Der Landdoktor Staffel 2 – Arztroman. Christine von Bergen

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Der Landdoktor Staffel 2 – Arztroman - Christine von Bergen


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      Vor einer der für diese Gegend so typischen Schwarzwälderstuben blieb sie aufatmend stehen. Sie betrachtete das verlockende Angebot im Schaufenster. Wagenradgroße knusprig gebackene Brote, geräucherte Schinken, handgeschöpfter Käse, Obstbrände, Weine …

      Sollte sie? Nein, lieber nicht, sagte sie sich. Sie durfte nicht. Sie sollte sich hier erholen, Kraft tanken, aber nicht an Gewicht zunehmen.

      »Vergiss nicht, ein paar Pfund mehr in den drei Wochen und du bist draußen«, hörte sie Heiko Wieland vor ihrer Abfahrt mahnend sagen.

      Sie musste weitertanzen. Sie hatte doch nichts anderes gelernt. Seit das Ballett eine Vertretung für sie gefunden hatte, fürchtete sie sich davor, dass die vier Jahre jüngere und sehr ehrgeizige Tänzerin ihr auf Dauer die Position der Primaballerina streitig machen könnte.

      In diese schweren Gedanken hinein klingelte ihr Handy.

      O nein! Ihre Mutter.

      Sie steckte das Funktelefon so schnell zurück in den Rucksack, als hätte sie sich an ihm verbrannt. Mit steifen Schritten ging sie weiter.

      Am Ende der Geschäftsstraße hörte sie eine Frauenstimme ihren Namen rufen. Erstaunt drehte sie sich um und sah Ulrike Brunner auf sich zukommen. In dem hellen Landhauskostüm zog die Arztfrau so manchen Männerblick auf sich.

      »Wie war die erste Nacht in dem Häuschen meiner Freundin?«, erkundigte sie sich mit ihrem sonnigen Lächeln.

      »Sehr angenehm. Aber Sie sollen mich doch duzen«, fügte Nicole in bittendem Ton hinzu.

      »Das mach ich gern.« Ulrikes hübsches Gesicht nahm einen besorgten Ausdruck an. »Ich habe gesehen, dass du humpelst.«

      »Ach, das ist nichts. Ich bin nur zu lange wandern.« Ihre Worte begleitete sie durch eine wegwerfende Geste.

      Die Landarztfrau sah sie forschend an. »Du gehst so, als würdest du sehr starke Schmerzen haben.«

      »Schmerzen sind in meinem Beruf an der Tagesordnung«, erwiderte sie leichthin.

      Der Blick der Älteren intensivierte sich. »Scheu dich nicht, meinen Mann aufzusuchen. Wir haben Thorsten versprochen, dass wir uns um dich kümmern.« Aufmunternd zwinkerte ihr die Arztfrau zu. »Wie wäre es, wenn du morgen Nachmittag zum Kaffee zu mir kommen würdest? Danach schaust du einfach einmal in der Praxis vorbei, die liegt ja gleich nebenan.«

      *

      »Doktor? Die Bekannte von Thorsten ist hier.« Schwester Gertrud stand in der Sprechzimmertür und sah ihren Chef fragend an. »Soll sie noch warten oder haben Sie jetzt Zeit für sie?«

      »Das Gutachten kann warten«, erwiderte Matthias, stand auf und knöpfte den weißen Mantel zu. »Schicken Sie Frau Konzack herein.«

      »Sie ist so nett, aber spindeldürr, die Arme«, sagte die altgediente Sprechstundenhilfe mit unterdrückter Stimme. »Wenn Sie mich fragen, verschreiben Sie ihr mal was, das ihren Appetit anregt.«

      Matthias lächelte in sich hinein.

      Tatsächlich war Schwester Gertrud dreimal so breit wie Nicole und das bei gleicher Körpergröße.

      »Also, ich bring sie jetzt rein zu Ihnen«, beschloss seine Sprechstundenhilfe, verschwand, um ein paar Sekunden später Nicole in sein Zimmer zu schieben.

      Wieder fiel ihm auf, wie durchsichtig die Tänzerin wirkte.

      »Hat der Apfelstreusel meiner Frau geschmeckt?«, erkundigte er sich lächelnd, während Nicoles kalte Hand in seiner lag.

      Niedriger Blutdruck, diagnostizierte er sofort.

      »Ja, danke«, antwortete die junge Frau höflich.

      Er ahnte jedoch, dass sie höchstens ein paar trockene Streusel zu sich genommen hatte.

