Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский
Читать онлайн книгу.daß sie glücklich werden, und daher muß ich mich zum Opfer bringen und ihnen helfen.‹ So ist es doch?«
»Ich weiß, daß Sie sich zum Opfer gebracht haben.«
»Ja, ich habe mich zum Opfer gebracht; aber dann später, als er anfing, häufiger zu mir zu kommen und mich immer mehr zu lieben, da wurde ich nachdenklich und denke nun immer: »Soll ich mich zum Opfer bringen oder nicht?« Das ist doch sehr schlecht von mir, nicht wahr?«
»Es ist nur natürlich«, erwiderte ich; »es muß so sein… und Sie tragen keine Schuld.«
»Ich bin doch anderer Ansicht; Sie sagen das nur, weil Sie so gut sind. Ich meine aber, daß mein Herz nicht ganz rein ist. Wäre mein Herz rein, so würde ich wissen, wofür ich mich zu entscheiden habe. Aber lassen wir das! Darauf habe ich etwas mehr über ihre gegenseitigen Beziehungen gehört, vom Fürsten, von Mama, von Aljoscha selbst, und habe herausgefühlt, daß sie nicht zueinander passen; und Sie bestätigen mir das jetzt. Da habe ich nun weiter überlegt: »Wie soll ich mich jetzt verhalten? « Denn wenn zu erwarten ist, daß sie miteinander unglücklich sein werden, so ist es für sie das beste, sich zu trennen; und darauf habe ich mir vorgenommen, Sie recht genau nach allem zu befragen und selbst zu Natascha zu fahren und mit ihr die ganze Sache zu erledigen.«
»Aber wie zu erledigen, das ist die Frage.«
»Ich will zu ihr sagen: »Sie lieben ihn ja über alles; daher müssen Sie auch sein Glück höherstellen als das Ihrige; folglich müssen Sie sich von ihm trennen.«
»Ja, aber was meinen Sie, wie sie das aufnehmen wird? Und wenn sie Ihnen zustimmt, wird sie imstande sein, es auszuführen?«
»Das ist’s gerade, worüber ich Tag und Nacht nachdenke, und… und…«
Sie brach plötzlich in Tränen aus.
»Sie glauben gar nicht, wie leid mir Natascha tut«, flüsterte sie mit zuckenden Lippen.
Ich hatte nichts weiter hinzuzufügen. Ich schwieg und hätte, wie ich sie so ansah, am liebsten selbst losgeweint, nicht aus Schmerz, sondern aus einer Art von Liebe. Was war sie für ein liebes, liebes Kind! Ich fragte sie nicht, weshalb sie denn sich selbst für fähig halte, Aljoscha glücklich zu machen.
»Lieben Sie Musik?« fragte sie, nachdem sie sich einigermaßen beruhigt hatte, aber noch wehmütig von den soeben vergossenen Tränen.
»O ja«, antwortete ich etwas verwundert.
»Wenn wir Zeit hätten, würde ich Ihnen das dritte Konzert von Beethoven vorspielen. Ich spiele es jetzt. Darin sind alle diese Gefühle ausgedrückt… ganz genau so, wie ich sie jetzt empfinde. So scheint es mir wenigstens. Aber das müssen wir auf ein andermal verschieben; jetzt haben wir noch miteinander zu reden.«
Wir berieten nun darüber, wie ihre geplante Begegnung mit Natascha ins Werk zu setzen sei. Sie teilte mir mit, daß sie streng gehalten werde; wiewohl ihre Stiefmutter gut sei und sie hebe, werde sie ihr doch unter keinen Umständen erlauben, Natalja Nikolajewnas Bekanntschaft zu machen; daher habe sie sich zur Anwendung einer List entschlossen. Vormittags fahre sie manchmal spazieren, aber fast immer mit der Gräfin zusammen. Mitunter jedoch fahre die Gräfin nicht mit, sondern lasse sie mit der Französin allein fahren, die jetzt krank sei. Das geschehe, wenn die Gräfin Kopfschmerzen habe, und daher müsse man abwarten, bis die Kopfschmerzen sich wieder einmal einstellten. Bis dahin aber werde es ihr schon gelingen, ihre Französin (eine alte Dame, so eine Art von Gesellschafterin) auf ihre Seite zu bringen; denn diese Französin sei eine herzensgute Person. Als Resultat ergab sich, daß es schlechterdings unmöglich sei, im voraus den Tag zu bestimmen, an dem der Besuch bei Natascha stattfinden solle.
