Der Landdoktor Staffel 2 – Arztroman. Christine von Bergen

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Der Landdoktor Staffel 2 – Arztroman - Christine von Bergen


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zum Schmelzen hätte bringen können: »Ich werde Sie auch nicht bei den Orthopäden verraten. Versprochen.«

      Unschlüssig schüttelte er den Kopf. Natürlich wollte er ihr helfen, aber es gab nun einmal Fachärzte, die streng darauf achteten, dass sich ein Hausarzt nicht in ihre Bereiche drängte.

      »Sie sind Landdoktor«, fuhr Nicole bittend fort. »Ihre Patienten haben doch so viele unterschiedliche Krankheiten. Thorsten hat mir erzählt, dass Sie sogar schon einmal einem Kälbchen ans Licht der Welt geholfen haben. Hat sich daraufhin der Tierarzt auch beschwert?«

      Er musste lachen.

      Sein Sohnemann …, gab mit seinem Vater an …

      »Ich mache diesen Test nur, wenn du danach die Therapie, die zur Heilung erforderlich ist, genau einhältst«, sagte er streng.

      Sie zögerte. »Wie sieht die denn aus?«

      »Absolute Ruhestellung der Füße und zusätzliche Injektionen gegen den Schmerz.«

      »Ruhigstellung?« Sie sah ihn groß an. »Ich wollte hier Sport machen, damit ich meine Beweglichkeit nicht verliere und mir Kondition antrainiere.«

      »Kein Sport.«

      »Okay, okay«, gab sie schnell nach.

      »Je nach Stärke der Verengung des Nervenkanals ist jedoch eine Operation nötig.«

      Sie erblasste. »Ich muss in drei Wochen wieder tanzen.«

      »Mädchen«, sagte er in eindringlichem Ton und nahm ihre kalte Hand in seine, »viel wichtiger als der Beruf ist die Gesundheit von Körper und Seele. Dein Burnout und die Schmerzen in den Füßen sollten dir eine Warnung sein. Hör bitte auf sie.«

      *

      In der zweiten Nacht konnte Nicole durchschlafen. Als sie morgens aufstand, verspürte sie jedoch wieder das ihr schon bekannte Brennen, besonders im rechten Fuß.

      Mit einem leisen Seufzer sah sie aus dem Fenster.

      Dort draußen sagten ihr die Sonne und ein wolkenloser Himmel Guten Morgen. Und sogleich hob sich ihre Laune.

      Ruhigstellung?, sagte sie sich. Gut, ich könnte mich nach draußen setzen und lesen. Doch dann dachte sie daran, dass sie in drei Wochen wieder auf der Bühne stehen musste. Der Notarzt, der sie nach ihrem Zusammenbruch auf der Bühne behandelt hatte, war Sportmediziner gewesen. Immer noch hatte sie seine Worte im Ohr: »Ausdauertraining ist wichtig. Fehlt die Kondition, übersäuert der Muskel, die Koordinationsleistung lässt nach und die Verletzungsanfälligkeit steigt.« Harte Worte, die der Ballettmeister abgetan hatte. Für sie ergaben sie jedoch Sinn. Also? Sie musste hier etwas tun. Schwimmen? Ja, das war doch ein Kompromiss. Beim Schwimmen belastete sie ihre Füße kaum. Und die Autofahrt zu dem kleinen See in der Nähe würde ihrer Therapie doch nicht so abträglich sein können, oder?

      *

      Die vier Autos am Seeufer zeigten Nicole, dass sie nicht die Einzige war, die zu dieser frühen Stunde baden ging.

      Sie schaute über die spiegelnde Wasserfläche. Hier und da konnte sie Köpfe erkennen. Es waren Schwimmer, die sportlich ihre Bahnen zogen. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal geschwommen war.

      Das Wasser war überraschend warm. Sie tauchte unter und aalte sich wie ein Fisch. Herrlich. Dann schwamm sie los. Ihr Ziel war der Holzsteg am gegenüber liegenden Ufer. Hin und zurück, überlegte sie. Das Ganze fünf Mal. Morgen würde sie ihr Pensum steigern.

      Kurz vor dem Steg musste sie sich jedoch eingestehen, dass sie sich ein zu hohes Ziel gesteckt hatte. Sie kam aus der Puste. Da passierte es. Sie hatte den Schwimmer vorher nicht bemerkt, der im Schmetterlingsstil vor ihr auftauchte. Und er sie auch nicht. Sie wich nach rechts aus, dennoch berührten sich ihre Beine. Der Mann mit dem dunklem Haar und der Schwimmbrille kam aus dem Bewegungsrhythmus, ruderte mit den Armen auf der Stelle und sah sich um. Sie erkannte ihn wieder. Er war der Holzfäller.

