelte Georg von Mecklenburg, der sich nur eine Truhe auf dem Schloß hatte öffnen lassen. Ihm war es genug, daß er soweit vorgedrungen; er begehrte nicht mehr. Noch in Brunecken erhielt König Ferdinand einen Brief von ihm, in welchem er, eigentlich gegen dessen Erwartung, dem was vorgefallen zum Trotz, sich entschlossen erklärte, den Waffenstillstand von dem bestimmten Tage an eintreten zu lassen. Er fragte an, ob man auch auf der anderen Seite diese Gesinnung hege, und ob ihm das sichere Geleit, das ihm zur Zusammenkunft in Passau gegeben worden war, gehalten werden solle, und ob auch der König selbst erscheinen wolle. Die beiden Brüder hielten für gut, darauf einzugehen.
Unverweilt machte sich hierauf Moritz zu der angesetzten Versammlung nach Passau auf den Weg. Auch ohne noch die Verabredungen zu berücksichtigen, die daselbst getroffen worden sind, muß man anerkennen, daß ihm durch den Gang der Begebenheiten und ihre Entscheidung die größten Erfolge gelungen waren. Vor ihm her wich der mächtige Kaiser höher ins Gebirge, nach Villach. Er ließ die Brücken hinter sich abwerfen und in den Pässen spanische Soldaten aufstellen, um ein etwaiges Nachdringen zu verwehren. Und indessen löste sich auf der andern Seite des Gebirges das Konzil von Trient selber auf. Gleich auf die erste Nachricht von den deutschen Ereignissen, am 15. April, sprach der Papst, der ohnehin nur einen zu bekennenden Grund dazu herbeigewünscht hatte, die erneute Suspension des Konzils aus. Das Konzil, das man für gut hielt selbständig handeln zu lassen, machte diesen Beschluß am 28. April zu dem seinen. Noch widersetzten sich jedoch die entschiedenen Anhänger des Kaisers, und bei weitem nicht alle waren abgereist, als die Nachricht von der Eroberung der Klause erscholl. Man glaubte in Trient, die protestantische Bewegung werde unmittelbar der Stadt des Konzils gelten, und alles, Prälaten und Einwohner, Vornehme und Geringe, flüchtete in wilder Verwirrung auseinander, höher in die Berge hinauf oder hinab nach der See, in die dichtesten Wälder oder die festesten Städte.
Der päpstliche Legat Crescentio ließ sich durch seine Krankheit nicht abhalten, dem allgemeinen Zuge folgen; er starb, als er in Verona ankam. Das konnte man wohl vorhersehen, daß eine Kombination kaiserlicher und konziliarer Macht wie die, welche Karl V. ins Leben gerufen und mit der er die Christenheit zu beherrschen gedachte, so bald nicht wieder erscheinen würde. Was aber erfolgen würde, wer hätte darüber in der Verwirrung jener Tage auch nur eine Vermutung hegen können?
Charakter des Kurfürsten Moritz von Sachsen. Deutsche Geschichte 5, 161–163; sein Tod 234–237. Augsburger Religionsfriede 255-282. Karls V. Abdankung zu Brüssel 291–299. Wiederberufung u. Abschluß des Konzils zu Trient, Päpste 1, 212–227.
Kaiser Karl V. nach seiner Abdankung
Deutsche Geschichte V, Werke Bd. 5 S. 303 ff.
In Estremadura, in der Vera von Placencia, die einen alten Ruf gesunder Luft genießt, in der Mitte von Baumpflanzungen, die von frischen Quellen und Bächen vom Gebirge belebt sind, liegt das Hieronymitenkloster San Juste, das damals aus