Die Verborgene Harmonie. Osho
Читать онлайн книгу.nennt es „Wachheit“; Kabir nennt es Surati – gegenwärtig sein. Das ist alles, was Not tut – sonst nichts. Zu ändern brauchst du nichts. Du kannst tun, was du willst, um dich zu ändern, es wird dir nicht gelingen. Wie oft hast du versucht, alles Mögliche an dir zu ändern. Und der Erfolg? Wie oft hast du dir vorgenommen, nie wieder wütend zu werden! Was ist aus deinem Vorsatz geworden? Wenn es so weit ist, gehst du wieder in die gleiche Falle: Du wirst wütend. Und wenn die Wut verraucht ist, tut es dir wieder leid. Es ist wie ein Teufelskreis: Du wirst wütend, dann bereust du, dann bist du irgendwann wieder so weit.
Vor allem macht euch klar: Selbst in der Reue seid ihr nicht gegenwärtig. Auch die Reue gehört zur Sünde. Genau darum verändert sich auch nichts. Du versuchst es immer von neuem, fasst gute Vorsätze und machst Versprechungen, aber nichts geschieht – du bleibst, der du bist. Du bleibst genau derselbe, der du schon bei deiner Geburt warst, nicht die kleinste Veränderung hat sich in dir abgespielt. Das liegt nicht daran, dass du es etwa nicht versucht hättest, dass du dich nicht genug angestrengt hättest. Du hast es immer wieder versucht, aber umsonst – weil es nämlich keine Frage der Anstrengung ist. Sich noch mehr anzustrengen führt zu nichts. Es ist eine Frage der Wachheit, nicht der Anstrengung.
Wenn du wach bist, fällt vieles von selbst weg, ohne dass du es fallen lassen musst. Wenn du wach bist, sind bestimmte Dinge einfach nicht möglich. Und das ist meine Definition von Sünde: Was du im wachen Zustand nicht tun kannst, nenne ich Sünde. Und alles, was du im wachen Zustand tun kannst, ist Tugend. Es gibt keine andere Definition, es gibt kein anderes Kriterium. Du kannst dich nicht verlieben, wenn du wach bist. Somit ist es Sünde sich zu verlieben. Im Wachzustand kannst du nur lieben – das ist dann aber kein Herabfallen, keine Trübung deiner Wachheit, sondern ein Aufsteigen zu einem höheren Bewusstsein.
Warum sprechen wir von Verlieben? Es ist ein Fallen; du kommst dir abhanden, du fällst – du steigst nicht auf. Wenn du wach bist, kannst du einfach nicht fallen, nicht einmal in die Liebe hinein. Das ist nicht möglich, einfach nicht möglich. Bei wachem Bewusstsein ist das unmöglich – denn durch Liebe steigst du auf. Und wenn du durch Liebe aufsteigst, ist das ein vollkommen anderes Phänomen, als wenn du dich verliebst, jemandem verfällst. Verliebtheit ist ein Traumzustand.
Man kann es deshalb den Leuten an den Augen ablesen, wenn sie verliebt sind: als wären sie in Trance, als wären sie berauscht und voller Träume. Ihre Augen sind schwer von Schlaf. Menschen, die zur Liebe aufsteigen, sind vollkommen anders. Es lässt sich erkennen, dass sie frei von Träumen sind, dass sie der Wirklichkeit ins Auge schauen und dass sie durch ihr Lieben wachsen.
Wenn du dich verliebst, fällst du ins Kindliche zurück. Wenn du zur Liebe aufsteigst, reifst du. Und mit der Zeit hört die Liebe auf, eine Beziehung zu sein, sondern sie wird zu einem Seinszustand. Dann liebst du nicht den einen mehr und den anderen weniger. Nein – du bist dann ganz einfach Liebe. Wer immer dir nahekommt, du teilst mit ihm. Was immer geschieht, du gibst deine Liebe. Du berührst einen Stein, als wäre er der Körper deiner Geliebten; du blickst einen Baum an, als blicktest du in das Gesicht deiner Geliebten. Es wird zu einem Seinszustand. Du bist nicht verliebt, sondern jetzt bist du Liebe. Und das ist ein Aufsteigen, kein Fallen. Liebe ist schön, wenn du durch sie zu einer höheren Ebene aufsteigst, und Liebe wird schmutzig und hässlich, wenn du ihretwegen fällst. Dann wirst du früher oder später sehen, dass sie sich als Gift erweist, dass sie zur Fessel wird. Du hast dich einfangen lassen, deine Freiheit wird erdrückt, deine Flügel werden dir gestutzt, du bist ein Gefangener. Wenn du dich verliebst, wirst du zum Besitz; du besitzt den andern und gestattest dem andern dich zu besitzen. Du wirst zur Sache gemacht und willst umgekehrt den, in den du dich verliebt hast, zur Sache machen. Seht euch ein Ehepaar an: Mann und Frau sind wie Objekte, sie sind keine Menschen mehr. Beide versuchen, sich gegenseitig zu besitzen – nur Objekte lassen sich besitzen, niemals Menschen. Wie kannst du einen Menschen besitzen? Wie kannst du einen Menschen beherrschen? Wie kannst du einen Menschen in Besitz umwandeln? Unmöglich! Aber der Mann versucht die Frau zu besitzen und die Frau macht es umgekehrt. Dann kommt es zum Zusammenprall; sie werden zu heimlichen Feinden und zerstören sich gegenseitig.
