Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

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Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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sehr! bin voll­kom­men über­zeugt! Wol­len Sie nicht Platz be­hal­ten? Nein? nun dann er­lau­ben Sie mir –« und Pechle war seit ge­rau­mer Zeit ge­gen kei­nen Men­schen so höf­lich und zur Hil­fe be­reit ge­we­sen, wie in die­sem Au­gen­blick ge­gen den Ka­pi­tän Sir Hugh Slid­de­ry. Er griff ihm mo­ra­lisch und phy­sisch un­ter die Arme, er stell­te ihn wie­der fest auf die Füße, er rück­te so­gar ein we­nig zu auf sei­nem Beo­b­ach­tungs­hü­gel und über­ließ ihm den höchs­ten Punkt des­sel­ben, und dann erst sprach er im ge­wähl­ten Buch­deutsch wei­ter:

      »Sie sind hier fremd, mein Herr? Bit­te, wir ha­ben bei­de aus­rei­chend Platz – ich freue mich sehr! Ma­chen Sie kei­ne Um­stän­de – das kennt man bei uns zu Lan­de nicht. Sie sind ein Eng­län­der! Yes? Nun – wie ge­fällt es Ih­nen denn bei uns in Schwa­ben?«

      Dass die Rei­he der Fra­gen und sons­ti­gen Höf­lich­keits­be­zeu­gun­gen der­ge­stalt in eine Schluss­fra­ge aus­lau­fen wür­de, war vor­aus­zu­se­hen; aber selt­sa­mer­wei­se schi­en der Ka­pi­tän das durch­aus nicht vor­aus­ge­se­hen zu ha­ben.

      Kurz at­mend, alle Tei­le sei­nes lan­gen Lei­bes, die er mit den Hand­flä­chen er­rei­chen konn­te, seuf­zend rei­bend, starr­te Sir Hugh den höf­li­chen barm­her­zi­gen Bru­der auf dem ho­hen­stau­fen­schen Dün­ger­hau­fen, einen lan­gen Au­gen­blick hin­durch, so­weit die Nacht es er­lau­ben woll­te, an und er­wi­der­te erst dann lang­sam, zö­gernd und sehr ge­dehnt:

      »Oh, Sir, serr guot, Sir! Sir – aus­–­ge–­seich­net, Sir!«

      »Se­hen Sie, das freut mich wahr­haf­tig! Nicht wahr, es ist sehr nett bei uns? Wis­sen Sie, das nennt man doch a Mal, his­to­ri­schen Bo­den be­tre­ten! was?«

      »Oh very his­to­ri­cal – ser ’is­to­risch! aber sie ha­ben aouch mir be­tre­ten! sie ha­ben ge­tre­ten auf mir, sie –«

      »Das tut nichts! das geht drein, Herr; und jetzt er­lau­ben Sie mir, dass ich mich Ih­nen zu nä­he­rer Be­kannt­schaft vor­stel­le: mein Name ist Pech­lin – Dok­tor der Phi­lo­so­phie, Chri­stoph Pech­lin aus Wal­den­buch! und nun – mit wem habe ich mei­ner­seits die Ehre?«

      »Cap­tain Sli­d–­de–ry! Sir Hugh Slid­de­ry aus – oh by God aus Eng­lan­d« keuch­te der neue Be­kann­te un­se­res Freun­des. »Blau­ges­la­gen! Yel­low und grün­ges­la­gen – oh damn that be­ast­ly mob!« win­sel­te er, die Zäh­ne auf­ein­an­der­set­zend, das lin­ke, von ei­nem ho­hen­stau­fen­schen drei­bei­ni­gen Sche­mel ge­trof­fe­ne Knie in die Höhe zie­hend und das blut­rüns­ti­ge Schien­bein mit bei­den Hän­den um­fas­send.

      »Ma­chen Sie sich nichts dar­aus, ich ma­che mir auch nichts dar­aus«, sprach Pechle freund­lich trös­tend. »Se­hen Sie, mor­gen früh wird es Ih­nen dar­um nur de­sto lie­ber sein, dass Sie heut Abend mit da­bei wa­ren. Hof­fent­lich ha­ben Sie nichts um­sonst hin­ge­nom­men! Nicht wahr, Sie ha­ben mit klin­gen­der Mün­ze für je­des ge­nos­se­ne Ver­gnü­gen be­zahlt?«

      »Uih, duas hab ich!« krächz­te der Eng­län­der. »Ich hab ge­tan das Mei­ni­ge; ua­ber, Sir, es war kei­ne Uord­nung in das af­faire: kein Plan, Sir. Es war not a pit­ched batt­le, und ich bitt Sie, mein Herr, uo soll sein das Uord­nung in das ba­tail­le, ou­enn nie­mand ou­eiß, uo­für er kriegt die Släg?!«

      »Yes!« sag­te Pechle in voll­stän­di­ger Er­man­ge­lung ei­ner an­de­ren Ant­wort und kratz­te sich ein we­nig hin­ter den Ohren. Aber wäh­rend al­le­dem tos­te das Ge­fecht rund um sie her ru­hig wei­ter, und au­gen­blick­lich schi­en die Par­tei des Lamms, die Läm­mer­par­tei, ver­stärkt durch fri­schen Zu­zug, den Och­sen­leu­ten die Ober­hand ab­zu­ge­win­nen; je­den­falls stand die Schlacht und wog Zeus, der Re­gie­rer der Göt­ter und der Men­schen, zwei­felnd die Lose auf sei­ner Wage.

