Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). Walter Benjamin

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Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - Walter  Benjamin


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bestand der Lebenstrost und das Hauptvergnügen für den jungen Gentleman.

      Mrs. Tetterby, seine hochwohlgeborene Mutter, die mit nach rückwärts gesunkenem Hut und Tuch dagesessen und nachdenklich ihren Trauring um den Finger gedreht hatte, erhob sich jetzt, legte ihre Überkleider ab und begann den Tisch für das Abendbrot zu decken.

      »O mein, o mein, o mein«, sagte Mrs. Tetterby »wie's in der Welt zugeht!«

      »Wie geht's denn in der Welt zu, mein Kind?« fragte Mr. Tetterby.

      »Ach nichts«, sagte Mrs. Tetterby.

      Mr. Tetterby zog die Brauen in die Höhe, blätterte seine Zeitung um und ließ seine Augen auf ihr umherschweifen, nach oben und unten und nach der Seite, aber seine Aufmerksamkeit weilte woanders, und er konnte nicht lesen.

      Mrs. Tetterby deckte unterdessen den Tisch, aber mehr, um ihn zu bestrafen, als um das Familienessen fertig zu machen, denn sie schlug ihn unnötig hart mit Messer und Gabel, prügelte ihn mit den Tellern, stieß ihn mit dem Salzfaß und traf ihn schwer mit dem Brot.

      »O mein, o mein, o mein«, sagte Mrs. Tetterby wieder, »wie es doch in der Welt zugeht.«

      »Mein Schatz«, entgegnete ihr Mann und blickte wieder auf, »du sagtest das schon vorhin. Wie geht es denn in der Welt zu?«

      »Ach nichts«, sagte Mrs. Tetterby.

      »Sophie«, hielt ihr ihr Mann vor, »auch das sagtest du schon vorhin.«

      »Nun, ich will es noch einmal sagen, wenn es dir gefällt«, entgegnete Mrs. Tetterby. »Ach nichts! – und noch einmal, wenn's dir gefällt: Ach nichts! – und noch einmal, wenn dir's gefällt: Ach nichts! – So!!«

      Mr. Tetterby sah sein Ehegespons an und sagte mit mildem Erstaunen:

      »Mein kleines Frauchen, was hat dich so außer Rand und Band gebracht?«

      »Das kann ich doch nicht wissen«, versetzte sie, »frag mich nicht. Wer sagt denn, daß ich außer Rand und Band bin. Ich doch nicht!«

      Mr. Tetterby gab die Lektüre seiner Zeitung auf wie ein unersprießliches Geschäft, schritt langsam durch die Stube, die Hände auf dem Rücken, die Schultern in die Höhe gezogen, wobei sein Gang vollständig mit der Dulderart seines Wesens harmonierte. Dann richtete er das Wort an seine beiden ältesten Sprößlinge:

      »Dein Abendessen wird in einer Minute fertig sein, Dolphus«, sagte er. »Deine Mutter ist in der Nässe draußen gewesen und hat es in der Garküche gekauft. Das war sehr schön von deiner Mutter. Du wirst auch bald was zum Abendessen bekommen, Johnny. Deine Mutter findet Wohlgefallen an dir, junger Mann, weil du so schön auf deine kostbare Schwester achtgibst.«

      Mrs. Tetterby sagte nichts, aber ihr Zorn gegen den Tisch ließ sichtlich nach. Als sie mit ihren Zubereitungen fertig war, nahm sie aus ihrem geräumigen Korb ein tüchtiges Stück heißen Erbsenpuddings, das in Papier gewickelt war, und eine mit einem Deckel zugedeckte Schüssel, die einen so angenehmen Duft ausströmte, daß die drei Paar Augen in den zwei Betten sich weit aufrissen und das festliche Mahl anstarrten.

      Mr. Tetterby beachtete diese Art stillschweigender Einladung, Platz zu nehmen, nicht weiter, sondern blieb stehen und wiederholte langsam: »Ja, ja, dein Abendbrot wird im Augenblick fertig sein, Dolphus. Deine Mutter ist in der Nässe draußen gewesen bei der Garküche und hat es geholt. Das war sehr schön von deiner Mutter –«, bis Mrs. Tetterby, die hinter seinem Rücken verschiedene Zeichen der Zerknirschung an den Tag gelegt hatte, ihm plötzlich um den Hals fiel und weinte.

      »O Dolphus«, rief Mrs. Tetterby, »wie hab' ich nur so sein können!«

      Diese Aussöhnung rührte Adolphus jun. und Johnny dermaßen, daß beide wie auf Verabredung einen kläglichen Schrei ausstießen, der auf der Stelle bewirkte, daß die runden Augen in den Betten sich schlossen und die beiden noch übrigen kleinen Tetterbys, die eben aus dem anstoßenden Kämmerchen hervorgeschlichen kamen, um zu sehen, was es zu essen gäbe, schleunigst den Rückzug antraten.

