Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский
Читать онлайн книгу.ganzen Welt kein Weib, das wollüstiger gewesen wäre als sie, und ich hatte das Glück, ihr volles Vertrauen zu genießen. Kurz, ich war ihr heimlicher Geliebter. Für unseren Verkehr hatte sie mit so meisterhafter Geschicklichkeit alle Einrichtungen getroffen, daß nicht einmal jemand von ihren Hausgenossen den geringsten Verdacht hegen konnte; nur ihre hübsche Zofe, eine Französin, war in das Geheimnis eingeweiht; aber auf diese Zofe konnten wir uns vollständig verlassen; sie war ebenfalls an der Sache beteiligt; wie, das will ich jetzt nicht erörtern. Meine Dame war derartig wollüstig, daß selbst der Marquis de Sade viel von ihr hätte lernen können. Aber das stärkste, die Nerven am meisten reizende und aufrüttelnde Moment bei diesem Genußleben war seine Heimlichkeit und die Unverschämtheit des Betruges. Diese Verhöhnung alles dessen, was die Gräfin in der Gesellschaft als etwas Hohes, Unantastbares, Unverletzliches predigte, dieses innerliche, teuflische Lachen, dieses bewußte Mit-Füßen-Treten aller Gesetze, die heiliggehalten werden sollen, und all das in ganz maßloser Weise, bis zum äußersten Grade, bis zu einem Grade, den sich auch die wildeste Einbildungskraft nicht vorzustellen wagen würde – gerade das bildete den allergrößten Reiz dieses Genusses. Ja, dieses Weib war eine Inkarnation des Teufels; aber sie hatte etwas unwiderstehlich Bezauberndes. Auch jetzt kann ich nicht ohne Entzücken an sie zurückdenken. Mitten in der Glut des heißesten Genusses lachte sie auf einmal los wie eine Irrsinnige, und ich verstand dieses Lachen, verstand es vollkommen und lachte selbst mit. Auch jetzt noch stockt mir der Atem bei der bloßen Erinnerung, obwohl es schon viele Jahre zurückliegt. Nach einem Jahr schaffte sie mich ab und gab mir einen Nachfolger. Wenn ich es auch gewollt hätte, so hätte ich ihr doch nicht schaden können. Wer hätte mir geglaubt? Wie finden Sie einen solchen Charakter? Was sagen Sie dazu, mein junger Freund ?«
»Pfui, welche Gemeinheit!« antwortete ich; ich hatte dieses Bekenntnis mit einem Gefühl steigenden Ekels angehört.
»Sie wären sich selbst untreu geworden, mein junger Freund, wenn Sie anders geantwortet hätten! Ich wußte im voraus, daß Sie das sagen würden. Hahaha! Warten Sie, mon ami; wenn Sie länger leben, werden Sie Verständnis dafür gewinnen; jetzt ist Ihr Appetit noch auf Kinderkonfekt gerichtet. Nein, als Dichter haben Sie sich hier nicht erwiesen; aber diese Frau verstand das Leben und wußte es zu genießen.«
»Aber welchen Zweck hatte es, sich so zum Tier zu erniedrigen?«
»Wie meinen Sie das?«
»Nun, diese Frau erniedrigte sich doch zum Tier und Sie sich mit ihr.«
»Ah, Sie nennen das Erniedrigung zum Tier – ein Anzeichen dafür, daß Sie noch in den Kinderschuhen stecken und am Gängelband gehen. Gewiß, ich gebe zu, daß jemand auch bei einer Anschauungsweise, die der meinigen völlig entgegengesetzt ist, Selbständigkeit an den Tag legen kann; aber … wir wollen einfach und klar reden, mon ami… Sie werden selbst zugeben müssen, daß das alles Unsinn ist!«
»Was ist denn kein Unsinn?«
»Kein Unsinn ist die Persönlichkeit, mein eigenes Ich. Alles ist für mich da, und die ganze Welt ist für mich geschaffen. Hören Sie, mein Freund, ich glaube noch daran, daß man auf der Welt gut leben kann. Und das ist der allerbeste Glaube; denn ohne ihn könnte man nicht einmal schlecht leben: man müßte sich vergiften. Wie man sagt, hat es auch einen Dummkopf gegeben, der das tat. Er ging in seinem Philosophieren so weit, daß er alles negierte, alles, sogar die Gesetzmäßigkeit aller normalen und natürlichen menschlichen Pflichten; so gelangte er dahin, daß ihm nichts übrigblieb; das Resultat war Null; und da verkündete er denn, das Beste im Leben sei die Blausäure. Sie werden sagen, das sei ein Hamlet, eine schreckliche Verzweiflung, mit einem Wort, etwas so Großartiges, daß es uns auch nicht einmal im Traum beikommen könne. Aber Sie sind ein Dichter und ich ein einfacher Mensch, und daher sage ich Ihnen, daß man die Sache vom einfachen, praktischen Gesichtspunkt aus ansehen muß. Ich zum Beispiel habe mich schon längst von allen Fesseln und sogar von allen Pflichten frei gemacht. Ich halte mich nur dann für verpflichtet, wenn etwas mir irgendwelchen Vorteil bringt. Sie können die Dinge natürlich nicht so ansehen; Ihre Füße sind gefesselt, und Ihr Geschmack ist krank. Sie legen bei Ihrem Räsonnement das Ideal und die Tugenden zugrunde. Indessen, mein Freund, ich bin ja selbst gern