      »Hal­ten Sie sich nur ganz ru­hig an mir, Herr Haupt­mann!« rief Pech­lin. »Ohne Um­stän­de – hal­ten Sie fest. Hier sind wir ver­hält­nis­mä­ßig si­cher und brau­chen uns nur ein we­nig vor den Wurf­ge­schos­sen in acht zu neh­men. Was das üb­ri­ge an­be­trifft, so habe ich auch gute Freun­de auf bei­den Sei­ten und rufe im Not­fall Qu­os ego!«

      Ein aus ei­ner He­cke ge­ris­se­ner Zaun­pfahl streif­te ihm un­ter dem letz­ten Wort die Stirn und schlug ihm wei­ter schwir­rend den Hut vom Kop­fe. Der Ex­stift­ler bück­te sich ge­müt­lich nach sei­ner Haupt­be­de­ckung, drück­te sie noch fes­ter auf den Schä­del und sag­te:

      »Hab’ ich es nicht ge­sagt? Se­hen Sie, wir ste­hen auf der Höhe der Si­tua­ti­on und kön­nen von hier aus ganz ge­müt­lich den wei­te­ren Ver­lauf der Din­ge ab­war­ten. Wis­sen Sie, bei uns nennt man das auch Po­li­tik und bil­det sich nichts Ge­rin­ges dar­auf ein.«

      »Wuas ist sehr be­leh­rend, Sir«, sag­te der Ka­pi­tän, der sei­ne Be­son­nen­heit nun doch all­mäh­lich wie­der zu­sam­men­fand. »Ua­ber Sir, wir kön­nen lang war­ten bei das Po­li­tik; und ouas fuang ich an nach­her? In den Ochs geh ouich nicht wie­der, uel­ches ist si­cher. Sie hab mein Ge­päck, my lug­ga­ge, my bag­ga­ge ge­wor­fen aus dem Fens­ter dem Fu­eind auf die Kopf. Sie hab mein Re­gen­schirm zer­schlag auf die back, die Bu­ckel von uei­ner di­cken Lady. Sie hab mei­ne Stock zer­schla­gen auf mir selbst! Yes, Sir, auf mir ei­gen­hän­dig sel­ber! Oh, und es ist kein ganz win­dowf­ra­me und kein hu­eil Fens­ter­scheib in das ganz Ox, und ich lu­eid an die Ka­tarrh und die Rheu­ma­tism! Was suoll ouich an­fang in die­se Nacht mit­ten in this how­ling wil­der­ness, in die­se heu­le­ri­sche Wild­nis?«

      »Ha­ben Sie nicht mich? Ha­ben wir uns ein­an­der nicht ge­gen­sei­tig vor­ge­stellt?« frag­te Pech­lin. »Sie ge­hen ganz ein­fach mit mir in das Lamm. Die Leu­te ken­nen mich, und auf dem Tanz­saal ist Raum für Sie.«

      »Sir, auf das Tanz­saal?« rief der Ka­pi­tän. »Sir, Sie uoll mir wie­der bring auf die dan­cing-room? Oh no! ouich uab ge­noug von die­sem, ouich uill, ouich muss uab ein Pri­vat­ap­par­te­ment, uenn ouich –«

      »Ja, ja, ich sit­ze schon mit­ten in al­len Ihren Ge­füh­len, und ver­ste­he Sie voll­kom­men, Sir Juh. Sei­en Sie ohne Sor­gen, Sie wer­den einen gu­ten Schlaf tun im Lamm, und au­ßer­dem fin­den Sie da­selbst die bes­te Ge­sell­schaft. Lau­ter schö­ne Leu­te, sehr schö­ne Da­men und einen ganz in­ti­men Freund von mir, Baron Ripp­gen aus Dres­den, und alle wer­den sich eben­falls freu­en, Ihre Be­kannt­schaft zu ma­chen.«

      »Sehr schö­ne Da­men? Üi­nen Baron?«

      »Yes! Oui! ja, ja! Ei­nen le­ben­di­gen deut­schen Baron – a ger­man ba­ron – ur­al­tes Ge­schlecht – Reichs­frei­herr! Nicht wahr, das schtimmt mit Ihne?… O ja, er führt auch sei­ne Vi­si­ten­kar­te bei sich – letz­ter Spross des Ge­schlechts – Jahr­hun­der­te lang ha­ben sich sei­ne Ah­nen ab­ge­müht, um die­se Blü­te zu er­zeu­gen.«

      »A–h! ual­so uend­lich uein uan­stän­di­ger Mensch!« rief Sir Hugh Slid­de­ry, tief auf­seuf­zend. »Oh Sir, gern – ve­ry glad­ly in­de­e­d würd ouich ge­hen mit Ih­nen; aber – aber mein An­zie­hen – An­züg­lich­keit – my dress – mon co­stu­me – ma toi­let­te? ’Err, Sie muss das sehe buei Licht, um das zu glau­ben.«

      »Das wol­len wir auch – Sie un­ver­schäm­ter Esel!« äu­ßer­te sich Pechle, den Satz zur Hälf­te don­nernd dem eng­li­schen Edel­mann


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