Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer. Ludwig Ganghofer
Читать онлайн книгу.href="#u54a5403e-1050-5a75-b737-3f47e27bbbda">Inhaltsverzeichnis
Wieder war es Abend geworden. Wenn auch die Straßen und die weißen Häuser noch im roten Glanz der sinkenden Sonne lagen, so herrschte doch in Paulis Stübchen schon tiefes Dunkel; die kleinen, grünen Fensterläden, welche die Nacht über geschlossen waren, hatten sich auch während des ganzen Tages nicht geöffnet. Durch die Ritzen stahl sich noch ein letzter Schimmer des scheidenden Abends in das dunkle Stübchen. Wie goldfunkelnde Leuchtfäden lag es auf der finsteren Wand, und in dünnen, flimmernden Streifen zog das Licht von ihnen aus durch den kleinen, stillen Raum, zitterte um ein gebeugtes Haupt und legte sich mit rotem Schimmer auf die grob geblümte Bettdecke und auf ein bleiches Gesicht, das in den schweren, dem Druck widerstrebenden Kissen lag.
So still war es in dem Stübchen, daß man das leise Ticken einer Taschenuhr vernahm, die irgendwo auf dem Tisch oder auf einem Fensterbrettchen liegen mußte; dazwischen hörte man von Zeit zu Zeit einen tiefen Atemzug und manchmal auch ein mattes Rascheln, wie wenn eine Hand über steifes Leinen gleitet. Nur von außen wurde diese Stille in langen Zwischenräumen gestört, wenn von dem Tanzboden des Wirtshauses die gedämpften Weisen herüberklangen. Da drüben wurde ja heute Hochzeit gehalten.
Wieder einmal setzten die Töne eines Ländlers ein, als sich in dem Stübchen eine Gestalt von dem Stuhl zur Seite des Bettes erhob und mit leisen Tritten zum Fenster glitt. Es war Pauli, der die Taschenuhr, die er aufgenommen hatte, an jenen Spalt des Fensterladens hob, durch den das meiste Licht eindrang. Dann ging er wieder zurück, beugte sich über den Kranken und flüsterte: »Lehnl ... Lehnl!«
»Was is?« klang mit schwacher Stimme die Antwort.
»Die Stund is gar, einnehmen mußt.«
»So gib halt her!«
Man hörte das matte Schnalzen eines aufgehenden Korkes, das leise Klingen des mit dem Löffel berührten Glases --- dann sank der Kranke schwer in die Kissen zurück, und alles war wieder still.
Die ungestörte Ruhe während des ganzen Tages und das besänftigende Medikament, das der in aller Frühe aus Ammergau herbeigeholte Doktor verordnet hatte, waren für Lehnls Befinden von der besten Wirkung gewesen. Seine gesunde, trotz der hohen Jahre noch kräftige Natur hatte auch das ihrige getan, und so war es gekommen, daß sich Lehnl gegen Abend wohler befand, als man des Morgens nach seiner schweren Kopfwunde hätte hoffen können. Außer dem Holzknechte, den Pauli in der Früh zum Doktor geschickt hatte, wußte im Dorf noch niemand etwas von dem Vorfall. Muckl hatte guten Grund, nicht davon zu reden, und wenn Pauli nicht gesprochen und niemand zur Hilfeleistung herbeigezogen hatte, so war es auf die Bitte Lehnls geschehen, den die Sorge quälte, die Leute möchten von dem einen aufs andere kommen und so sein sorgsam gehütetes Geheimnis in Gefahr bringen oder zum mindesten den guten Ruf seines Kindes. Daß Pauli dieser Bitte Folge geleistet, hatte viel zu Lehnls Beruhigung beigetragen. Nun lag er mit geschlossenen Augen und lauschte den vom Wirtshaus herüberklingenden Weisen.
Die spärlichen Lichter, die durch die Spalten der Fensterläden in das Stübchen fielen, wurden immer blasser und blasser, bis sie endlich ganz erloschen.
Lehnls Hand, die ruhig auf der Decke gelegen, hob sich und tastete nach Paulis Arm.
»Bub!« flüsterte der Kranke, ohne den verbundenen Kopf zu regen.
»Was magst?« fragte Pauli und beugte sich nieder.
»Hörst es?« Er meinte die herüberklingende Musik. »Möchtest leicht ein bißl ummi? Gelt?«
»Was fallt dir ein! Ich werd dich doch net allein lassen, in deim Zustand!«
»Die Loni möcht sich aber sorgen um mich... könntest ihr schon ein Wörtl sagen: Mir wär net recht gut ... oder was sonst sagen magst. Aber mach's net arg!«
»Na, na! Ich kann doch net weggehen!«
»Wann ich aber schlafet?«
»Nachher vielleicht.«
»Net vielleicht ... versprich mir's ... gwiß!«
»Ja ... ja... sei nur stad und streng dich net z'arg an!«
Es dauerte kaum ein paar Minuten, so fing Lehnl leise zu schnarchen an. Pauli wußte wohl, daß der Alte so rasch nicht eingeschlafen sein konnte, aber er hielt es für gut, auf den Wunsch des Kranken einzugehen. Sein eigenes Herz sprach ihm wohl auch ein wenig zu, und so erhob er sich denn, zog geräuschlos seine Feiertagsjoppe an und ging hinaus.
