Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

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Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский


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kräftigen, feurig aufflammenden Willen; Aljoscha aber konnte sich nur an jemand anschließen, der imstande war, ihn zu beherrschen und ihm geradezu zu befehlen. Dies war es auch zum Teil gewesen, was ihn in der ersten Zeit seiner Verbindung mit Natascha an diese gefesselt hatte; aber Katja hatte etwas sehr Wesentliches vor Natascha voraus: sie war selbst noch Kind, und es war zu erwarten, daß sie noch lange Kind bleiben würde. Diese ihre Kindlichkeit, ihr klarer Verstand und gleichzeitig ein gewisser Mangel an Urteilskraft, alle diese Momente machten sie zu Aljoschas Geistesverwandter. Er fühlte das, und daher übte Katerina auf ihn eine immer stärker werdende Anziehungskraft aus. Ich bin überzeugt, daß, wenn sie miteinander unter vier Augen sprachen, sie neben ernsten Auseinandersetzungen Katjas über »Propaganda« sich auch manchmal über Spielsachen unterhielten. Und obgleich Katja ihn wahrscheinlich sehr oft abkanzelte und ihn schon ganz in ihrer Botmäßigkeit hielt, so fühlte er sich im Verkehr mit ihr doch behaglicher als mit Natascha. Sie waren gleichartiger, und das war die Hauptsache. »Hör auf, Katja, hör auf; genug davon; das Resultat ist immer, daß du recht hast und ich unrecht. Das kommt daher, daß deine Seele reiner ist als die meine«, sagte Aljoscha, indem er aufstand und ihr zum Abschied die Hand reichte. »Ich will sofort zu ihr, ohne erst zu Lew zu fahren.«

      »Bei Lew hast du auch gar nichts zu tun; daß du aber jetzt folgsam bist und zu ihr fährst, das ist sehr liebenswürdig von dir.«

      »Und du bist tausendmal liebenswürdiger als alle«, antwortete Aljoscha betrübt. »Iwan Petrowitsoh, ich möchte noch ein paar Worte mit Ihnen reden.« Wir traten einige Schritte zur Seite.

      »Ich habe mich heute unwürdig benommen«, flüsterte er mir zu; »ich habe mich gemein betragen; ich muß mich vor allen Menschen der Welt schämen und habe mich am allermeisten gegen die beiden vergangen. Heute nach dem Mittagessen machte mich mein Vater mit Mademoiselle Alexandrine bekannt, einer Französin, einem entzückenden Weib. Ich… ließ mich hinreißen und… nun, was soll ich noch weiter sagen, ich bin nicht mehr wert, mit ihnen zu verkehren… Leben Sie wohl, Iwan Petrowitsch!«

      »Er ist ein guter, edel denkender Mensch«, sagte Katja eilig, als ich mich wieder zu ihr setzte; »aber über ihn werden wir später noch viel zu sprechen haben; jetzt müssen wir uns vor allen Dingen über einen Punkt einigen: wie denken Sie über den Fürsten?«

      »Ich halte ihn für einen sehr schlechten Menschen.«

      »Ich ebenfalls. Also sind wir darin einer Meinung; dadurch werden uns die weiteren Erörterungen erleichtert werden. Nun zu Natalja Nikolajewna!… Wissen Sie, Iwan Petrowitsch, ich sitze hier sozusagen im Dunkeln und habe auf Sie gewartet wie auf das Licht. Sie müssen mir das alles erklären; denn gerade in diesem Hauptpunkt beruht mein Urteil nur auf Mutmaßungen, auf dem, was mir Aljoscha erzählt hat. Und außer ihm hatte ich bisher niemand, von dem ich hätte etwas erfahren können. Sagen Sie erstens (und das ist die Hauptsache), wie denken Sie darüber: werden Aljoscha und Natascha miteinander glücklich sein? Das muß ich vor allen Dingen wissen, um mir ein endgültiges Urteil zu bilden; erst dann werde ich wissen, wie ich selbst zu handeln habe.«

      »Wie kann man aber das mit Sicherheit sagen?«

      »Mit Sicherheit kann man es natürlich nicht sagen«, unterbrach sie mich. »Aber was ist Ihre Ansicht? Denn Sie sind ein sehr verständiger Mensch.«

      »Meiner Ansicht nach können sie miteinander nicht glücklich sein.«

      »Warum denn nicht?«

      »Sie sind nicht gleichartig.«

      »Das hatte ich mir doch gedacht!« Sie faltete wie in tiefem Kummer die Hände.

