Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский
Читать онлайн книгу.sie in diesem Augenblick für schöne Augen! Ihre ganze Seele kam in ihrem Blick zum Ausdruck. Sie hat ganz himmelblaue Augen. Sie dankte mir, daß ich nicht an ihr gezweifelt hätte, und gab mir ihr Wort darauf, daß sie uns aus aller Kraft helfen wolle. Dann erkundigte sie sich nach dir, sagte, sie wünsche sehr, deine Bekanntschaft zu machen, bat mich, dir zu bestellen, daß sie dich schon jetzt wie eine Schwester liebe und daß auch du sie wie eine Schwester lieben möchtest; und als sie erfuhr, daß ich schon seit fünf Tagen nicht bei dir gewesen sei, schickte sie mich sofort weg, damit ich zu dir ginge.« Natascha war gerührt.
»Und du konntest vorher von deinen Großtaten bei einer schwerhörigen Fürstin erzählen! Ach, Aljoscha, Aljoscha!« rief sie, ihn vorwurfsvoll anblickend. »Nun, und wie benahm sich Katja? War sie froh und heiter, als sie dich entließ?«
»Ja, sie freute sich darüber, daß sie eine gute Tat tun konnte; aber sie weinte. Denn sie liebt mich ja ebenfalls, Natascha! Sie gestand, daß sie bereits angefangen habe, mich zu lieben; sie komme nur mit wenigen Menschen zusammen, und ich hätte ihr schon längst gefallen; sie schätze mich besonders deswegen hoch, weil um sie herum alles List und Lüge sei, ich ihr aber ein aufrichtiger, ehrlicher Mensch zu sein scheine. Sie stand auf und sagte: ›Nun, Gott stehe Ihnen bei, Alexei Petrowitsch; ich hatte gedacht…‹ Sie sprach nicht zu Ende, fing an zu weinen und ging hinaus. Wir haben verabredet, daß sie gleich morgen ihrer Stiefmutter sagen soll, sie wolle nicht meine Frau werden, und daß auch ich gleich morgen meinem Vater alles sagen und mit Mut und Festigkeit sprechen soll. Sie machte mir Vorwürfe, weshalb ich nicht schon früher mit ihm geredet hätte; ›ein rechtschaffener Mensch darf sich vor nichts fürchten!‹ sagte sie. Sie hat eine so edle Denkungsart. Meinen Vater mag sie ebenfalls nicht leiden; sie sagt, er sei listig und trachte nach Geld. Ich suchte ihn zu verteidigen, aber sie glaubte mir nicht. Wenn es mir morgen bei meinem Vater nicht gelingt (und sie hält es für sehr wahrscheinlich, daß es mir nicht gelingen wird), dann ist sie damit einverstanden, daß wir meine Gönnerin, die Fürstin K., um ihren Schutz zu bitten. Wenn sie ihn uns gewährt, dann wird niemand von ihnen wagen, gegen uns anzukämpfen. Wir beide haben einander das Wort darauf gegeben, daß wir zueinander wie Bruder und Schwester sein wollen. Oh, wenn du auch ihre Geschichte kenntest, wie unglücklich sie sich fühlt, mit welchem Widerwillen ihr Leben bei der Stiefmutter und diese ganze Umgebung sie erfüllt! Sie hat mir das nicht geradezu gesagt; es machte den Eindruck, als ob sie sich auch vor mir scheute, das auszusprechen; aber ich habe es aus einigen Worten entnommen. Ach, Natascha, du mein Herz! wie entzückt würde sie von dir sein, wenn sie dich sähe! Und was hat sie für ein gutes Herz! Es verkehrt sich mit ihr so leicht! Ihr beide seid dazu geschaffen, einander Schwestern zu sein, und müßt einander lieben. Ich habe immer darüber nachgedacht. Und wirklich: ich müßte euch beide zusammenführen und würde dann selbst danebenstehen und euch voll Entzücken betrachten. Denke nichts Schlechtes, Nataschenka, und erlaube mir, von ihr zu reden! Es macht mir eine besondere Freude, mit dir von ihr zu sprechen und mit ihr von dir. Du weißt ja, daß ich dich mehr liebe als jeden anderen Menschen, auch mehr als sie… Du bist mein ein und alles!«
Natascha blickte ihn, ohne ein Wort zu sagen, freundlich und mit einer Art von stiller Traurigkeit an. Seine Worte schienen sie zu erfreuen und ihr gleichzeitig Pein zu bereiten.
»Und schon seit längerer Zeit, schon vor zwei Wochen, habe ich Katja schätzengelernt«, fuhr er fort. »Ich bin ja jeden Abend bei ihnen gewesen, und wenn ich dann nach Hause zurückgekehrt war, dann habe ich oftmals immerzu an euch beide gedacht und euch miteinander verglichen.«
»Und welche von uns beiden erschien dir dann als die bessere?« fragte Natascha lächelnd.
»Manchmal du, manchmal sie. Aber du trugst doch schließlich immer den Sieg davon. Wenn ich aber mit ihr spreche, so habe ich immer die Empfindung, daß ich selbst gewissermaßen besser, verständiger und edler werde. Aber morgen, morgen wird sich alles entscheiden.«
»Und tut sie dir nicht leid? Sie liebt dich ja; du sagst, daß sie das selbst ausgesprochen habe?«
»Ja, sie tut mir leid, Natascha! Aber wir werden alle drei einander lieben, und dann…«
»Und dann lebe wohl!« sagte Natascha leise, wie vor sich hin.