      »Grüß dich«, sagte er schwer atmend.

      Dabei schob er die Brille ins Haar. Sein strahlendes Lächeln zeigte ihr, dass er sich freute, sie zu sehen.

      »Hallo.« Auch ihr Atem ging unregelmäßig, obwohl sie viel ruhiger geschwommen war als er.

      »Haben die Käsespätzle geschmeckt?«

      Sie musste lachen. »Ich war gar nicht in der Hütte.«

      »Nicht gefunden?«

      »Mir taten die Füße weh«, gestand sie ihm offen.

      Er zeigte auf den Steg, der in den See ragte, und sah sie auffordernd an. Sie nickte. Er schwamm die wenigen Meter hinüber, sie folgte ihm. Dort angekommen hielten sie sich am Holz fest, was sie als Erleichterung empfand.

      Muskulöse Schultern hatte er, braun gebrannt, gestählt von der Forst­arbeit, nicht durchs Fitnessstudio. Sehr männlich, musste sie sich eingestehen. Dabei beschlich sie ein merkwürdiges Gefühl. War es etwa Scham? Mit wie vielen Ballettkollegen hatte sie schon die Umkleidekabine geteilt? Die besaßen jedoch alle nicht diese ungemein männliche Ausstrahlung wie dieser Waldarbeiter.

      »Daniel.« Förmlich reichte er ihr seine nasse Hand, in der ihre verschwand.

      »Nicole.« Sie erwiderte seinen Blick, der wieder bis auf den Grund ihrer Seele zu blicken schien. In Tiefen, an die sie selbst lieber nicht rührte.

      Rasch sah sie weg, über die Wasserfläche, zu den Tannen hinüber, die sich die Hügel hinaufzogen.

      »Schön ist es hier«, sagte sie.

      Das Schweigen zwischen ihnen machte sie nervös. Immer noch lag sein Blick auf ihrem Gesicht.

      »Ich schwimme jeden Morgen hier«, erzählte er ihr. »Bis in den Herbst hinein. Auch bei Regen.«

      »Du lebst ja richtig gesund. Sport, die Arbeit in der Natur …«

      Für den Bruchteil einer Sekunde huschte der Ausdruck von Verwirrung über sein kantig geschnittenes Gesicht, dann lachte er sie wieder an.

      »Wo bist du denn zu Hause?«, erkundigte er sich.

      »Leipzig.« Sie lächelte und berichtigte sich sogleich: »Also, ich stamme aus Leipzig. Ich bin schon früh von dort weggegangen. Seit vier Jahren lebe ich in Zürich.«

      »Dort ist es auch schön, aber leben möchte ich nur hier.«

      »Das kann ich verstehen.« Ganz spontan war ihr die Bemerkung von den Lippen gesprungen.

      »Wirklich?« Er klang erstaunt.

      Sie nickte. »Ja, wirklich. Aber soll ich dir etwas verraten?« Sie lächelte ihn verschmitzt an. »Das ist mir gerade erst jetzt bewusst geworden. Ich wohne im Außenbezirk von Zürich, inmitten von Hochhäusern.« Sie lächelte verlegen. Sie hatte den Eindruck, schon viel zu viel über sich zu erzählen. Trotzdem fuhr sie fort: »Ich meine, ich könnte mir vorstellen, hier zu leben. Obwohl das niemals ginge, zumindest nicht in den nächsten Jahren«, fügte sie murmelnd hinzu. Sie fühlte sich plötzlich kraftlos.

      Wieder einer seiner Blicke. Dann räusperte er sich, sah auf seine Sportuhr und erschrak sichtlich.

      »Ich muss zur Arbeit«, sagte er in bedauerndem Ton. Doch sein Gesicht hellte sich sofort wieder auf, als wäre ihm eine gute Idee gekommen. »Ich kann dir ein bisschen von der Gegend zeigen, wenn du möchtest. Ich stamme von hier.«

      Ihr Herz, das sich gerade etwas erholt hatte, verfiel wieder in einen schnelleren Rhythmus. Dieses Mal nicht durchs Schwimmen.

      Sollte sie sich auf diese Einladung einlassen? Durfte sie sich auf sie einlassen? Natürlich bemerkte er ihr Zögern. Er lächelte sie an, ein wenig enttäuscht, wie ihr schien.

      »Na ja, vielleicht sieht man sich ja noch mal«, meinte er dann freundlich, aber deutlich distanzierter. Er hob die Hand. »Ade.«

      Sie lächelte zurück und wollte schon fast sagen, dass es ihr heute am Spätnachmittag gut passen würde, doch da war er


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