»Sie werden es nicht bereuen, Nataschas Bekanntschaft gemacht zu haben«, sagte ich. »Sie wünscht selbst lebhaft, Sie kennenzulernen, und das ist auch nötig, schon damit sie weiß, wem sie ihren Aljoscha übergibt. Grämen Sie sich über diese ganze Angelegenheit nicht zu sehr. Die Zeit wird auch ohne Ihre Sorgen die Lösung bringen. Sie fahren ja doch aufs Land?«
»Ja, bald, vielleicht in einem Monat«, antwortete sie; »und ich weiß, daß der Fürst darauf bestehen wird.«
»Was meinen Sie, wird Aljoscha mit Ihnen fahren?«
»Sehen Sie, daran hatte ich soeben auch gedacht!« sagte sie, mich unverwandt anblickend. »Glauben Sie nicht, daß er mitkommen wird?«
»Ganz bestimmt.«
»Mein Gott, was aus alledem noch werden wird, das weiß ich nicht! Hören Sie, Iwan Petrowitsch, ich werde Ihnen von allem, was vorfällt, schreiben; ich werde Ihnen oft und viel schreiben. Ich bin nun einmal Ihr Quälgeist geworden. Werden Sie vorher noch oft zu uns kommen?«
»Das weiß ich nicht, Katerina Fjodorowna; das wird von den Umständen abhängen. Vielleicht werde ich überhaupt nicht wieder herkommen.«
»Warum denn nicht?«
»Das können verschiedene Ursachen bewirken, besonders meine Beziehungen zum Fürsten.«
»Er ist ein unehrlicher Mensch!« erwiderte Katja in entschiedenem Ton. »Aber wissen Sie, Iwan Petrowitsch, wie wär’s, wenn ich zu Ihnen käme? Würde das von mir gut gehandelt sein oder nicht?«
»Wie denken Sie selbst darüber?«
»Ich glaube, gut. Ich käme einfach so gelegentlich zu Ihnen hin…« fügte sie lächelnd hinzu. »Ich sage das. weil ich Sie nicht nur hochschätze, sondern auch sehr gern habe … Und ich kann von Ihnen vieles lernen. Und ich habe Sie sehr gern… Ich brauche mich doch nicht darüber zu schämen, daß ich so zu Ihnen spreche?«
»Was gibt’s da zu schämen? Auch Sie sind mir heb und wert wie eine nahe Verwandte.«
»Sie wollen also mein Freund sein?«
»Das will ich, gewiß!« antwortete ich.
»Nun, die da würden bestimmt sagen, daß ich mich schämen müsse und daß sich ein junges Mädchen nicht so benehmen dürfe«, bemerkte sie, indem sie wieder mit den Augen nach der Gesellschaft am Teetisch hindeutete.
Ich schiebe hier die Bemerkung ein, daß der Fürst uns anscheinend absichtlich allein ließ, damit wir uns nach Belieben miteinander aussprechen könnten.
»Ich weiß ja sehr gut«, fügte sie hinzu, »der Fürst hat es auf mein Geld abgesehen. Von mir glauben sie, daß ich noch ein vollständiges Kind sei, und sagen mir das sogar geradezu. Ich jedoch glaube das nicht. Ich bin kein Kind mehr. Sie sind sonderbare Menschen; sie sind ja selbst wie Kinder; wozu machen sie sich nur soviel Mühe und Sorge?«
»Katerina Fjodorowna, ich wollte Sie noch fragen: was sind das für Leute, Lew und Boris, die Aljoscha so oft besucht?«
»Es sind entfernte Verwandte von mir. Sie sind sehr kluge und sehr ehrenhafte Menschen; aber sie reden furchtbar viel… Ich kenne sie genau…«
Sie lächelte.
»Ist es wahr, daß Sie ihnen zu gegebener Zeit eine Million schenken wollen?«
»Nun, sehen Sie, zum Beispiel gleich diese Million! Da schwatzen sie nun schon so viel von ihr, daß es gar nicht mehr zu ertragen ist. Gewiß, ich gebe mit Freuden für alle nützlichen Zwecke etwas her; wozu hat man denn sonst das viele Geld, nicht wahr? Vorläufig jedoch bin ich ja noch gar nicht in der Lage, etwas herzugeben; sie aber verteilen es jetzt schon und überlegen und schreien und disputieren über die beste Verwendung und zanken sich sogar deswegen; es ist ein ganz wunderliches Benehmen. Sie haben es gar zu eilig. Aber doch sind sie so offenherzige und… verständige Menschen. Sie lernen fleißig. Das ist immer besser als die Art, in der manche anderen leben. Nicht wahr?«
So sprachen wir noch über vieles miteinander. Sie erzählte mir beinahe ihre ganze Lebensgeschichte und hörte mit lebhaftem Interesse meine Erzählungen an. Immer verlangte sie, ich solle ihr noch mehr von Natascha und Aljoscha erzählen. Es war schon zwölf Uhr, als der Fürst zu mir trat und mir zu verstehen gab, daß es Zeit sei aufzubrechen. Ich empfahl mich. Katja drückte mir herzlich die Hand und sah mich bedeutsam an. Die Gräfin bat mich, meinen Besuch zu wiederholen; ich ging mit dem Fürsten zusammen hinaus.
Ich kann mich nicht enthalten, eine