Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский
Читать онлайн книгу.freundlichen Benennung bezeichne; wer weiß, vielleicht trägt mein Unterricht noch Früchte) – also, mein Zögling, über die Tugend habe ich Ihnen schön gesagt: je tugendhafter eine Tugend ist, um so mehr Egoismus steckt in ihr drin. Ich möchte Ihnen über dieses Thema ein allerliebstes Geschichtchen erzählen. Ich liebte einmal ein Mädchen und liebte sie beinahe aufrichtig. Sie brachte mir sogar vieles zum Opfer…«
»Ist das die, die Sie bestohlen haben?«fragte ich grob, da ich keine Lust: mehr hatte, mich zurückzuhalten.
Der Fürst fuhr zusammen; sein Gesicht nahm einen anderen Ausdruck an, und er richtete seine heißen Augen starr auf mich; in seinem Blick lag Erstaunen und Wut.
»Warten Sie«, sagte er, als ob er vor sich hin spräche; »warten Sie; lassen Sie mich nachdenken! Ich bin wirklich betrunken, und es fällt mir schwer, meine Gedanken zu sammeln…«
Er verstummte und sah mich forschend mit demselben grimmigen Blick an, wobei er meine Hand in der seinigen hielt, wie wenn er fürchtete, ich könnte fortgehen. Ich bin überzeugt, daß er in diesem Augenblick überlegte und herauszubekommen suchte, woher ich diese fast niemandem bekannte Tatsache wohl wissen könne und ob sich darin irgendwelche Gefahr für ihn verberge. Das dauerte ungefähr eine Minute; aber dann ging mit seinem Gesicht plötzlich eine schnelle Veränderung vor; der frühere Ausdruck von Spott und trunkener Heiterkeit erschien von neuem in seinen Augen. Er lachte auf.
»Hahaha! Sie sind ja der reine Talleyrand! Nun ja, ich stand wirklich wie ein Schuljunge vor ihr, als sie mir den Vorwurf ins Gesicht schleuderte, ich hätte sie bestohlen! Wie sie damals kreischte und schimpfte! Sie war wütend und… hatte alle Selbstbeherrschung verloren. Aber urteilen Sie selbst: erstens hatte ich sie überhaupt nicht bestohlen, wie Sie sich soeben ausdrückten. Sie hatte mir ihr Geld selbst geschenkt, und es gehörte also mir. Na, nehmen wir an, Sie schenken mir Ihren besten Frack« (bei diesen Worten warf er einen Blick auf meinen einzigen, recht unschönen Frack, den mir vor drei Jahren der Schneider Iwan Skornjagin gemacht hatte); »ich bin Ihnen dafür dankbar und trage ihn; ein Jahr darauf überwerfen Sie sich plötzlich mit mir und fordern ihn zurück; ich habe ihn aber inzwischen schon abgetragen … Das ist nicht anständig von Ihnen gehandelt; warum haben Sie ihn mir denn zuerst geschenkt? Zweitens hätte ich ihr das Geld, obwohl es mir gehörte, unfehlbar zurückgegeben; aber sagen Sie selbst: wo hätte ich denn eine solche Summe so plötzlich hernehmen sollen? Die Hauptsache aber war: ich kann, wie ich Ihnen schon gesagt habe, Hirtenidyllen und Schillerianer nicht leiden; na, und gerade das war die Ursache des ganzen Zerwürfnisses. Sie glauben gar nicht, was sie vor mir für eine Pose annahm und wie sie schrie, sie schenke mir das Geld (das doch mir gehörte). Da wurde auch ich ärgerlich, und da mich meine Geistesgegenwart nie verläßt, so stellte ich klugerweise sogleich eine durchaus richtige Erwägung an: ich sagte mir, daß ich sie durch die Rückgabe des Geldes vielleicht sogar unglücklich machen würde. Ich hätte ihr den Genuß geraubt, sich durch mich völlig unglücklich zu fühlen und mich ihr ganzes Leben lang zu verfluchen. Glauben Sie mir, mein Freund, solches Unglück ist sogar die Quelle eines Entzückens höherer Art, welches darin besteht, daß man sich bewußt ist, vollkommen im Recht zu sein und großmütig gehandelt zu haben und den Gegner mit vollem Recht einen Schurken nennen zu dürfen. Dieses Entzücken des Ingrimms findet sich natürlich nur bei solchen Schillernaturen; vielleicht hatte sie später nichts zu essen; aber ich bin überzeugt, daß sie glücklich war. Ich wollte sie dieses Glückes nicht berauben und schickte ihr das Geld nicht zurück. Auf diese Weise hat auch mein Lehrsatz seine volle Bestätigung gefunden: daß, je stärker und bedeutender die Großmut eines Menschen ist, ein um so größeres Quantum des widerwärtigsten Egoismus darin steckt… Ist Ihnen das wirklich nicht klar? … Aber … Sie wollten mich ja nur fangen, hahaha!… Na, gestehen Sie es nur, Sie wollten mich fangen? … Oh, Sie Talleyrand!«
»Leben Sie wohl!« sagte ich und stand auf.
