Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский
Читать онлайн книгу.ohne auch Ihnen die Hand gedrückt zu haben«, fuhr er, sich plötzlich zu mir wendend, fort. »Entschuldigen Sie! Wir reden jetzt alle so ohne rechten Zusammenhang … Ich hatte schon mehrmals das Vergnügen, mit Ihnen zusammenzutreffen, und wir sind einander sogar einmal vorgestellt worden. Ich kann nicht von hier fortgehen, ohne es Ihnen auszusprechen, wie angenehm es mir sein würde, die Bekanntschaft mit Ihnen zu erneuern.«
»Ich bin mit Ihnen bereits zusammengetroffen, das ist richtig«, antwortete ich, indem ich seine dargebotene Hand ergriff; »aber, Pardon, ich erinnere mich nicht, mit Ihnen bekannt geworden zu sein.«
»Beim Fürsten R. im vorigen Jahr.«
»Pardon, ich habe es vergessen. Aber ich versichere Sie, dieses Mal werde ich es nicht vergessen. Dieser Abend wird mir ein besonders denkwürdiger sein.«
»Ja, Sie haben recht; auch mir. Ich weiß schon seit langer Zeit, daß Sie Natalja Nikolajewnas und meines Sohnes wahrer, aufrichtiger Freund sind. Ich hoffe, zu Ihnen dreien der vierte zu sein. Nicht wahr?« fügte er, zu Natascha gewendet, hinzu.
»Ja, er ist unser aufrichtiger Freund, und wir müssen alle zusammenbleiben!« antwortete Natascha mit tiefer Empfindung.
Die Ärmste! Sie strahlte nur so vor Freude, als sie sah, daß der Fürst nicht vergessen hatte, sich auch an mich zu wenden. Wie sie mich liebte!
»Ich habe schon viele Verehrer Ihres Talentes getroffen«, fuhr der Fürst fort, »und kenne zwei Damen, welche Ihre aufrichtigen Gönnerinnen sind. Es wird ihnen sehr angenehm sein, Sie persönlich kennenzulernen. Es ist dies die Gräfin, meine beste Freundin, und ihre Stieftochter Katerina Fjodorowna Filimonowa. Lassen Sie mich hoffen, daß Sie mir das Vergnügen gönnen werden, Sie diesen Damen vorzustellen.«
»Es ist mir sehr schmeichelhaft, obwohl ich jetzt nur sehr wenige Bekanntschaften unterhalte …«
»Aber mir werden Sie doch Ihre Adresse geben! Wo wohnen Sie? Ich werde das Vergnügen haben …«
»Ich empfange bei mir zu Hause keine Besuche, Fürst, wenigstens vorläufig nicht.«
»Wenn ich auch nicht verdiene, daß Sie für mich eine Ausnahme machen, so hoffe ich doch …«
»Nun, wenn Sie es denn verlangen, so wird es auch mir sehr angenehm sein. Ich wohne in der …-Gasse, im Klugenschen Haus.«
»Im Klugenschen Haus!« rief er, als wenn er durch etwas überrascht wäre. »Soso! Wohnen Sie dort schon lange?«
»Nein, noch nicht lange«, versetzte ich, ihn unwillkürlich schärfer ansehend. »Meine Wohnung hat die Nummer vierundvierzig.«
»Vierundvierzig? Wohnen Sie da allein?«
»Ja, ganz allein.«
»N-ja! Ich frage, weil mir ist, als ob ich dieses Haus kenne. Um so besser … Ich werde Sie bestimmt aufsuchen, ganz bestimmt! Ich habe über viele Dinge mit Ihnen zu reden und erwarte von Ihnen viel. Sie können mich in vieler Hinsicht zu Dank verpflichten. Sehen Sie, ich fange ohne weiteres mit einer Bitte an. Aber nun: auf Wiedersehen! Ich bitte noch einmal um Ihre Hand!«
Er drückte mir und Aljoscha die Hand, küßte noch einmal die Hand Nataschas und ging weg, ohne daß er Aljoscha aufgefordert hätte, mit ihm zu kommen.
Wir drei blieben in großer Erregung zurück. All dies hatte sich so plötzlich, so unerwartet begeben. Wir alle hatten die Empfindung, daß sich in einem Augenblick alles verändert habe und nun ein neuer, ganz andersartiger Zustand beginne. Aljoscha setzte sich schweigend neben Natascha und küßte ihr still die Hand. Ab und zu blickte er ihr ins Gesicht, als warte er, was sie nun sagen werde.
»Liebster Aljoscha, fahre gleich morgen zu Katerina Fjodorowna hin!« sagte sie endlich.