Es geschah: Mulla Nasrudin kam ins Friedhofsbüro und beschwerte sich beim Manager: „Ich weiß genau, dass meine Frau hier auf Ihrem Friedhof begraben liegt, aber ich kann ihr Grab nicht finden.“ Der Aufseher sah im Register nach und fragte: „Wie heißt Ihre Frau?“ – Mulla sagte: „Frau Mulla Nasrudin.“ Er sah wieder nach und sagte: „Wir haben hier keine Frau Mulla Nasrudin, sondern nur einen Mulla Nasrudin.“ Und dann: „Es ist uns sehr peinlich, da muss ein Fehler im Register unterlaufen sein.“ Nasrudin sagte: „Keineswegs! Wo ist das Grab von Mulla Nasrudin? – Bei mir läuft alles unter meinem Namen. Auch das Grab meiner Frau!“
Besitz… jedermann sucht zu besitzen: die Geliebte den Liebhaber. Das hat mit Liebe nichts mehr zu tun. Im Gegenteil: Wenn du einen Menschen besitzt, dann hasst du ihn, dann zerstörst du ihn, dann tötest du ihn – du bist ein Mörder. Liebe muss Freiheit gestatten – Liebe ist Freiheit. Liebe macht den Geliebten freier und freier, Liebe verleiht Flügel und Liebe tut den weiten Himmel auf – sie kann kein Gefängnis, keine Einengung sein. Aber diese Liebe kennt ihr nicht, denn die geschieht nur, wenn ihr bewusst seid. Solche Liebe entsteht nur aus Bewusstheit. Die Liebe, die ihr kennt, ist Sünde, denn sie kommt aus Schlaf.
Und das gilt für alles, was ihr tut. Selbst wenn ihr versucht Gutes zu tun, richtet ihr nur Schaden an. Seht euch die sogenannten Wohltäter an: Sie richten immer nur Schaden an, sie sind die schlimmsten Aufrührer der Welt. Sozialreformer, sogenannte Revolutionäre, sie sind es, die am meisten Unheil anrichten. Aber es ist nicht leicht, das Unheil aufzudecken, das sie stiften, weil sie so gute Menschen sind. Sie tun den andern immer nur Gutes an – das ist ihre Art, die andern ins Gefängnis zu stecken. Wenn du ihnen erlaubst, etwas Gutes für dich zu tun, wirst du zu ihrem Besitz. Sie fangen damit an, dir die Füße zu salben und früher oder später spürst du ihre Hände am Hals. Bei den Füßen fangen sie an, beim Hals hören sie auf, aber sie tun es unbewusst, sie wissen nicht, was sie tun. Sie haben einen Trick gelernt: Wenn du jemanden besitzen willst, tu Gutes. Es ist ihnen nicht einmal bewusst, dass sie diesen Trick gelernt haben. Aber der Schaden, den sie anrichten, ist echt. Ganz gleich, wodurch man den anderen zu besitzen versucht, gleich in welcher Form und welchem Namen es geschieht, es ist unreligiös, es ist Sünde. Eure Kirchen, eure Tempel, eure Moscheen haben sich allesamt an euch vergangen; sie alle lassen ihre Herrschsucht an euch aus und haben euch im Griff.
Jede Kirche ist gegen Religion, weil Religion Freiheit bedeutet. Wie kommen Kirchen also zustande? Ein Jesus versucht euch Freiheit und Flügel zu geben. Aber was geschieht dann, wie kommt es später zu einer Kirche? Es liegt daran, dass Jesus auf einer völlig anderen Seinsebene lebt, der Ebene des Bewusstseins; und die, die ihm zuhören, die ihm folgen, leben auf der Ebene des Schlafs. Was immer sie hören, hören sie durch den Filter ihrer eigenen Interpretation, durch ihre interpretierenden Träume. Und was immer sie dann tun, ist Sünde. Christus gibt euch eine Religion und dann machen Leute, die im Tiefschlaf leben, eine Kirche daraus.
Es heißt, dass der Satan, der Teufel, eines Tages sehr traurig unter einem Baum saß. Ein Heiliger kam vorbei, sah ihn und sagte: „Ich dachte immer, dass du dich nie ausruhst, dass du unentwegt Gemeinheiten ausheckst. Was tust du hier unter diesem Baum?“ Satan war wirklich niedergeschlagen. Er sagte: „Ach, es scheint, die Priester haben mir die Arbeit abgenommen; ich habe nichts mehr zu tun, ich bin völlig unbeschäftigt. Manchmal kommen mir schon Selbstmordgedanken, weil diese Priester mehr Erfolg haben als ich.“
Die Priester haben so viel Erfolg, weil sie aus der Freiheit Gefangenschaft gemacht haben, weil sie die Wahrheit zu Ideologie pervertiert haben, weil sie alles von der Ebene des Bewusstseins auf die Ebene des Schlafs heruntergezerrt haben. Versucht zu verstehen, was dieser Schlaf genau ist, denn wenn ihr fühlen könnt, was er ist, seid ihr schon auf dem Weg, der hinausführt. Was ist dieser Schlaf? Wie kommt es dazu? Was ist sein Mechanismus? Was ist sein modus operandi?
Der Verstand ist immer entweder in der Vergangenheit oder in der Zukunft. Das ist seine Arbeitsweise – er ist nie in der Gegenwart. Er kann nicht in der Gegenwart sein, das ist dem Verstand völlig unmöglich. Wenn du in der Gegenwart bist, hört der Verstand auf, denn Verstand heißt Denken, und wie kann man in der Gegenwart denken? Du kannst nur über die Zukunft nachdenken;