Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

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Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский


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Kind war, daß sie von den besonderen Beziehungen zwischen Mann und Frau keine Kenntnis besaß. Manchen ihrer Darlegungen und überhaupt dem ernsten Ton, mit dem sie über viele sehr wichtige Dinge sprach, verlieh das eine unfreiwillige Komik.

      Zehntes Kapitel

      »Wissen Sie was?« sagte der Fürst zu mir, als er sich mit mir in den Wagen setzte, »wie wär’s, wenn wir jetzt soupierten? Wie denken Sie darüber?«

      »Ich weiß wirklich nicht, Fürst«, antwortete ich unentschlossen. »Ich esse nie zu Abend…«

      »Nun, selbstverständlich wollen wir beim Abendessen auch miteinander reden«, fügte er hinzu, indem er mir unverwandt und listig gerade in die Augen sah.

      Das war nicht mißzuverstehen! »Er will sich mit mir aussprechen« dachte ich; »und mir ist das gerade sehr erwünschte.« Ich willigte ein.

      »Also abgemacht. Nach der Großen Morskaja zu B.!«

      »Ein Restaurant?« fragte ich, etwas unangenehm berührt.

      »Ja. Was ist dabei? Ich soupiere nur selten zu Hause. Erlauben Sie mir denn nicht, Sie einzuladen?«

      »Aber ich habe Ihnen ja schon gesagt, daß ich nie zu Abend esse.«

      »Nun, einmal können Sie schon eine Ausnahme machen. Überdies lade ich Sie ja ein…«

      Das hieß: ›Ich werde für dich bezahlen‹; ich war überzeugt, daß er das absichtlich hinzufügte. Ich ließ mich von ihm mitnehmen, nahm mir aber vor, im Restaurant für mich selbst zu bezahlen. Wir kamen hin. Der Fürst nahm ein besonderes Zimmer und wählte mit Geschmack und Sachkenntnis zwei, drei Gerichte aus. Diese Gerichte waren teuer, ebenso wie die Flasche seinen Tischweines, die er bringen ließ. All das paßte nicht für mein Portemonnaie. Ich warf einen Blick auf die Karte und bestellte mir ein halbes Haselhuhn und ein Glas Lafitte. Der Fürst war entrüstet.

      »Sie wollen nicht mit mir soupieren! Das ist ja geradezu lächerlich. Pardon, mon ami; aber das ist… eine empörende Pedanterie. Das ist eine ganz kleinliche Eigenliebe. Es scheint fast, als ob da die Standesinteressen ins Spiel kämen; ich möchte darauf wetten, daß es der Fall ist. Ich versichere Ihnen, daß Sie mich beleidigen.«

      Aber ich bestand auf meinem Willen.

      »Nun, wie Sie wollen«, sagte er. »Ich will Sie nicht nötigen… Sagen Sie, Iwan Petrowitsch, kann ich mit Ihnen ganz freundschaftlich reden?«

      »Ich bitte darum.«

      »Nun also, meiner Ansicht nach schaden Sie durch eine solche Pedanterie sich selbst. In derselben Weise schaden sich auch alle Ihre Berufsgenossen. Sie sind Schriftsteller und müssen dazu die Welt kennen; aber Sie ziehen sich von allem zurück. Ich rede jetzt nicht von Haselhühnern; aber Ihr Streben geht ja dahin, jede Berührung mit unseren Kreisen vollständig zu vermeiden, und das ist entschieden nachteilig. Ganz abgesehen davon, daß Sie in materieller Hinsicht viel verlieren (ich meine die Karriere), ist doch schon zu erwägen, daß Sie das, was Sie schildern wollen, kennenlernen müssen, und in den Novellen kommen doch auch Grafen und Fürsten und Boudoirs vor… Aber was rede ich da! Bei euch neueren Schriftstellern ist ja immer nur die Rede von Armut, von verlorenen Mänteln, von Revisoren, von hitzigen Offizieren und Beamten, von alten Zeiten und vom Sektiererwesen, ich weiß, ich weiß …«

      »Sie irren sich, Fürst; wenn ich mich von Ihren sogenannten höheren Kreisen fernhalte, so tue ich das deswegen, weil es erstens dort langweilig ist und ich zweitens da nichts zu suchen habe! Indessen verkehre ich doch…«

      »Ich weiß, bei dem Fürsten R., einmal im Jahr; da habe ich Sie ja auch getroffen. Die übrige Zeit hindurch aber versteifen Sie sich auf Ihren demokratischen Stolz und führen ein kümmerliches Dasein in Ihrer Dachstube. Allerdings handeln nicht alle Ihre Kollegen so; es gibt darunter Liebhaber von solchen Abenteuern, daß selbst mir davon übel wird …«

      »Ich möchte Sie bitten, Fürst, dieses Thema zu verlassen und nicht wieder auf unsere Dachstuben zurückzukommen.«

      »Ach, mein Gott, sehen Sie, da fühlen Sie sich schon beleidigt. Übrigens hatten Sie mir doch selbst erlaubt, mit Ihnen freundschaftlich zu reden. Aber Pardon, ich habe Ihre Freundschaft noch durch nichts verdient. Der Wein ist recht trinkbar. Versuchen Sie ihn doch!«

      Er goß mir ein halbes Glas aus seiner Flasche ein.