»Noch ein Augenblickchen! Nur noch ein paar Worte zum Schluß!« rief er, indem er seinen widerlichen Ton plötzlich mit einem ernsten vertauschte. »Hören Sie das Letzte, was ich Ihnen sagen möchte! Aus allem, was ich Ihnen gesagt habe, ergibt sich klar und deutlich (ich meine, das werden auch Sie selbst bemerkt haben), daß ich niemals und um niemandes willen meinen Vorteil aufgeben will. Ich liebe das Geld und brauche Geld. Katerina Fjodorowna besitzt viel Geld; ihr Vater ist zehn Jahre lang Branntweinpächter gewesen. Sie hat drei Millionen, und diese drei Millionen werden mir sehr zustatten kommen. Aljoscha und Katja passen vorzüglich zueinander; beide sind Dummköpfe erster Klasse; das ist’s gerade, was ich brauche. Und darum wünsche und will ich unbedingt, daß ihre Heirat zustande kommt, und zwar möglichst bald. In zwei, drei Wochen werden die Gräfin und Katja aufs Land reisen. Aljoscha soll sie begleiten. Benachrichtigen Sie doch Natalja Nikolajewna vorher davon, damit es keine gefühlvollen Szenen setzt und sich niemand gegen mich auflehnt. Ich bin rachsüchtig und boshaft und bestehe auf meinem Willen. Furcht habe ich vor ihr nicht; es wird zweifellos alles nach meinem Willen geschehen, und wenn ich sie jetzt warnen lasse, so tue ich das fast nur in ihrem eigenen Interesse. Sorgen Sie dafür, daß keine Dummheiten passieren und daß sie sich vernünftig benimmt. Sonst wird es ihr schlecht gehen, sehr schlecht. Sie hat allen Grund, mir schon dafür dankbar zu sein, daß ich nicht mit ihr verfahren bin, wie es sich gehört, nach dem Gesetz. Lassen Sie sich sagen, mein lieber Poet, daß die Gesetze die Ruhe des Familienlebens beschirmen, indem sie dem Vater den Gehorsam des Sohnes gewährleisten, und daß diejenigen, die ein Kind von seinem heiligen Pflichten gegen seine Eltern abbringen, beim Gesetz keinen Schutz finden. Bedenken Sie schließlich noch, daß ich Konnexionen besitze und sie nicht, und… begreifen Sie denn wirklich nicht, was ich alles mit ihr tun könnte? Aber ich habe noch nichts getan, weil sie sich bisher vernünftig benommen hat. Seien Sie versichert: während dieses ganzen halben Jahres haben in jedem Augenblick scharfsichtige Augen jede Bewegung der beiden überwacht, und ich habe alles bis auf die geringste Kleinigkeit gewußt. Und darum habe ich ruhig gewartet, bis Aljoscha selbst sich von ihr abwenden würde, was jetzt bereits beginnt; bis dahin mochte es für ihn eine angenehme Zerstreuung sein. Ich aber bin in seinen Augen der humane Vater geblieben; und es liegt in meinem Interesse, daß er so über mich denkt. Hahaha! Ich denke eben daran, daß ich ihr damals, an jenem Abend, beinahe Komplimente deswegen gesagt habe, weil sie so großmütig und uneigennützig gewesen ist, ihn nicht zu heiraten; ich möchte wohl wissen, wie sie das hätte anfangen wollen! Was aber meinen damaligen Besuch bei ihr anlangt, so geschah das alles einzig und allein, weil es nunmehr Zeit war, der Liaison der beiden ein Ende zu machen. Aber ich hielt für nötig, mir alles mit eigenen Augen anzusehen, mich von allem persönlich zu überzeugen… Nun, sind Sie jetzt zufrieden? Oder möchten Sie vielleicht noch wissen, warum ich Sie hierhergeschleppt, mich vor Ihnen so eigentümlich benommen und eine solche Offenherzigkeit bewiesen habe, während ich doch das alles ohne jede Offenherzigkeit hätte aussprechen können, ja?«
»Ja.«
Ich überwand mich und horchte begierig auf. Zu antworten hatte ich ihm nichts weiter.
»Einzig deswegen, mein Freund, weil ich bei Ihnen etwas mehr Vernunft und klaren Blick für die Dinge bemerkte als bei unseren beiden Dummköpfen. Allerdings mochten Sie auch schon vorher wissen, wer ich bin, mochten es erraten haben, allerlei über mich kombiniert haben; aber ich wollte Sie dieser Mühe überheben und beschloß, Ihnen anschaulich zu zeigen, mit wem Sie es zu tun haben. Es ist ein großes Ding um so einen tatsächlichen Eindruck. Lernen Sie mich verstehen, mon ami! Sie wissen jetzt, mit wem Sie es zu tun haben; Sie lieben das Mädchen, und daher hoffe ich jetzt, daß Sie all Ihren Einfluß (und Sie besitzen Einfluß auf sie) aufbieten werden, um ihr gewisse Unannehmlichkeiten zu ersparen. Sonst wird sie Unannehmlichkeiten haben, und ich versichere Sie, versichere Sie mit aller Bestimmtheit: solche, über die nicht zu spaßen sein wird. Nun, und endlich der dritte Grund meiner Offenherzigkeit gegen Sie ist der (aber Sie haben ihn ja gewiß schon erraten, mein Lieber): ich wollte wirklich einmal meinem Ekel über diese ganze Angelegenheit Ausdruck geben, und zwar gerade vor Ihren Ohren…«
»Und Sie haben Ihre Absicht erreicht«, sagte ich, zitternd vor Erregung. »Ich gebe zu, daß Sie mir Ihren ganzen Ingrimm und Ihre ganze Verachtung für mich und uns alle auf keine Weise besser hätten zum Ausdruck bringen können als gerade durch diese Offenherzigkeit. Sie haben nicht gefürchtet, daß Sie sich durch Ihre Offenherzigkeit einem Menschen wie mir gegenüber kompromittieren könnten; noch mehr: Sie