»Ich habe selbst schon daran gedacht«, erwiderte er. »Ich will es unter allen Umständen tun.«
»Vielleicht wird es ihr aber peinlich sein, dich zu sehen … Wie willst du es anfangen, ihr diese Mitteilung zu machen?«
»Ich weiß es nicht, Liebste. Ich habe auch schon daran gedacht. Ich werde hingehen und sie sehen … dann wird es sich finden … Aber was sagst du dazu, Natascha? Jetzt hat sich doch bei uns alles geändert!« fuhr er fort, nicht imstande, diesen Ausruf zurückzuhalten.
Sie lächelte und sah ihn mit einem langen, zärtlichen Blick an.
»Und wie zartfühlend er ist! Er sah, was du für eine ärmliche Wohnung hast; aber er hat kein Wort davon gesagt, daß …«
»Wovon?«
»Nun … daß du in eine andere Wohnung ziehen solltest … oder so etwas«, fügte er errötend hinzu.
»Aber ich bitte dich, Aljoscha! Wie hätte er das auch sagen können!«
»Das sage ich ja eben, daß er so zartfühlend ist. Und wie er dich gelobt hat! Ich habe es dir ja gesagt, ich habe es dir gesagt! Nein, er hat für alles Verständnis und vermag alles nachzufühlen! Von mir aber hat er wie von einem Kind gesprochen; alle denken sie so von mir! Nun ja, ich bin ja auch wirklich noch ein Kind.«
»Du bist ein Kind; aber du siehst schärfer als wir alle. Du hast ein gutes Herz, Aljoscha!«
»Aber er hat gesagt, daß mein gutes Herz mir zum Schaden gereicht. Wie soll das zugehen? Das verstehe ich nicht. Aber weißt du was, Natascha: soll ich nicht schnell zu ihm fahren? Morgen in aller Frühe bin ich wieder bei dir.«
»Fahre hin, fahre hin, lieber Aljoscha! Das ist ein guter Gedanke von dir. Und zeige dich ihm jedenfalls heute noch, hörst du wohl? Und morgen komm möglichst früh wieder her! Jetzt wirst du nicht mehr fünf Tage lang von mir fernbleiben?« fügte sie schelmisch mit einem freundlichen Blick hinzu.
Wir waren alle von einem stillen, aber starken Gefühl der Freude erfüllt.
»Kommen Sie mit mir mit, Wanja?« fragte Aljoscha, als er das Zimmer verließ.
»Nein, er bleibt noch hier; ich habe noch mit dir zu reden, Wanja. Vergiß nur nicht: morgen in aller Frühe!«
»Jawohl, in aller Frühe! Adieu, Mawra!«
Mawra befand sich in starker Aufregung. Sie hatte alles gehört, was der Fürst gesagt hatte, alles erlauscht, aber vieles nicht begriffen. Sie hätte jetzt gern gefragt und sich über alles unterrichtet. Aber einstweilen nahm sie eine sehr ernste und sogar stolze Miene an. Auch sie erriet, daß sich vieles geändert hatte.
Wir blieben allein. Natascha ergriff meine Hand und schwieg eine Zeitlang, wie wenn sie überlegte, was sie sagen sollte.
»Ich bin so müde!« sagte sie endlich mit schwacher Stimme. »Höre: du gehst doch wohl morgen zu ihnen?«
»Ja, bestimmt.«
»Sage es Mama, aber ihm nicht!«
»Ich rede ja auch sowieso mit ihm niemals von dir.«
»Nun ja, er wird es auch ohne das erfahren. Achte aber darauf, was er sagen wird, wie er es aufnimmt. O Gott, Wanja! Wird er mich denn wirklich um dieser Ehe willen verfluchen? Nein, es ist nicht möglich!«
»Der Fürst muß alles in Ordnung bringen«, fiel ich eilig ein. »Er muß sich unbedingt mit ihm versöhnen, und dann wird alles gut werden.«
»O mein Gott! Wenn das doch geschähe! Wenn das doch geschähe!« rief sie im Ton inständiger Bitte.
»Beunruhige dich nicht, Natascha; es wird alles gut werden. Es läßt sich so an.«
Sie blickte mich fest an.
»Wanja, wie denkst du über den Fürsten?«
»Wenn er aufrichtig redet, so ist er nach meiner Meinung ein durchaus ehrenhafter Mensch.«
»Wenn er aufrichtig redet? Was heißt das? Ist es denn denkbar, daß er unaufrichtig gesprochen hat?«
»Ich meine es ebenfalls nicht«, antwortete ich und dachte bei mir: ›Also geht ihr doch auch so ein Gedanke durch den Kopf! Sonderbar!‹
»Du sahst ihn immer so unverwandt an …«
»Ja, er kam mir etwas seltsam vor.«
»Mir