Der Landdoktor Staffel 2 – Arztroman. Christine von Bergen

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Der Landdoktor Staffel 2 – Arztroman - Christine von Bergen


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die Nicoles Herz weit öffnete. Nie mehr auf der Bühne stehen müssen, nie mehr die schneidende Stimme des Ballettmeisters hören, nie mehr hungern müssen, keine Schmerzen mehr haben. Das würde das Paradies auf Erden sein.

      Durch die Injektion taten ihr die Füße nicht mehr weh, aber sie wusste, dass dieser Zustand nur begrenzt anhalten würde. Dr. Brunner hatte ihr offen mitgeteilt, dass sie an einer Operation wahrscheinlich nicht vorbeikam. Eine solche Operation würde zumindest ihr Engagement in der Schweiz beenden. Ob Heiko sie nach der Genesung an eine andere Bühne würde vermitteln können, stand noch in den Sternen. Eine ehemalige Primaballerina, die bereits ein Burnout und eine Fußoperation hinter sich hatte, garantierte einer anderen, in der Welt angesehenen Bühne nicht gerade stählerne Kraft und reibungsloses Funktionieren.

      Nicole hielt am Straßenrand an und schaute über die blühenden Wiesen hinweg hinüber zu den Schwarzwaldhöhen am Horizont.

      Wollte sie überhaupt noch tagtäglich funktionieren? Nein und nochmals nein. Seit sie Daniel kannte, sehnte sie sich nach einem anderen Leben. Er hatte den Absprung vom Erfolg doch auch geschafft und war heute mit sich und der Welt im Reinen. Das wollte sie auch von sich sagen können.

      Ihr Selbstgespräch fand ein jähes Ende durch den Anruf ihrer Mutter.

      »Schatz, wo bist du?«

      »Immer noch in Ruhweiler, Mama«, antwortete Nicole, wobei sie genervt die Augen verdrehte. Dann stockte ihr der Herzschlag. Sie hatte ihrer Mutter den Namen ihres Aufenthaltsortes verraten.

      »Wie geht es dir?«, erkundigte sich ihre Mutter, als hätte sie dies nicht mitbekommen. »Bist du wieder in Ordnung?«

      »So schnell geht das nun auch wieder nicht.«

      Auch ihre Mutter hatte sie immer mehr als Tanzmaschine als als Mensch gesehen.

      »Die Erholung tut dir bestimmt gut, mein Schatz«, ruderte ihre Mutter hastig zurück. »Hast du mal mit Heiko gesprochen?«

      »Er hat angerufen.«

      »Gönn dir Ruhe, aber du darfst nicht den Anschluss verpassen, Kind«, mahnte Franziska mit der zucker­süßen Stimme, die sie stets anschlug, wenn sie eigentlich harte Kritik anbringen wollte.

      »Ist klar.«

      Dann herrschte Schweigen in der Leitung, bis ihre Mutter spitz fragte: »Kann es sein, dass du deine Tanzkarriere an den Nagel hängen willst?«

      Nicole hielt den Atem an. Sie sah dem Schwalbenpärchen zu, das schwerelos und frei seine Runden über den Tannenwipfeln drehte. Schwalben blieben ein Leben lang zusammen.

      »Ja, das kann sein«, sagte sie mit einer Offenheit, die sie selbst erschreckte.

      Wieder Stille in der Leitung. Dann: »Bist du verrückt geworden?«

      »Nein, Mama, bin ich nicht. Inzwischen glaube ich eher, dass ich bis jetzt verrückt gewesen bin. Ich habe meinen Körper geschunden, habe Schmerzen gehabt, Tabletten genommen, um mich zur Primaballerina hochzutanzen. Wie sieht mein Leben denn aus? Ich bin gerade Mitte zwanzig und lebe wie eine Nonne. Ich will nicht mehr. Und du solltest dich schon einmal darauf einstellen, dass ich nicht mehr deine Träume lebe, sondern endlich meine eigenen.«

      »Aber …, aber, Kind.« Ihre Mutter klang, als hätte sie ihr eigenes Todesurteil erhalten.

      Sofort bekam sie ein schlechtes Gewissen. »Bitte, Mama, lass uns ein anderes Mal darüber reden. Das Telefon ist der falsche Ort dafür. Mach du erst einmal deine Kreuzfahrt, danach sehen wir uns.«

      Ohne eine Reaktion abzuwarten, drückte sie die rote Taste und beendete das Gespräch damit. Normalerweise hätte Franziska Konzack umgehend noch einmal angerufen. Doch dieses Mal blieb das Telefon stumm.