      »Ich kann dir versichern, Dolphus«, schluchzte Mrs. Tetterby, »als ich heimkam, dachte ich ebensowenig daran wie ein ungeborenes Kind – – –«

      Mr. Tetterby schien dieses Gleichnis sichtlich zu mißfallen, und er bemerkte: »Sage vielleicht lieber, wie unser Kleinstes, mein Schatz.«

      »– – – – ich dachte ebensowenig daran wie unser Kleinstes!« verbesserte Mrs. Tetterby. »Johnny, sieh mich nicht an! Sieh auf Sally, sonst fällt sie dir aus dem Schoß und schlägt sich tot, und dann müßtest du an den Qualen eines gebrochenen Herzens sterben, und das geschähe dir recht. – Ebensowenig wie dieses Herzblatt dort dachte ich beim Nachhausegehen daran, mißgestimmt zu sein, aber ich wußte nicht, Dolphus – – – –« Mrs. Tetterby hielt inne und drehte wieder ihren Trauring um den Finger.

      »Ich verstehe«, sagte Mr. Tetterby, »ich verstehe. Meinem Frauchen ist etwas in die Quere gekommen. Harte Zeiten und hartes Wetter und harte Arbeit machen manchmal das Leben schwer. Ich verstehe. Kein Wunder! Dolphus, mein Junge«, fuhr Mr. Tetterby fort und forschte mit der Gabel in der Schüssel, »da hat deine Mutter in der Garküche außer dem Erbsenpudding ein ganzes prächtiges Schinkenbein gekauft, mit schöner brauner Kruste drauf und Sauce und Senf dazu in unerschöpflicher Menge. Gib deinen Teller her, Junge, und iß, solange es noch warm ist.«

      Adolphus jun. ließ sich das nicht zweimal sagen, nahm seinen Teil mit vor Eßlust wässerigen Augen in Empfang, zog sich nach einem abseits stehenden Stuhl zurück und fiel über sein Abendbrot her. Johnny wurde auch nicht vergessen, bekam aber seine Ration auf Brot, damit nichts auf das Wickelkind tropfe. Aus dem gleichen Grunde wurde von ihm verlangt, daß er seinen Pudding nach dem Abbeißen immer in die Tasche stecken solle.

      Es hätte mehr Fleisch an dem Schinkenbein sein können, denn der Vorschneider in der Garküche hatte schon viel daran herumgeschnitten für frühere Kunden, aber es mangelte nicht an Würze, und das ist ein Zubehör, das halb und halb die Vorstellung von Schweinefleisch wachruft und angenehm den Geschmackssinn täuscht. Auch der Erbsenpudding und die Sauce und der Senf hatten, wenn sie auch nicht gerade Schweinefleisch waren, doch in seiner Nähe gestanden – wie die Rose des Orients neben der Nachtigall –, so daß im Ganzen Duft und Geschmack eines gebratenen Schweins mittlerer Größe vorhanden war. Die jungen Tetterbys im Bett konnten nicht widerstehen, und obgleich sie sich gestellt hatten, als schlummerten sie friedlich, kamen sie, wenn die Eltern es nicht sahen, hervorgekrochen und baten stumm die Brüder um einen gastronomischen Beweis brüderlicher Liebe. Diese waren nicht hartherzig und gaben ihnen einige Bissen, und die Folge davon war, daß die Kleinen in Nachtjäckchen während des ganzen Essens lebhaft umherschwärmten, aus dem Bett zu den Stühlen und zurück. Das regte Mr. Tetterby außerordentlich auf und versetzte ihn einige Male in die Zwangslage, einen Ausfall zu machen, vor dem sich dann diese Guerillatruppen nach allen Richtungen in großer Verwirrung flüchteten.

      Mrs. Tetterby fand keinen Genuß an ihrem Abendessen. Sie schien etwas auf dem Herzen zu haben. Einmal lachte sie ohne Grund, ein anderes Mal weinte sie ohne Grund, und schließlich lachte und weinte sie in einer so unbegründeten Art und Weise, daß ihr Mann ganz bestürzt war.

      »Mein kleines Frauchen«, sagte Mr. Tetterby, »wenn's in der Welt so zugeht, so geht es nicht mit rechten Dingen zu.«

      »Gib mir einen Tropfen Wasser«, sagte Mrs. Tetterby mit den Tränen kämpfend. »Sprich nicht mit mir, und nimm überhaupt keine Notiz von mir, bitte!«

      Nachdem Mr. Tetterby ihr das Wasser gereicht hatte, wandte er sich plötzlich gegen den unglücklichen Johnny, der voll Teilnahme zusah, und fragte, warum er in Völlerei und Faulheit schwelge, anstatt mit dem Wickelkind vorzutreten, damit der Anblick des kleinen Püppchens seine Mutter wieder zu sich bringen könne. Johnny kam sofort herbei, niedergedrückt durch die Last; Mrs. Tetterby aber streckte abwehrend die Hand aus, zum Zeichen, daß sie noch nicht imstande sei, eine so harte Prüfung ihrer Gefühle auszuhalten, und so wurde ihm denn verboten, auch nur einen Zoll näher zu treten, unter Androhung ewigen Hasses von Seiten aller seiner teuersten Verwandten. Demgemäß zog sich Johnny wieder auf seinen Stuhl zurück und


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