Der Landdoktor Staffel 2 – Arztroman. Christine von Bergen

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Der Landdoktor Staffel 2 – Arztroman - Christine von Bergen


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in der Sonne ein kreisrunder Weiher lag, inmitten einer grünen Wiese.

      »Er ist ein Geheimtipp. Ihn kennen nur wenige Leute.«

      »Und woher weißt du von ihm?«

      »Von meiner Kusine Julia. Sie betreibt mit ihrem Mann Leon und ihrer Großmutter zusammen eine Pension oberhalb von Ruhweiler.« Daniel sah sie aufmunternd an. »Wollen wir?«

      Sie nickte.

      *

      Die Fahrt ging wieder bergab. Durch Wälder, in die die Sonnenstrahlen wie goldene Fäden fielen, durch kleine Dörfer, die nur aus wenigen Bauernhäusern bestanden, und dann bog Daniel von der Landstraße ab in einen schmalen Weg, der zu dem See führte. Er parkte vor der Hütte, deren Veranda aufs Wasser hinausragte.

      Nicole atmete tief ein. Die Luft roch nach Moos und Harz.

      Sie ließ die Stille um sich herum ein paar Augenblicke lang auf sich wirken. Eine Stille, als würde sich die Welt auf sich selbst besinnen. Dabei beobachtete sie die winzigen Ringe, die die Wasserflöhe in die Wasseroberfläche malten, hörte dem leisen Glucksen zu, spürte die Sonne auf ihrer Haut und sah dem Schwalbenpärchen zu, das am weiten Himmel seine Runden drehte. Am Ufer des Weihers dümpelte ein kleines Boot.

      Daniel öffnete die hintere Tür des Jeeps und nahm einen Weidenkorb heraus. Verwundert sah sie ihn an.

      »Es ist bereits eingedeckt«, sagte er mit verschmitztem Blick, während er vor ihr her zum See ging.

      Das Wasser schimmerte hier unten wie grüne Seide. Auf all den kleinen laufenden Wellen blitzte der Widerschein der Sonne mit tausend gaukelnden Lichtern. Welch eine Idylle!

      Daniel half ihr ins Boot. Verblüfft stellte sie fest, dass die Sitzbank mit einer rot-weiß karierten Decke bedeckt war. Unter ihr stand eine Flasche Wein. Mit großen Augen sah sie Daniel an.

      »Wer hat das denn gemacht?«

      »Julia«, lautete seine Antwort. »Sie war heute in der Früh mit ihrem Mann zum Angeln hier.«

      Er stellte den Korb auf den Boden des schwankenden Bootes. »Mal sehen, was wir hier so haben«, meinte er dann munter.

      Vorsichtig setzte sie sich im Schneidersitz auf eines der beiden Kissen, die zu beiden Seiten der zum Tisch umgewandelten Sitzbank lagen, und konnte nur noch staunen, als Daniel die Schwarzwälder Spezialitäten auspackte.

      »Jetzt sag bloß, dass du das alles gemacht hast.«

      »Das wäre allerdings gelogen. Meine Mutter hatte die Idee, nachdem ich ihr von unserem Ausflug erzählt habe.«

      Er hatte also seiner Mutter von ihr erzählt. Der Gedanke gefiel ihr.

      Sie beobachtete ihn, wie er mit sicherer Hand die Flasche Wein entkorkte und zwei Gläser füllte.

      »Danke«, sagte sie leise, während sie ihr Glas entgegennahm.

      Sie sahen sich zwei Atemlängen lang in die Augen, bevor sie tranken. Es war ein kostbarer Augenblick. Das spürte sie genau. Ein Augenblick, den sie tief in sich aufbewahren wollte, damit er ihr Herz in dunkleren Zeiten erhellte.

      *

      Nicole spürte sofort die Wirkung des Alkohols. Oder war es nur die Nähe zu dem Mann, der ihr dieses besondere Geschenk machte?

      Daniel gab ihr nun sein Glas und griff nach den Rudern. Mit kräftigen gleichmäßigen Bewegungen fuhr er auf die Mitte des Sees hinaus. Das Wasser war von kristallener Klarheit, sodass man jeden Steinblock und jeden versunkenen knorrigen Ast auf dem Grund erkennen konnte. Bald zog er die Ruder ein und ließ das Boot dümpeln.

      »Ich hoffe, du hast auch Hunger«, sagte er.

      »Ja, habe ich«, erwiderte sie.

      Seinen leuchtenden Blick empfand sie wie ein Dankeschön.

      Nun machten sich die beiden über den Speck, das knusprige Brot und den Käse her. Dabei plauderten sie ganz zwanglos daher. Daniel erzählte Nicole unter anderem auch von seiner Kusine, die vor Kurzem ihre große Liebe gefunden hatte. Es war seine ganz eigene Art, die Worte zu formen, sie mit Gesten zu begleiten, die Nicole auch heute wieder in ihren Bann zog.