      »Setz dich«, bat er sie und zeigte auf den Besucherstuhl vor seinem Schreibtisch. »Was kann ich für dich tun?«

      Nicole biss sich auf die Unterlippe. Dann räusperte sie sich und sagte mit entschuldigendem Lächeln: »Ich habe manchmal Schmerzen in den Füßen. Das ist ganz normal in meinem Beruf. Aber in der vergangenen Nacht waren sie so stark, dass ich kaum schlafen konnte.«

      Matthias hob die Brauen. »Wie lange hast du sie schon?«

      Die junge Frau lachte leise. »Schon seit Jahren.«

      »Seit Jahren? Warst du schon einmal deswegen bei einem Orthopäden?«

      »Nein. Als Primaballerina muss man gesund sein. Arztbesuche würden den Ballettleiter nur auf den Gedanken bringen, sich in naher Zukunft nach einem Ersatz umzusehen.«

      »Du hast seit Jahren Schmerzen und tanzt weiter?«, fragte Matthias mit ungläubigem Blick.

      »Es gibt doch Tabletten.«

      »Schmerzen sind ein Signal des Körpers. Man sollte auf sie hören, wenn man gesund bleiben will.«

      »Als Primaballerina muss man sie aber überhören, sonst rutscht man schnell wieder auf die Stelle einer ganz normalen Tänzerin im Ballett. Und dann hat man noch Glück. Dieses Geschäft ist hart«, fügte Nicole leise mit gesenktem Kopf hinzu.

      Für einen Moment war er sprachlos. Kein Wunder, dass die junge Frau auf der Bühne zusammengebrochen war. Freiwillig hätte sie ihrem Körper keine Erholung gegönnt.

      Er räusperte sich.

      »Ich bin kein Orthopäde«, begann er dann. »Von der komplizierten Struktur der Füße verstehe ich nicht viel. Aber ich könnte dir einen guten Kollegen in Freiburg empfehlen, bei dem ich einen Termin für dich machen kann.«

      Nicole sah ihn bittend an. »Thorsten hat gesagt, Sie verstehen von allem etwas. Weil Sie Landarzt sind und die Patienten mit allen Wehwehchen zu Ihnen kommen.«

      Da musste Matthis lachen. »Hoffentlich überschätzt mein Sohn mich nicht.« Er stand auf. »Okay, ich kann mir deine Füße ja mal anschauen. Danach sehen wir weiter.«

      Er bat sie, die Schuhe auszuziehen und sich auf der Untersuchungsliege auszustrecken. Einen vagen Verdacht hatte er schon bezüglich der Ursache für Nicoles beschriebene Schmerzen. Um ihn abzuklären, zeichnete er mit dem Finger die Verlaufsstrecke eines Nervs nach, der vom Innenknöchel fußabwärts führte. Seine Patientin stöhnte dabei leise auf.

      »Wird der Schmerz durch den Druck noch stärker?«, fragte er.

      Sie nickte stumm.

      Dann klopfte er den Nerv ab, wobei Nicole die Luft scharf einzog.

      »Wie fühlte sich der Schmerz jetzt an?«

      »Wie elektrische Stöße.«

      »Hattest du die Füße einmal gebrochen?«

      »Nur den rechten. Den linken habe ich mir mehrmals verstaucht.«

      »Sind die Schmerzen rechts stärker?«

      Sie nickte wieder.

      »Wahrscheinlich leidest du an einem Tarsal-Tunnel-Syndrom.« Er erklärte ihr die Einzelheiten dieser Erkrankung. »Aber wie gesagt, das ist nur ein Verdacht eines einfachen Landarztes. Die Diagnose muss von einem Fachkollegen bestätigt werden.«

      Nicole richtete sich auf. »Wie kann man sie bestätigen?«

      »In Zweifelsfällen betäubt man die Nervenbahn vorübergehend. Verschwinden die Schmerzen beim Stehen oder Gehen, ist dies ein wichtiger Mosaikstein für die Diagnose dieser Erkrankung.«

      »Können Sie mir ein solches Betäubungsmittel spritzen?« Nicole sah ihm in die Augen.

      Er schluckte. »Ungern. Ich pfusche meinen Kollegen von der Orthopädie nicht ins Handwerk.«

      »Bitte, Herr Doktor. Ich will nicht zu anderen Ärzten gehen müssen. Sie kenne ich jetzt. Und gefährlich kann eine solche kurze Betäubung doch nicht sein.«

      Er musste lächeln. »Nein, gefährlich ist sie


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