Aljoscha blickte sie erstaunt an.
Aber unser Gespräch wurde auf einmal in einer ganz unerwarteten Weise unterbrochen. Aus der Küche, die zugleich als Vorzimmer diente, wurde ein leichtes Geräusch vernehmbar, wie wenn jemand hereinkäme. Einen Augenblick darauf öffnete Mawra die Tür und winkte mit dem Kopf Aljoscha verstohlen zu, er möchte herauskommen. Wir alle wandten uns zu ihr hin.
»Da fragt jemand nach Ihnen; bitte, kommen Sie heraus!« flüsterte sie geheimnisvoll.
»Wer kann jetzt nach mir fragen?« sagte Aljoscha, sie erstaunt anblickend. »Ich komme!«
In der Küche stand ein Diener des Fürsten, seines Vaters, in Livree. Dieser teilte ihm mit, der Fürst habe auf der Rückfahrt nach Hause die Equipage bei Nataschas Wohnung halten lassen und ihn hinaufgeschickt, um sich zu erkundigen, ob Aljoscha da sei. Nach dieser Mitteilung ging der Diener sogleich wieder fort.
»Sonderbar! Das ist noch nie dagewesen!« sagte Aljoscha, uns verwirrt anblickend. »Was hat das zu bedeuten?«
Auch Natascha sah ihn beunruhigt an. Plötzlich öffnete Mawra wieder die Zimmertür.
»Er kommt selbst, der Fürst!« sagte sie hastig flüsternd und verschwand sofort wieder.
Natascha wurde blaß und erhob sich von ihrem Platz. Ihre Augen fingen auf einmal an zu glühen. Sie stand, sich leicht auf den Tisch stützend, da und blickte aufgeregt nach der Tür, durch die der unerwartete Gast eintreten mußte.
»Natascha, fürchte dich nicht; ich bin bei dir! Ich werde dich nicht beleidigen lassen«, flüsterte Aljoscha, der zwar verwirrt war, aber nicht die Fassung verloren hatte.
Die Tür öffnete sich, und auf der Schwelle erschien Fürst Walkowski in eigener Person.
Zweites Kapitel
Er überschaute uns mit einem schnellen, forschenden Blick. Aus diesem Blick war noch nicht zu entnehmen, ob er als Feind oder als Freund gekommen war. Aber ich will sein Äußeres eingehend beschreiben. Er machte an diesem Abend auf mich einen besonders starken Eindruck.
Ich hatte ihn schon früher gesehen. Er war ein Mann von etwa fünfundvierzig Jahren, nicht älter, mit regelmäßigen, außerordentlich schönen Gesichtszügen, deren Ausdruck sich nach den Umständen veränderte, aber in schroffer Art, vollständig und mit auffälliger Schnelligkeit, so daß er von der größten Freundlichkeit zur ärgsten Verdrossenheit und Unzufriedenheit überging, gerade als ob ein innerer Mechanismus in Bewegung gesetzt wäre. Das regelmäßige Oval des etwas gebräunten Gesichtes, die vorzüglichen Zähne, die kleinen, ziemlich schmalen Lippen, die schön geformte, gerade, etwas längliche Nase, die hohe Stirn, auf der noch nicht die kleinste Runzel sichtbar war, die grauen, ziemlich großen Augen: alles dies zusammen ließ ihn beinah als einen schönen Mann erscheinen; aber dabei wirkte sein Gesicht dennoch nicht angenehm. Dieses Gesicht machte dadurch einen abstoßenden Eindruck, daß sein Ausdruck nicht echt, sondern immer erkünstelt, beabsichtigt, angenommen erschien; es bildete sich bei einem die dunkle Vorstellung, daß man niemals den wahren Gesichtsausdruck zu sehen bekommen werde. Wenn man schärfer hinsah, so begann man zu argwöhnen, daß hinter der stets getragenen Maske Bosheit, List und ärgster Egoismus stecken. Besonders zogen die auf den ersten Blick so schönen, offenen, grauen Augen die Aufmerksamkeit auf sich. Sie waren das einzige Stück, das er, wie es schien, durch seinen Willen nicht zu völligem Gehorsam zwingen konnte. Auch wenn er mild und freundlich aussehen wollte, waren die von seinen Augen ausgehenden Strahlen zwiefacher Art, und zwischen milden und freundlichen blitzten strenge, mißtrauische, forschende, böse auf… Er war von ziemlich hoher Statur, von elegantem Aussehen, etwas hager und schien jünger zu sein, als er wirklich war. In seinem dunkelblonden, weichen Haar war kaum ein Ansatz von Grau zu bemerken. Seine Ohren, seine Hände, seine Füße waren erstaunlich wohlgebildet. Er war von einer durchaus rassigen Schönheit. Seine Kleidung war stets von auserlesener Eleganz und Frische, hatte aber etwas Jugendliches, was ihm indessen gut stand. Er schien Aljoschas älterer Bruder zu sein. Wenigstens konnte ihn niemand für den Vater eines so erwachsenen