Als Pauli, von Bekannten und Freunden angesprochen und aufgehalten, endlich die schmale Treppe, die zu dem im ersten Stocke des Wirtshauses gelegenen Tanzboden führte, hinter sich hatte und auf die offene Tür zutrat, war gerade ein Tanz zu Ende. Plaudernd, lärmend und jauchzend umschritten die einzelnen Paare den niederen Saal, um sich an die gedeckten Tische zu verlieren, die in dem anstoßenden Zimmer durch einen breiten Wanddurchbruch sichtbar waren.
»So schick dich!« hörte Pauli Lonis helle Stimme von der Treppe her; und gleich darauf erschien sie auf der obersten Stufe. Das Mädchen sah reizend aus in dem Sonntagsstaat mit dem geblümten seidenen Röckchen und dem schwarzen Miederchen, an dem das silberne Schnürzeug prunkte und die alten Schaumünzen klirrten und klingelten. Wie eine dunkle Krone saß die glanzhaarige Bibermütze auf ihren braunen Flechten, und der großmütig stolze Gruß, mit dem sie jetzt an Pauli vorüber in den Tanzsaal schritt, hätte auch einer gekrönten Fürstin Ehre gemacht. Ihr auf dem Fuße folgte Loisl, einen mächtigen, mit Wasser gefüllten Blechtrichter in der Hand, dessen untere Öffnung er sorgfältig mit dem Finger zugedrückt hielt. Als die beiden eingetreten waren, hörte Pauli das Mädchen zu Loisl sagen: »So, jetzt spritz, aber ordentlich!« Er sah auch noch, wie der Geißbub anfing, mit dem aus dem Trichter fließenden dünnen Wasserstrahl die wunderlichsten Arabesken auf den staubigen Fußboden zu zeichnen; dann wandte er sich, schritt über den Gang zurück und trat durch die hintere Tür in die Gaststube.
Loni sah ein paar Sekunden noch den Spritzkünsten des Geißbuben zu und wollte dann ebenfalls in die Gaststube eintreten, als Muckl ihr entgegenkam und sie aufhielt. Am frühen Morgen schon war der Bursche einigemal lauernd an Paulis Häuschen vorübergeschlichen, hatte wohl bemerkt, daß die Fensterläden geschlossen blieben, und hatte auch den herbeigeholten Doktor eintreten sehen; so trieb ihn nun eine leise Angst, zu versuchen, ob er vielleicht von Loni etwas Näheres über Lehnls Befinden erfahren könnte.
»Hast du vielleicht was ghört, wie's dem Lehnl geht?« sprach er das Mädchen an.
»Wie's ihm geht? ja fehlt ihm denn was?« war Lonis verwunderte Frage. Hätte sie nur dem Burschen mit etwas weniger Unbefangenheit ins Gesicht geblickt, so würde ihr die Verlegenheit nicht entgangen sein, die ihm bei diesen Worten rot über die Stirne fuhr.
»Ja ... das heißt ... ich weiß net«, gab er stockend zur Antwort, »ich hab nur so was läuten hören, als ob er gfallen wär und hätt sich am Kopf oder am Arm aufgschlagen.«
»Du machst mir ja völlig angst!«
»Der Pauli soll ihn gfunden und heimbracht haben.«
»Siehst es, siehst es, hab ich mir doch heut früh gleich denkt, es müßt was gschehen sein! Weißt, der Lehnl is mit mir gestern auf d' Alm gangen und über Nacht droben blieben. Heut in der Früh schrei ich ihm ... schrei allweil, krieg aber kein Antwort ... und wie ich nach seiner Liegestatt schau, is er nimmer da.«
»Geh weiter!« gab Muckl mit gut gespielter Verwunderung zurück. »Aber wie gsagt, ich kann dir gar nix Bestimmts net sagen.«
»Da muß ich ja doch gleich nach dem Pauli schaun... grad is er noch unter der Tür gstanden!« Loni ließ den Burschen stehen, der ihr lächelnd nachblickte, einen halblauten, kurzen Pfiff tat und sich auf dem Absatz gegen die Tür der Gaststube drehte. Doch als er die Schwelle überschreiten wollte, trat ihm Pauli in den Weg.
»Halt, Muckl, ich hab ein Wörtl z'reden mit dir!« Die Blicke, mit denen Pauli diese Worte begleitete, waren gerade nicht die gutmütigsten.
Muckl trat einige Schritte zurück und musterte Paulis Schuhe. »Schau ... kommst du gar auch zum Tanz?« fragte er spöttisch. »Ich