      Nach dem Picknick lehnten sie sich zurück und streckten sie die Beine aus, sodass sich ihre Schuhe unter der Sitzbank in der Mitte berührten. Dabei schaukelte der kleine Kahn langsam hin und her. Wasseramseln haschten nach Insekten, und bunt schillernde Libellen flogen im Zickzackkurs über sie hinweg. Die Ruhe an diesem besonderen Ort, die überwältigende Unendlichkeit des Himmels, die Luft, die so berauschend klar war – Nicole wünschte sich, dies immer genießen zu können. Welch ein Tag! Er war für die Ewigkeit gemacht.

      Sie schloss die Augen, sog den Atem des Waldes ein und hörte den Vögeln zu. Eine tiefe Zufriedenheit, wie sie sie noch nie gespürt hatte, breitete sich in ihr aus. Umgeben von der Schönheit der Natur ahnte sie zum ersten Mal eine höhere Macht, die dies alles hier auf Erden lenkte.

      Ich brauche nur Mut für eine Veränderung, sinnierte sie. Und Vertrauen in diese Macht.

      »Schau mal«, sagte Daniel.

      Sie öffnete die Lider.

      Das Boot dümpelte jetzt am Ufer. Daniel griff nach einem Farnbüschel, um es in Position zu halten. Sein Finger wies ihrem Blick den Weg.

      Da sah sie, zwischen dem Farn herausragend, einen kleinen bräunlich verdorrten Stamm, der sich in drei Äste teilte. Am kleinsten dieser Äste hing ein hellgrünes Blatt. Sie beugte sich aus dem Kahn, streckte die Hand aus, ganz vorsichtig und berührte mit den Fingerspitzen das Blättchen, das sich trotz aller Widerstände und ungünstigen Bedingungen durchgesetzt hatte. Beim genaueren Hinsehen entdeckte sie noch eine zarte Knospe.

      Sie sah Daniel an. Sie wusste, was er mit diesem Bild sagen wollte: Es kann immer wieder und überall Neues entstehen.

      *

      Die beiden merkten gar nicht, wie schnell die Zeit verging. Erst als Wind aufkam, ruderte Daniel zum Ufer zurück und machte das Boot fest. Nicole packte alle Sachen zusammen. Sie reichte sie ihm an und stieg aus.

      Nun standen sie voreinander, so nah, dass sie seinen Atem auf ihrem Gesicht spüren konnte. Sie wich seinem Blick nicht aus, der ihr mehr sagte, als Worte hätten ausdrücken können. Sie las in ihm, wie schön er das Zusammensein mit ihr empfand, dass er sie als Frau sah, als die Frau, die er begehrte. Und noch mehr. Seine Augen verrieten ihr mehr als nur Begehren. Da war ein Leuchten in ihnen, das Licht der Liebe. In diesem Moment empfand sie Daniels Nähe so stark, so überwältigend und bereits so vertraut, als würden sie sich schon viel länger kennen. Diese Nähe machte sie widerstandslos, und sie wünschte sich jetzt nichts so sehr, wie von ihm in die Arme genommen zu werden. Immer noch berührten sich nur ihre Blicke. In ihren Augen musste jedoch ihr inniger Wunsch gestanden haben, denn Daniel zog sie nun an den Schultern zu sich heran. So sanft und behutsam, als wäre sie zerbrechlich. Dann umschlossen seine Hände ihr Gesicht. Seine Finger liebkosten es, und schließlich, als sie wie unter einem Zauber die Augen schloss, spürte sie endlich seinen Mund auf ihrem. Da schlang sie die Arme um seinen Nacken und schmiegte sich an ihn. Während ihre Lippen miteinander verschmolzen, fühlte sie sich wie auf einem Flug in die Weite des Himmels, dem sie hier inmitten dieser Naturidylle viel näher war als sonst irgendwo.

      *

      »Schau mal, da kommt uns Daniel Geißle entgegen!«, rief Ulrike Brunner überrascht aus.

      Auch das Arztehepaar hatte an diesem sonnigen Sonntag einen Ausflug gemacht.

      Matthias hupte, Daniel tat es ihm gleich und winkte zurück.

      »Habe ich mich gerade getäuscht oder saß da wirklich Nicole auf dem Beifahrersitz?«, fragte die Landarztfrau mit großen Augen, nachdem die beiden Wagen aneinander vorbeigefahren waren.

      »Du hast dich nicht getäuscht, mein Schatz«, antwortete Matthias ebenso verblüfft.

      Sie waren dem Geländewagen genau in dem Moment begegnet, als Nicole ihren Kopf an Daniels Schulter geschmiegt hatte.


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