Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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hin­rich­ten?«

      »Si­cher, Anna, be­stimmt wird man das!«

      Aber er war nicht so si­cher. Er fuhr fort: »Aber den­ke jetzt nicht dar­an. Den­ke nur dar­an, dass wir jetzt stark sein müs­sen. Wenn wir uns schul­dig be­ken­nen, wird al­les sehr schnell ge­hen. Wenn wir kei­ne Aus­flüch­te ma­chen und nicht lü­gen, ha­ben wir viel­leicht schon in ei­ner hal­b­en Stun­de un­ser Ur­teil.«

      »Ja, so wol­len wir es ma­chen. Aber, Otto, wenn es so schnell geht, wer­den wir auch schnell wie­der ge­trennt, und viel­leicht se­hen wir uns nie wie­der.«

      »Be­stimmt se­hen wir uns – vor­her noch wie­der, Anna. Das hat man mir ge­sagt, wir dür­fen noch Ab­schied neh­men von­ein­an­der. Be­stimmt, Anna!«

      »Dann ist es gut, Otto, dann habe ich doch was, auf das ich mich jede Stun­de freu­en kann. Und jetzt sit­zen wir bei­sam­men.«

      Sie sa­ßen nur noch eine Mi­nu­te bei­sam­men, dann wur­de der Feh­ler ent­deckt, und die bei­den wur­den weit aus­ein­an­der ge­setzt. Sie muss­ten den Kopf wen­den, um ein­an­der zu se­hen. Gott­lob war es der An­walt von Frau Quan­gel, der den Feh­ler ent­deck­te, ein freund­li­cher, grau­er, et­was ver­sorg­ter Mann, den das Ge­richt als Pf­licht­an­walt be­stellt hat­te, da Quan­gel da­bei ge­blie­ben war, kein Geld an eine so nutz­lo­se Sa­che wie ihre Ver­tei­di­gung zu wen­den.

      Da der An­walt den Feh­ler ent­deckt hat­te, ging es ohne al­les Ge­schrei ab. Auch die bei­den Schutz­po­li­zis­ten hat­ten alle Ur­sa­che, den Mund zu hal­ten, und so er­fuhr der Prä­si­dent des Volks­ge­richts­hofs, Feis­ler, nie, was hier Un­ver­zeih­li­ches ge­sche­hen war. Die Ver­hand­lung hät­te sonst wahr­schein­lich noch viel län­ger ge­dau­ert.

      62. Die Hauptverhandlung: Präsident Feisler

      Der Prä­si­dent des Volks­ge­richts­hofs, der höchs­te Rich­ter im deut­schen Lan­de zu je­ner Zeit, Feis­ler, hat­te das Aus­se­hen ei­nes ge­bil­de­ten Man­nes. Er war, nach der Ter­mi­no­lo­gie des Werk­meis­ters Otto Quan­gel, ein fei­ner Herr. Er wuss­te sei­nen Talar mit An­stand zu tra­gen, und das Ba­rett ver­lieh sei­nem Haupt Wür­de, saß nicht sinn­los an­ge­klebt dar­auf wie auf vie­len an­de­ren Köp­fen. Die Au­gen wa­ren klug, aber kalt. Er hat­te eine hohe, schö­ne Stirn, aber der Mund war ge­mein, die­ser Mund mit den har­ten, grau­sa­men und doch wol­lüs­ti­gen Lip­pen ver­riet den Mann, einen Lüst­ling, der alle Genüs­se die­ser Welt ge­sucht hat­te und der stets an­de­re da­für hat­te zah­len las­sen.

      Und die Hän­de mit ih­ren lan­gen, kno­ti­gen Fin­gern wa­ren ge­mein, Fin­ger wie die Kral­len ei­nes Gei­ers – wenn er eine be­son­ders ver­let­zen­de Fra­ge stell­te, so krümm­ten sich die­se Fin­ger, als wühl­ten sie im Fleisch des Op­fers. Und sei­ne Art zu spre­chen war ge­mein: die­ser Mann konn­te nie ru­hig und sach­lich spre­chen, er hack­te auf sei­ne Op­fer los, er be­schimpf­te sie, er sprach mit schnei­den­der Iro­nie. Ein ge­mei­ner Mensch, ein schlech­ter Mensch.

      Seit­dem Otto Quan­gel die An­kla­ge zu­ge­stellt wor­den war, hat­te er man­ches Mal mit Dr. Reich­hardt, sei­nem Freun­de, über die­se Haupt­ver­hand­lung ge­spro­chen. Auch der klu­ge Dr. Reich­hardt war der An­sicht ge­we­sen, da das Ende doch un­ab­än­der­lich sei, sol­le Quan­gel von vorn­her­ein al­les zu­ge­ste­hen, nichts ver­tu­schen, nie lü­gen. Das wür­de die­sen Leu­ten den Wind aus den Se­geln neh­men, sie wür­den nicht lan­ge mit ihm her­um­schimp­fen kön­nen. Die Ver­hand­lung wür­de dann nur kurz sein, man wür­de be­stimmt auf eine Zeu­gen­ver­neh­mung ver­zich­ten.