      »Sehen Sie wohl, mein lieber Iwan Petrowitsch, ich begreife ja sehr wohl, daß es unschicklich ist, jemandem seine Freundschaft aufzudrängen; wir sind ja nicht alte dreist und unverschämt gegen Sie, wie Sie das von uns glauben. Na, ich begreife ferner sehr wohl, daß Sie hier mit mir zusammen sitzen, nicht weil ich Ihnen sympathisch wäre, sondern weil ich versprochen habe, mich mit Ihnen auszusprechen. Nicht wahr?«

      Er lachte.

      »Und da Sie die Interessen einer gewissen Person wahrnehmen, so möchten Sie gern hören, was ich Ihnen sagen will. Ist es nicht so?« fügte er mit einem boshaften Lächeln hinzu.

      »Sie haben sich nicht geirrt«, unterbrach ich ihn ungeduldig. (Ich merkte, daß er zur Kategorie derjenigen gehörte, die, wenn sie einen Menschen auch nur ein wenig in ihrer Gewalt haben, ihn dies sofort fühlen lassen. Ich aber befand mich in seiner Gewalt; ich konnte nicht weggehen, ehe ich nicht alles gehört hatte, was er mir zu sagen beabsichtigte, und er wußte das recht gut. Sein Ton hatte sich rasch geändert und war immer dreister, familiärer und spöttischer geworden.) »Sie haben sich nicht geirrt, Fürst; eben deswegen bin ich mitgekommen; sonst säße ich wahrhaftig hier nicht… noch so spät.«

      Ich hatte sagen wollen: »Sonst säße ich wahrhaftig hier nicht mit Ihnen zusammen«; aber ich sagte es nicht und gab dem Satz eine andere Wendung, nicht aus Furcht, sondern infolge meiner verdammten Schwäche und meines nichtswürdigen Zartgefühls. In der Tat, ich bringe es nicht fertig, jemandem eine Grobheit gerade ins Gesicht zu sagen, wenn er es auch verdient und wenn ich auch faktisch beabsichtigt habe, ihm eine Grobheit zu sagen. Ich glaube, der Fürst merkte das am Ausdruck meiner Augen und blickte mich während meiner ganzen letzten Antwort spöttisch an, wie wenn er sich über meine Schwachmütigkeit freute und mich mit seinem Blick reizen wollte: »Siehst du wohl, du hast es nicht gewagt; du hast es mit der Angst bekommen, ja, ja, Freundchen!« So war es sicherlich; denn als ich schloß, fing er an zu kichern und klopfte mir mit gönnerhafter Freundlichkeit auf das Knie.

      »Ich muß über dich lachen, Freundchen!« las ich in seinem Blick. – »Warte nur!« dachte ich im stillen.

      »Ich bin heute sehr vergnügt!« rief er; »und wirklich, ich weiß nicht, warum. Ja, ja, mein Freund, ja! Gerade über diese Person wollte ich mit Ihnen reden. Man muß sich doch einmal gründlich aussprechen und zu einem Resultat gelangen, und ich hoffe, daß Sie mich diesmal vollständig verstehen werden. Ich begann vorhin, mit Ihnen von diesem Geld und dieser Schlafmütze von Vater, dem sechzigjährigen Säugling, zu reden… Na, es ist nicht der Mühe wert, noch einmal davon zu sprechen. Ich habe es ja nur im Scherz gesagt! Hahaha, Sie als Schriftsteller mußten das doch merken…«

      Ich sah ihn erstaunt an. Betrunken schien er noch nicht zu sein.

      »Nun, aber was dieses Mädchen anbelangt, so habe ich wirklich vor ihr, alle Hochachtung; ich liebe sie sogar, versichere ich Sie. Sie ist ein bißchen launisch; aber »keine Rose ohne Dornen«, wie man vor fünfzig Jahren zu sagen pflegte, und das ist ein schöner Spruch: die Dornen stechen zwar, aber gerade das ist das Reizvolle; und obgleich mein Aljoscha ein Dummkopf ist, habe ich ihm doch schon teilweise verziehen – wegen seines guten Geschmacks. Kurz, solche Mädchen gefallen mir, und ich habe« (er kniff vielsagend die Lippen zusammen) »sogar meine besonderen Absichten…Nun, davon später!…«

      »Fürst, hören Sie, Fürst!« rief ich. »Ich verstehe diesen raschen Wechsel Ihrer Anschauungen nicht; aber… verlassen Sie dieses Thema; ich bitte Sie darum.«

      »Sie werden wieder hitzig! Nun gut… ich werde dieses Thema verlassen! Nur eins möchte ich Sie fragen, mein lieber Freund: schätzen Sie sie sehr hoch?«

      »Selbstverständlich!« antwortete ich in grobem, ungeduldigem Ton.

      »Na, und lieben Sie sie auch?« fuhr er fort; er fletschte in widerwärtiger Weise die Zähne


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