      Erst nachdem Nicole an ihrem kleinen Haus angekommen war, klingelte es wieder. Doch dieses Mal blies der Anruf alle wieder aufgezogenen dunklen Wolken an ihrem Seelenhimmel weg.

      »Ich habe eine Überraschung für dich«, teilte Daniel ihr mit. »Hast du heute am Nachmittag schon etwas vor?«

      Glücklich lächelte sie vor sich hin und drückte das Handy ganz fest ans Ohr, als könnte sie so dem geliebten Mann noch ein Stückchen näherkommen.

      »Nein«, sagte sie.

      Außer an dich denken, fügte sie stumm hinzu.

      »Ich habe mit Mutter besprochen, dass ich heute früher gehe und sie mich im Geschäft vertritt. Wenn es dir recht ist, bin ich gegen vier Uhr bei dir und hole dich ab.«

      »Das ist mir sehr recht.«

      »Übrigens, ganz liebe Grüße von Mutter. Sie würde uns gern in den nächsten Tagen zu Kaffee und Kuchen einladen. Wäre das für dich in Ordnung?«

      Sie lachte. »Und wie das in Ordnung wäre. Deine Mutter war mir auf den ersten Blick sympathisch.«

      »Das passt. Du ihr nämlich auch.«

      *

      »Vertrau mir«, sagte Daniel mit seiner dunklen Stimme.

      Sie standen am Straßenrand außerhalb von Ruhweiler. Vor ihnen erstreckten sich Wälder und Felder. Er hielt ein Tuch in den Händen. »Ich möchte, dass die Überraschung perfekt ist.«

      Nicole lächelte ihn an.

      Ja, sie vertraute ihm. Blind hätte sie sich in seine Hände begeben.

      »Okay«, sagte sie. »Ich habe zwar keine Ahnung, was du vorhast, aber ich bin gespannt.«

      Zärtlich umfasste er ihr Gesicht und küsste sie zart auf die Lippen.

      »Niemals würde ich dir etwas antun, was du nicht willst«, versprach er ihr. »Du kannst auch gleich noch immer Nein sagen.«

      Seine Worte steigerten nur noch ihre Neugier und ihre Aufregung. Voller Hingabe und Vertrauen ließ sie sich mit dem Tuch die Augen verbinden. Dann ging die Fahrt weiter.

      »Wie fahren jetzt noch ein Stück über die Straße«, informierte Daniel sie. »Dann geht’s in einen holprigen Weg.«

      »Aber ermorden willst du mich nicht, oder?«, flachste sie.

      Er lachte. »Im Gegenteil. Ich will dir zeigen, was Leben ist.«

      Sein Jeep rumpelte über einen Weg. Dann blieb er stehen. Nicole horchte. Alles war still. Nur der Sommerwind wehte. Sie mussten sich auf freiem Feld befinden. Die Halme knisterten leise wie Pergament.

      »Wir sind da«, verkündete Daniel. Sie merkte, wie er sich zu ihr hinüberbeugte. Dann nahm er ihr das Tuch von den Augen.

      Sie blinzelte. Das grelle Sonnenlicht traf sie wie ein Scheinwerfer. Sie sah sich um. Zu ihrer Rechten standen hohe Tannen, zur Linken … Ihre Augen weiteten sich.

      »Ein Ballon!«, rief sie überrascht aus. »Ist der für uns?«

      Daniel nickte. »Möchtest du oder hast du Angst vor der Höhe?«

      »Nein, überhaupt nicht. Das war schon immer einer meiner Träume.«

      Er lachte sie an. So glücklich wie ein kleiner Junge, dem eine Überraschung gelungen war.

      »Komm.« Er sprang aus dem Wagen, lief um ihn herum und nahm ihre Hand. »Ich stell dir den Ballonführer vor. Er ist ein erfahrener Mann. Du brauchst dir also keine Sorgen zu machen.«

      Nein, die machte sie sich auch nicht. Mit Daniel an ihrer Seite hätte sie sich sogar in die Hölle getraut.

      Seine Hand hielt ihre fest, als er ihr den älteren, ruhig wirkenden Mann vorstellte, und seine starken Arme halfen ihr dann schließlich in den Korb. Als sie dort stand, erinnerte sie sich an ihre Kindheit. Im Garten ihrer Großeltern war sie immer so gern auf Obstbäume geklettert und hatte aus luftiger Höhe ihre Träume auf Reisen geschickt.

      »Es könnte gleich ein bisschen ruckeln«, sagte der Ballonführer.

      Daraufhin zündete er den Propangasbrenner an, der sich mittig unter der Öffnung der


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