      Es war eine klei­ne Sen­sa­ti­on, als bei­de An­ge­klag­te auf die Fra­ge des Vor­sit­zen­den, ob sie sich im Sin­ne der An­kla­ge schul­dig be­kenn­ten, mit ei­nem ein­fa­chen »Ja« ant­wor­te­ten. Denn mit die­sem Ja hat­ten sie sich selbst das To­des­ur­teil ge­spro­chen und jede wei­te­re Ver­hand­lung un­nö­tig ge­macht.

      Ei­nen Au­gen­blick stutz­te auch der Prä­si­dent Feis­ler, über­wäl­tigt von die­sem kaum je ge­hör­ten Ge­ständ­nis.

      Aber dann be­sann er sich. Er woll­te sei­ne Ver­hand­lung ha­ben. Er woll­te die­se bei­den Ar­bei­ter im Dreck se­hen, er woll­te sie sich win­den se­hen un­ter sei­nen mes­ser­schar­fen Fra­gen. Die­ses Ja auf die Fra­ge »Schul­dig?« hat­te Stolz ge­zeigt. Prä­si­dent Feis­ler sah es den Ge­sich­tern im Zu­hö­rer­raum an, die teils ver­blüfft, teils nach­denk­lich aus­sa­hen, und er woll­te den An­ge­klag­ten die­sen Stolz neh­men. Sie soll­ten aus die­ser Ver­hand­lung ohne Stolz, ohne Wür­de hin­aus­ge­hen.

      Feis­ler frag­te: »Sie sind sich klar dar­über, dass Sie durch die­ses Ja sich selbst das Le­ben ab­ge­spro­chen ha­ben, dass Sie sich selbst ge­schie­den ha­ben von al­len an­stän­di­gen Men­schen? Dass Sie ein ge­mei­ner, to­des­wür­di­ger Ver­bre­cher sind, des­sen Aas man am Hal­se auf­hän­gen wird? Sie sind sich klar dar­über? Ant­wor­ten Sie mit Ja oder mit Nein!«

      Quan­gel sag­te lang­sam: »Ich bin schul­dig, ich habe ge­tan, was in der An­kla­ge steht.«

      Der Prä­si­dent hack­te zu: »Sie sol­len mit Ja oder Nein ant­wor­ten! Sind Sie ein ge­mei­ner Volks­ver­rä­ter, oder sind Sie es nicht? Ja oder nein!«

      Quan­gel sah den fei­nen Herrn dort über sich scharf an. Er sag­te: »Ja!«

      »Pfui Teu­fel!«, schrie der Prä­si­dent und spuck­te hin­ter sich. »Pfui Teu­fel! Und so was nennt sich Deut­scher!«

      Er sah Quan­gel mit tiefer Ver­ach­tung an und wand­te dann sei­nen Blick zu Anna Quan­gel. »Und Sie da, Sie Frau da?«, frag­te er. »Sind Sie auch so ge­mein wie Ihr Mann? Sind Sie auch eine schuf­ti­ge Volks­ver­rä­te­rin? Schän­den Sie auch das An­se­hen Ihres auf dem Fel­de der Ehre ge­fal­le­nen Soh­nes? Ja oder nein?«

      Der ver­sorg­te graue An­walt er­hob sich ei­lig und sag­te: »Ich bit­te doch, be­mer­ken zu dür­fen, Herr Prä­si­dent, dass mei­ne Man­dan­tin …«

      Der Prä­si­dent hack­te wie­der zu. »Ich neh­me Sie in Stra­fe, Herr Rechts­an­walt«, sag­te er, »ich neh­me Sie so­fort in Stra­fe, wenn Sie noch ein­mal, ohne auf­ge­for­dert zu sein, das Wort er­grei­fen! Set­zen Sie sich!«

      Der Prä­si­dent wen­de­te sich wie­der an Anna Quan­gel. »Nun, wie ist es mit Ih­nen? Be­sin­nen Sie sich auf den letz­ten Rest von An­stän­dig­keit in Ih­rer Brust, oder wol­len Sie so et­was sein wie Ihr Mann, von dem wir jetzt schon wis­sen, dass er ein ge­mei­ner Volks­ver­rä­ter ist? Sind Sie eine Ver­rä­te­rin Ihres Vol­kes in schwe­rer Not­zeit? Ha­ben Sie den Mut, den ei­ge­nen Sohn zu schän­den? Ja oder nein?«

      Anna Quan­gel sah ängst­lich zö­gernd zu ih­rem Mann hin­über.

      »Sie ha­ben mich an­zu­se­hen! Nicht die­sen Hoch­ver­rä­ter! Ja oder nein!«

      Lei­se, aber deut­lich: »Ja!«

      »Sie sol­len laut re­den! Wir wol­len es alle hö­ren, dass eine deut­sche Mut­ter sich nicht schämt, den Hel­den­tod ih­res ei­ge­nen Soh­nes mit Schan­de zu be­de­cken!«

      »Ja!«, sag­te Anna Quan­gel laut.

      »Un­glaub­lich!«, rief Feis­ler. »Ich habe hier viel Trau­ri­ges und auch Grau­en­haf­tes er­lebt, aber eine sol­che Schan­de ist mir noch nicht vor­ge­kom­men! Sie müss­ten nicht ge­hängt, son­dern ent­mensch­te Bes­ti­en wie Sie müss­ten ge­vier­teilt wer­den!«


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