bereit, alles zuzugeben, was Sie wünschen; aber was soll ich tun, wenn ich bestimmt weiß, daß die Grundlage aller menschlichen Tugenden der größte Egoismus bildet? Und je tugendhafter eine Handlung ist, um so mehr Egoismus steckt dahinter. Liebe dich selbst! Das ist die einzige Maxime, die ich anerkenne. Das Leben ist ein Handelsgeschäft; werfen Sie Ihr Geld nicht umsonst weg; aber bezahlen Sie meinetwegen für die genossene Bewirtung; damit erfüllen Sie alle Ihre Pflichten gegen Ihren Nächsten. Das ist mein Moralkodex, wenn Sie ihn durchaus kennenlernen wollen, obwohl ich Ihnen gestehe, daß es meiner Ansicht nach noch besser ist, seinem Nächsten nichts zu bezahlen, sondern ihn mit Klugheit dahin zu bringen, daß er einem seine Dienste umsonst leistet. Ideale habe ich keine, und ich wünsche auch keine zu haben; Sehnsucht nach ihnen habe ich nie verspürt. Auch ohne Ideale kann man auf der Welt so nett und vergnügt leben… und; en somme, ich bin recht froh, daß ich ohne Blausäure auskommen kann. Wäre ich ein bißchen tugendhafter, so würde ich vielleicht nicht ohne sie auskommen können, wie jener Dummkopf von Philosoph (es wird gewiß ein Deutscher gewesen sein). Nein, es gibt im Leben noch so viele gute Dinge! Ich liebe eine einflußreiche Stellung, einen hohen Rang, ein elegantes Restaurant, hohes Kartenspiel (ich spiele schrecklich gern Karten). Aber die Hauptsache, die Hauptsache bleiben doch die Frauen … und Frauen von aller Art; ich liebe sogar geheime, versteckte Wollust, so eine, die ein bißchen seltsam und originell ist, sogar zur Abwechslung mit etwas Schmutz… Hahaha! Ich sehe Ihr Gesicht an: mit welcher Verachtung blicken Sie jetzt auf mich herab!«
»Da haben Sie reicht«, erwiderte ich.
»Nun, angenommen auch, daß Sie recht hätten, so ist doch jedenfalls ein bißchen Schmutz besser als Blausäure. Nicht wahr?«
»Nein; da ist doch die Blausäure besser.«
»Ich hatte Sie absichtlich gefragt: ›Nicht wahr?‹, um mich an Ihrer Antwort zu ergötzen, die ich schon vorherwußte. Nein, mein Freund, wenn Sie ein wahrer Menschenfreund sind, dann müssen Sie allen verständigen Menschen denselben Geschmack wünschen, den ich habe, sogar mit ein bißchen Schmutz; sonst haben ja die verständigen Menschen bald nichts mehr auf der Welt zu suchen, und es bleiben nur die Dummköpfe auf ihr übrig. Da hätten die einmal Glück! Es gibt ja auch jetzt schon ein Sprichwort: die Dummen haben das Glück. Und wissen Sie, es gibt nichts Angenehmeres als mit Dummköpfen zusammen zu leben und sich bei ihnen einzuschmeicheln; das ist sehr profitabel! Wundern Sie sich nicht darüber, daß ich auf gewisse hergebrachte Anschauungen Wert lege, an manchen konventionellen Formen festhalte, nach einer einflußreichen Stellung trachte; ich sehe ja, daß ich in einer hohlen Gesellschaft lebe; aber in dieser Gesellschaft sitze ich vorläufig weich und warm, und darum schmeichle ich mich bei diesen Leuten ein und spiele mich als ihr eifriger Verteidiger auf, würde aber im gegebenen Fall der erste sein, der sie verläßt. Ich kenne ja alle Ihre neuen Ideen, obgleich ich nie für sie gelitten habe; ich habe auch keinen Anlaß, das zu tun. Gewissensbisse habe ich nie über etwas gehabt. Ich bin mit allem einverstanden, wenn es mir nur gut geht. Und solcher Menschen wie mich gibt es eine Legion, und es geht uns tatsächlich gut. Alles in der Welt kann zugrunde gehen; nur uns wird das niemals begegnen. Wir existieren, solange die Welt existiert. Die ganze Welt kann irgendwohin versinken; aber wir kommen immer wieder in die Höhe, wir schwimmen immer obenauf. Apropos, beachten Sie beispielsweise nur den einen Umstand, wie langlebig solche Leute wie wir sind. Wir sind ja von einer phänomenalen Lebenszähigkeit; ist Ihnen das noch nie aufgefallen? Wir leben bis zu achtzig, neunzig Jahren! Also nimmt uns die Natur selbst unter ihren Schutz, hahaha! Ich will unbedingt neunzig Jahre alt werden. Ich liebe den Tod nicht und fürchte ihn sogar. Weiß der Teufel, auf welche Weise man noch wird sterben müssen! Aber wozu sollen wir davon reden! Dazu hat mich nur dieser Philosoph, der sich vergiftete, verleitet. Zum Teufel mit der Philosophie! Buvons, mon eher! Wir fingen ja an, von hübschen Mädchen zu reden… Wo wollen Sie denn hin?«
»Ich gehe, und auch für Sie dürfte es Zeit sein…«
»Nicht doch, nicht doch! Ich habe Ihnen sozusagen mein ganzes Herz erschlossen, und Sie scheinen einen so deutlichen Beweis von Freundschaft nicht einmal recht zu würdigen. Hahaha! Sie haben kein liebevolles Herz, mein lieber Poet. Aber warten Sie, ich will noch