      »Setzen Sie mir das eingehender auseinander! Hören Sie: Ich möchte schrecklich gern mit Natascha zusammenkommen; denn ich habe mit ihr vieles zu besprechen und meine, daß wir beide, sie und ich, für alle schwebenden Fragen die richtige Lösung finden werden. Jetzt aber muß ich mir immer nur so im Kopf ein Bild von ihr machen: sie ist gewiß furchtbar klug, ernst, wahrheitsliebend und schön. Nicht wahr?« »Ja.«

      »Davon bin ich überzeugt gewesen. Nun aber, wenn sie so ist, wie hat sie denn Aljoscha, einen solchen Knaben, liebgewinnen können? Das erklären Sie mir! Ich denke oft darüber nach.«

      »Das läßt sich nicht erklären, Katerina Fjodorowna; es ist schwer, zu verstehen, warum und wie jemand einen anderen liebgewinnen kann. Ja, er ist ein Kind. Aber wissen Sie wohl, daß man auch ein Kind liebgewinnen kann?« (Das Herz wurde mir ganz weich, während ich sie so ansah und ihr in die Augen blickte, die unverwandt mit tiefer, ernster, ungeduldiger Aufmerksamkeit auf mich gerichtet waren.) »Und je weniger Ähnlichkeit Natascha selbst mit einem Kind hat«, fuhr ich fort, »je ernster sie ist, um so eher konnte sie ihn liebgewinnen. Er ist wahrheitsliebend, aufrichtig, schrecklich naiv und manchmal in seiner Naivität allerliebst. Vielleicht hat sie ihn … wie soll ich mich ausdrücken? … vielleicht hat sie ihn sozusagen aus Mitleid liebgewonnen. Ein hochgesinntes Herz kann jemanden aus Mitleid liebgewinnen… Ich fühle jedoch, daß ich nicht imstande bin, Ihnen in dieser Hinsicht etwas zu erklären; statt dessen möchte ich an Sie selbst die Frage richten: Sie lieben ihn ja doch?« Ich stellte ihr kühn diese Frage und fühlte, daß ich durch die Eilfertigkeit derselben die völlige, kindliche Reinheit ihrer klaren Seele nicht trüben konnte. »Ich weiß es wirklich noch nicht«, antwortete sie mir leise, indem sie mir mit hellem Blick in die Augen sah; »aber ich glaube, ich liebe ihn sehr…« »Nun, also sehen Sie! Können Sie aber auseinandersetzen, warum Sie ihn lieben?«

      »Er ist ohne Falsch«, antwortete sie nach einigem Nachdenken. »Und wenn er mir gerade in die Augen blickt und dabei redet, so gefällt mir das … Hören Sie, Iwan Petrowitsch, da rede ich nun mit Ihnen davon, und ich bin ein Mädchen und Sie ein Mann: ist das nun gut von mir gehandelt oder schlecht?«

      »Was kann denn daran schlecht sein?«

      »Das meine ich auch. Gewiß, was kann daran schlecht sein? Aber die da« (sie deutete mit den Augen nach der Gruppe hin, die um den Samowar saß), »die würden gewiß sagen, es sei schlecht. Haben sie nun recht oder unrecht?«

      »Unrecht! Da Sie in Ihrem Herzen nicht das Gefühl haben, schlecht zu handeln, so…«

      »Ja, so mache ich es immer«, unterbrach sie mich; sie hatte es offenbar eilig, da sie noch recht vieles mit mir besprechen wollte. »Sobald ich über irgend etwas im unklaren bin, befrage ich sogleich mein Herz, und wenn das ruhig ist, dann bin ich auch selbst ruhig. So muß man es immer machen. Und mit Ihnen rede ich deshalb so ganz offen, als ob ich mit mir selbst spräche, weil Sie erstens ein prächtiger Mensch sind und ich von Ihren früheren Beziehungen zu Natasche weiß, vor dem Verhältnis mit Aljoscha, und ich habe geweint, als ich es hörte.«

      »Wer hat Ihnen denn das erzählt?«

      »Natürlich Aljoscha, und er weinte selbst dabei: das war sehr gut von ihm und gefiel mir sehr. Mir scheint, daß er Sie mehr liebt als Sie ihn, Iwan Petrowitsch. Sehen Sie, durch solche Züge hat er mir eben gefallen. Nun, und zweitens rede ich mit Ihnen deshalb so aufrichtig wie mit mir selbst, weil Sie ein sehr kluger Mensch sind und mir viele gute Ratschläge geben und mich belehren können.«

      »Woher wissen Sie denn, daß ich so klug bin, Sie belehren zu können?«

      »Ach, was ist das für eine Frage!«

      Sie dachte nach.

      »Ich habe ja davon nur so nebenbei angefangen zu reden; lassen Sie uns nun von der Hauptsache sprechen! Belehren Sie mich, Iwan Petrowitsch: Sehen Sie, ich fühle jetzt, daß ich Nataschas Nebenbuhlerin bin; ich weiß das; wie soll ich nun handeln? Aus diesem Grund habe ich Sie auch gefragt, ob die beiden miteinander glücklich sein werden. Ich denke darüber Tag und Nacht nach. Nataschas Lage ist schrecklich, ganz schrecklich! Er hat ja ganz aufgehört, sie zu lieben, und mich liebt er von Tag zu Tag mehr. Es ist doch so ?«

      »Es scheint allerdings so.«

      »Und dabei betrügt er sie nicht. Er weiß selbst nicht, daß er aufhört, sie zu Heben; sie aber weiß es sicherlich. Welche Qualen mag sie da ausstehen!«

      »Was wollen Sie nun tun, Katerina Fjodorowna?«

      »Ich habe eine ganze Menge Pläne«, antwortete sie ernst, »bin aber in großer Verwirrung. Eben deswegen habe ich Sie mit solcher Ungeduld


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