Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). Walter Benjamin

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Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - Walter  Benjamin


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die Straße hinunter, ob sie noch nicht kämen, und Mrs. Fielding schaute jedesmal nach der verkehrten, ja, vollständig unmöglichen Richtung, und als man sie hierauf aufmerksam machte, sprach sie die Hoffnung aus, sie werde doch wohl die Freiheit haben, hinzublicken, wohin es ihr beliebe. Endlich kamen sie: ein kleines rundliches Paar, in jener zierlichen gemächlichen Weise einherschreitend, die ganz zu der Dot’schen Familie gehörte, und Dot und ihre Mutter hatten eine wunderbare Ähnlichkeit, wie sie so nebeneinander saßen.

      Und nun mußte Dots Mutter ihre Bekanntschaft mit Mays Mutter erneuern, und Mays Mutter hob immer wieder ihre Vornehmheit hervor, wogegen Dots Mutter weiter nichts als ihre rührigen kleinen Füße rühmte. Und der alte Dot – ich meine Dots Vater: ich vergaß, daß es nicht sein eigentlicher Name war: aber das ist ganz gleich – der alte Dot erlaubte sich allerlei Freiheiten; schüttelte Leuten, die er bisher nie gesehen, die Hände und schien an einer Haube nichts zu finden, als eine gewisse Menge von Stärke und Musselin, hatte auch dem Indigohandel gegenüber nicht den geringsten Respekt, sondern sagte, daran sei nun einmal nichts zu ändern – kurz er war, nach Mrs. Fieldings summarischem Urteil, ein guter Mann – aber du grundgütiger Himmel, wie ungebildet!

      Um nichts hätte ich Dot missen mögen, wie sie in ihrem Hochzeitsstaate die Honneurs machte – und meinen Segen über ihr strahlendes Gesicht! Ja, auch den guten Fuhrmann nicht, der so innerlich froh und mit so hochrotem Gesicht unten am Tisch saß. Noch den gebräunten frischen Matrosen und seine hübsche junge Frau. Noch sonst jemand von den Gästen. Das Essen missen, hieße ein so vergnügtes solides Festmahl missen, wie man sich nur eins wünschen kann: ebenso gut hätte man die überfließenden Becher missen können, aus welchen man auf den Hochzeitstag trank, und das wäre sicherlich der allergrößte Verlust gewesen.

      Nach dem Festmahl sang Kaleb sein Lied von der schäumenden Bowle. Und so wahr ich am Leben bin und es noch einige Jahre zu bleiben hoffe, – er sang alle Strophen bis zu Ende.

      Und nebenbei bemerkt, gerade in dem Augenblick, als Kaleb mit dem letzten Vers fertig war, geschah etwas ganz und gar Unerwartetes.

      Es wurde leise an die Tür geklopft, und ein Mann mit etwas Schwerem auf dem Kopfe kam, ohne zu sagen: »Darf ich?« oder »Mit Eurer Erlaubnis« ins Zimmer gestolpert. Er stellte eine Last mitten auf den Tisch, genau in die Mitte von Nüssen und Äpfeln, und sagte:

      »Kompliment von Mr. Tackleton, und da er von dem Hochzeitskuchen selbst keinen Gebrauch mehr machen könne, so möchtet Ihr ihm die Ehre antun, ihn zu verspeisen.«

      Mit diesen Worten ging er wieder von dannen.

      Wie man sich leicht vorstellen kann, war die Gesellschaft sehr überrascht. Mrs. Fielding, eine Dame von unendlichem Scharfsinn, äußerte sich dahin, der Kuchen sei vergiftet, und erzählte sofort die Geschichte eines Kuchens, von dem ein ganzes Mädchenpensionat blau angelaufen sei. Aber sie ward durch Akklamation überstimmt, und der Kuchen wurde mit großer Feierlichkeit und unter allgemeinem Jubel von May selbst zerschnitten.

      Noch niemand, glaube ich, hatte davon gekostet, als zum zweitenmal an die Tür geklopft wurde, und es erschien derselbe Mann mit einem großen braunen Paket unter dem Arm.

      »Kompliment von Mr. Tackleton, und hier schicke er einige Spielsachen fürs Wickelkindchen. Und sie seien nicht häßlich.«

      Nachdem er hiermit seinen Auftrag ausgerichtet, eilte er wieder davon.

      So groß war das Erstaunen der ganzen Gesellschaft, daß sie sehr verlegen um Worte gewesen wäre, selbst wenn sie Zeit genug gehabt hätte, danach zu suchen. Aber es blieb ihr keine Zeit übrig; denn kaum hatte der Bote die Tür hinter sich geschlossen, als zum drittenmal geklopft wurde und Tackleton selbst ins Zimmer trat.

