Der Landdoktor Staffel 2 – Arztroman. Christine von Bergen

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Der Landdoktor Staffel 2 – Arztroman - Christine von Bergen


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ihr Gesicht in den warmen Sommerwind und Daniels Hand ganz fest in ihrer. Als sie sie wieder öffnete, war die Welt unter ihnen schon ein Stück kleiner geworden. Die Kühe auf den Wiesen wirkten wie Spielzeug­figuren, die Straßen wie silbrige Bänder, die sich durch tiefes Grün und Weizengelb zogen. Jetzt überflogen sie den Doktorhügel, wie die Ruhweiler die Anhöhe nannten, auf der Dr. Brunner lebte und praktizierte. Sie stiegen immer weiter hoch. Nicole umschlang Daniel mit beiden Armen und schmiegte sich an ihn. Ihr Haar wehte wie eine Fahne im Wind.

      »Wunderschön!«, rief sie gegen die Fahrgeräusche an.

      »Schau mal dort hinten. Da siehst du die Alpen.«

      »Das ist atemberaubend.« Tränen standen ihr in den Augen, die nicht vom Wind kamen. Ihr Herz wollte überlaufen vor Liebe und Dankbarkeit.

      Wie klein und unbedeutend einem das eigene Leben vorkam, wenn man die Welt in ihrer ganzen Größe und Erhabenheit betrachtete. Während die Menschen kamen und gingen, würde all dies erhalten bleiben. Was bedeutete dagegen ein Anruf von Heiko Wieland? Ein neues Bühnenengagement? Nichts. Nur die Liebe zählte, ein Mensch an ihrer Seite, der ihr Gutes tun wollte, der ihr diese sie zutiefst ergreifende Erfahrung zum Geschenk machte. Und während der Ballon sie schwerelos über die Welt hinwegtrug, reifte in Nicole der Entschluss, ihrem alten Leben Ade zu sagen. Sie wollte Daniels Einladung in ein neues annehmen.

      Nachdem die Erde sie wiederhatte, umarmte sie Daniel.

      »Danke«, flüsterte sie an seiner Wange.

      Er zog sie ganz fest an sich, legte sein Kinn auf ihren Scheitel und streichelte ihr Haar. Sie waren sich so nah, wie es nur zwei Menschen sein können, die wissen, dass sie für immer zueinandergehören.

      »Du hast mich gestern Abend in dein Leben eingeladen«, fuhr sie fort. »Ich möchte die Einladung annehmen.«

      Da nahm er ihr Gesicht in beide Hände. Sein durchdringender Blick traf bis tief in ihre Seele.

      »Bist du sicher?«

      »Ja.«

      »Du willst das Ballett aufgeben?«

      »Ja.« Frei und offen erwiderte sie seinen Blick.

      Als seine Lippen zärtlich ihren Mund berührten, ließ sie sich durch Daniels Küsse noch einmal zurück in den Himmel tragen.

      *

      Am nächsten Tag ging Nicole zum Friseur. Wie viele Frauen, die in eine neue Lebensphase traten, hatte auch sie plötzlich die Idee, ihre Frisur zu verändern. Der Ballerina-Knoten war passé. Sie brauchte etwas anderes. Die aparte Rothaarige namens Vera, die Chefin des Geschäfts, riet ihr zu einem Stufenschnitt, »für mehr Bewegung im Haar«.

      »Ja«, stimmte sie ihr zu. »Bewegung ist gut.«

      Viel zu lange hatte sie stillgestanden in ihrem Leben.

      »Aber allzu viel will ich nicht abschneiden«, sagte Vera entschieden. »Sie haben so wunderschönes Haar.«

      Nicole lächelte und begab sich in Veras geübte Hände. Neben ihr saß auch eine junge Frau, die von einer Angestellten frisiert wurde. Während ihre Haarkur einwirkte, bekam sie, ohne dass sie es darauf angelegt hätte, deren Unterhaltung mit.

      »Wie geht es dir eigentlich?«, erkundigte sich die Friseuse mit unterdrückter Stimme.

      Die beiden mussten sich besser kennen.

      »Es geht. Ich habe immer noch Hoffnung.«

      »Dass Daniel zu dir zurückkommt?«

      Die hübsche Dunkelhaarige in dem Frisierstuhl lächelte in den Spiegel. »Zumindest ist er immer noch sehr nett und lieb zu mir. Ich weiß nicht, ob ich sein Verhalten freundschaftlich deuten soll oder ob er auch noch Gefühle für mich hat.«

      Daniel? Nicole blätterte weiter in der Illustrierten, ohne jetzt jedoch weiterzulesen. Alle ihre Sinne waren auf das Gespräch der beiden gerichtet.

      »Gestern war ich bei ihm im Sportgeschäft. Da hat er mich geküsst«, hörte sie die Kundin erzählen.

      »Richtig?«

      »Nun ja, nicht ganz so richtig, aber liebevoll und zärtlich.«

      Sportgeschäft … Nicole durchfuhr es wie ein Blitz. Hier konnte nur von Daniel Geißle die Rede sein. Von ihrem Daniel.

      »Ich weiß nicht, Katja«, meinte die Friseurin in zweifelndem Ton. »Nach so vielen Jahren … Ihr beide habt euch doch in dieser Zeit verändert.«

      »Das ist es ja gerade«, ereiferte sich die junge Frau namens Katja nun. »Daniel hatte sich, als er diese blöde Sportkarriere angefangen hat, total von mir wegentwickelt. Und jetzt hat er sie beendet. Er ist nach Hause zurückgekommen, hat sein Geschäft, und nun wäre es doch an der Zeit, eine Familie zu gründen. Genau das, wovon wir früher einmal zusammen geträumt haben.«

      »Früher … Da seid ihr gerade volljährig gewesen.«

      »Na und?« Katja warf ihrer Bekannten im Spiegel einen wilden Blick zu. »Daniel wird in den vergangenen Jahren kurze Beziehungen gehabt haben, falls der Sport ihm das überhaupt erlaubt hat. Und ich auch. Wir haben Erfahrungen gesammelt. Sind älter und reifer geworden. Jetzt ist er solo, und ich bin es auch. Das passt doch. Wir kennen uns, wissen, auf wen wir uns einlassen.«

      »Ich weiß nicht.« Die Friseurin seufzte laut auf, versprühte eine Wolke Festiger und meinte dann: »So, jetzt kannst du heute Abend auf die Party gehen. Du siehst toll aus. Wenn dir da nicht alle Männer nachlaufen, weiß ich es auch nicht.«

      »Alle müssen es nicht sein. Daniel reicht mir schon«, erwiderte Katja, stand auf und bezahlte.

      Nicole griff sich an den Kopf. Ihre Hand zitterte.

      War das möglich? Gab es in Daniels Leben eine Frau, die ihn liebte? Darüber hatte sie überhaupt noch nicht nachgedacht. Katja schien ernste Absichten zu haben. Und sie machte durchaus den Eindruck, diese gegen jeden Widerstand durchzusetzen. Was war denn mit dieser Party? Daniel hatte ihr nicht gesagt, dass er an diesem Abend zu einer Party gehen wollte. Aber sie hatten sich ja heute auch noch nicht gesprochen. Hatte er gestern vergessen, dies zu erwähnen? Oder wollte er nicht, dass sie von dieser Party wusste? Dort würde er auch Katja treffen, wie sie gerade erfahren hatte. Nicole wusste nicht, was sie denken und fühlen sollte. Sie und Daniel hatten sich gestern einander versprochen. Sie wollten fortan ihren Lebensweg gemeinsam gehen. Und heute Abend wollte er allein ein Fest besuchen? Ohne sie?

      Sie fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen. Als sie das Friseurgeschäft verließ, fühlte sie sich, als würde sie gerade eine Achterbahn verlassen. Diesen Zustand kannte sie nicht. Ihre Gedanken schlugen Purzelbäume, machten sie schwindelig. Sie musste Klarheit haben. Sofort.

      Kurz entschlossen fuhr sie zum Sportgeschäft.

      *

      »Du?« Daniel strahlte sie an, als sie den Laden betrat, in dem sich mehrere Kunden befanden. Dennoch kam er auf sie zu und küsste sie, was die anderen natürlich sahen.

      »Du siehst wunderschön aus«, fügte er leise mit bewunderndem Blick auf ihr Haar hinzu.

      Er macht also keinen Hehl aus unserer Liebe, sagte sie sich und fühlte sich sofort erleichtert.

      »Lass dich nicht stören«, sagte sie leise. »Ich schaue mich derweil ein bisschen um.«

      »Schade, dass Mutter nicht da ist«, erwiderte er. »Sonst könntet ihr hinten einen Kaffee trinken.«

      »Macht nichts.« Sie lächelte zurück und ging zu dem Regal mit den Wanderschuhen hinüber.

      Keinesfalls wollte sie ihn bei der Arbeit stören. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie er mit den Kunden umging. Er machte seine Sache gut. So gut, dass alle nacheinander mit einer großen Tüte seinen Laden verließen.

      »Mittagspause«, rief Daniel, als er die Tür abschloss. Er ging auf sie zu und nahm sie in die Arme. »So, jetzt habe ich Zeit für dich.«

      Sein Kuss


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