      »Mrs. Peerybingle«, begann der Spielwarenhändler mit dem Hut in der Hand, »es tut mir sehr leid. Jetzt noch mehr als heute morgen. Ich habe Zeit gehabt, darüber nachzudenken … John Peerybingle, ich bin von Haus aus ein alter Griesgram; aber ich kann nicht anders mehr oder weniger weichmütig werden in Gesellschaft eines Mannes, wie Ihr seid … Kaleb, dieses ahnungslose Kindermädchen, gab mir gestern abend einen rätselhaften Wink, zu dem ich nun die Lösung gefunden habe. Ich erröte, wenn ich daran denke, wie leicht ich Euch und Eure Tochter an mich hätte fesseln können und welch ein erbärmlicher Tropf ich war, als ich sie für einen solchen hielt! Ihr Freunde – erlaubt mir, Euch alle miteinander so zu nennen! – mein Haus ist heute abend ganz verlassen. Nicht einmal ein Heimchen hab ich an meinem Herd. Ich habe sie alle verscheucht. Habt Mitleid mit mir; laßt mich in Eurer glücklichen Gesellschaft auch froh sein!«

      Hochzeitsttanz

       Inhaltsverzeichnis

      In fünf Minuten fühlte er sich vollständig heimisch. Nie habt ihr einen so fidelen Gesellschafter gesehen. Was hatte er denn sein Leben lang getrieben, daß er bis jetzt nie erkannt, welch ein Talent zur Lustigkeit er hatte! Oder wie hatten die Elfen es angefangen, eine solche Verwandlung hervorzubringen?

      »John«, flüsterte Dot, »nicht wahr, du schickst mich heute abend doch nicht mehr nach Hause, wie?«

      Aber er war doch sehr nahe daran gewesen!

      Es fehlte nur noch ein lebendes Wesen, um die Gesellschaft vollzählig zu machen. Und in einem Augenblick war es da, sehr durstig vom schnellen Laufen und indem es sich anstrengte und hoffnungslose Anstrengungen machte, seinen Kopf in einen engen Wasserkrug zu zwängen. Er hatte den Wagen bis ans Ziel seiner Reise begleitet, höchst aufgebracht über die Abwesenheit seines Herrn und schrecklich rebellisch gegen die Expedition. Nachdem er dann einige Zeit um den Stall herumgestrichen und vergebens versucht hatte, das alte Pferd zu einer aufrührerischen Tat zu verführen, war er auf eigene Faust umgekehrt, war in das Schankzimmer gegangen und hatte sich vor das Feuer gelegt. Da er sich jedoch davon überzeugt hatte, daß der Stellvertreter ein Schwindler sei und nicht verdiene, daß man bei ihm bleibe, hatte er sich wieder auf die Beine gemacht und war spornstreichs nach Hause zurückgelaufen.

      Am Abend gab’s ein Tänzchen. Mit der allgemeinen Erwähnung dieser Lustbarkeit könnte ich die Sache auf sich beruhen lassen, hätte ich nicht einigen Grund anzunehmen, daß es ein ganz origineller und ungewöhnlicher Tanz war. Er wurde in ganz eigentümlicher Weise arrangiert, und zwar folgendermaßen:

      Eduard, der Matrose – ein echter, braver, flotter Bursch war er – hatte ihnen allerhand Wunderdinge von Papageien, Goldminen, Mexikanern, Goldstaub usw. erzählt, als es ihm plötzlich in den Kopf kam, aufzuspringen und einen Tanz vorzuschlagen: denn Berthas Harfe war zur Hand, und sie spielte sie, wie ihr’s selten zu hören bekommt.

      Dot – das heuchlerische kleine Ding, konnte sich manchmal so aufspielen! – Dot behauptete, ihre Tanztage wären vorüber. Aber ich glaube, das sagte sie darum, weil der Fuhrmann gerade seine Pfeife rauchte und sie lieber neben ihm sitzen wollte. Mrs. Fielding blieb nun natürlich nichts andres übrig, als ebenfalls zu behaupten, ihre Tanzzeit sei dahin; und das behaupteten alle; May ausgenommen; May war bereit.

      Und so traten Eduard und May unter allgemeinem Beifall vor, um allein zu tanzen, und Bertha spielte ihre fröhlichste Melodie.

      Aber ihr mögt mir’s glauben oder nicht – noch keine fünf Minuten haben sie getanzt, da wirft plötzlich der Fuhrmann seine Pfeife fort, faßt Dot um die Taille, stürzt mit ihr mitten ins Zimmer und wirbelt auf Hack’ und Spitze mit ihr herum, ganz wundervoll. Kaum sieht dies Tackleton, so gleitet er hinüber zu Mrs. Fielding, faßt sie um die Hüfte und tut ebenfalls mit. Kaum sieht dies der alte Dot, sofort ist er ganz Feuer und Flamme, schiebt mit Mrs. Dot mitten in die Tanzenden hinein und ist bald an der Spitze. Als Kaleb dies kaum gesehen hat, packt er Tilly Tolpatsch bei den Händen, und feste geht es darauf los. Fräulein Tolpatsch glaubt natürlich, daß das ganze Geheimnis der Tanzkunst darin liegt, daß man immer in die anderen Paare hineinfällt und möglichst mit ihnen zusammenstößt.

      Horcht! Wie das Heimchen mit seinem Zirp–zirp–zirp in die Musik einfällt und wie der Kessel summt!

      Aber was ist das! Eben da ich ihnen fröhlich lausche und mich


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