... denn alles ist Vorherbestimmt. Elisabeth Schmitz
Читать онлайн книгу.ja, gut ist etwas anderes. Ich wurde ganz schön rangenommen, und man gewährte mir nach der OP nur einige Zeit zum Schlafen. Aber dann kam ein junger Mann und hat mich aus dem Bett gelockt. Zunächst musste ich eine Weile sitzenbleiben, mit den Beinen aus dem Bett. Und stellen Sie sich vor, ich musste laufen! Mit Krücken! Ach nee, die heißen ja nicht mehr so, hat Bernd mir erzählt. Bernd ist der Physiotherapeut. Die heißen nun Unterarmgehstöcke. Aber ich darf Stöcke sagen. Nett, was?
Den kaputten Fuß darf ich auf gar keinen Fall belasten, und als ich so einen Schritt durch das Zimmer tat, da wurde mir ganz schön schwindelig. Wenn Bernd mich nicht festgehalten hätte, wäre ich bestimmt samt der Stöcke in die Waagerechte gegangen. Aber ist ja nichts passiert. Ich war jedenfalls froh, als ich wieder in dem Bett lag. Morgen kommt er wieder und quält mich weiter. Ich darf auf keinen Fall auftreten, und dabei möchte ich so gerne duschen.«
Er nahm ihre Hand, und sie wollte sie schon wieder wegziehen. Aber sie merkte, dass er ihren Puls fühlen wollte, und sie ließ es geschehen. Angenehm war es nicht für sie, und vor lauter Unsicherheit redete sie weiter, dass alles nicht so einfach sei.
Peter lächelte. Sie war wohl froh, dass sie endlich jemanden zum Reden hatte. Eigentlich wollte er nach diesem stressigen Tag sofort nach Hause gehen, aber nun zog er doch einen Stuhl neben das Bett und fragte, ob sie denn heute schon zum Malen gekommen sei.
»Nein«, meinte Tina, »heute nicht. Ich male nicht, Dr. Weber, ich zeichne.
Ich habe heute so viel geschlafen. Ich danke Ihnen übrigens noch ganz herzlich für den wunderschönen Jogginganzug. So etwas Schönes hatte ich noch nie.«
Sanft streichelte sie über ihren Arm.
»Er ist ganz weich.«
Fast hätte sie gesagt: »Fühlen Sie mal.« Aber Gott sei Dank hatte sie es nicht ausgesprochen.
Peter war froh, dass er Frau Braune den Anzug geliehen hatte. Das komische rosa Nachthemd blitze im Ausschnitt des grünen Anzugs. Wenn das Martha sehen würde, dachte er.
Aber sie war ja nicht da. Peter schaute kummervoll zu Boden. Wenn er wüsste! Martha war direkt hinter ihm.
Tina sah seinen traurigen Blick.
»Bedauern Sie, dass Sie ihn mir gegeben haben?«, fragte sie ihn.
»Erinnert er Sie an Ihre Frau? Dann werde ich ihn nicht mehr tragen, so leid es mir auch täte. Ich hoffe, dass ich nicht an Ihre Gefühle kratze.«
Peter kniff die Lippen zusammen. Was nahm diese Person sich raus, so zu reden? Niemand hatte das Recht, über seine verstorbene Frau zu sprechen. Und eine Fremde schon gar nicht!
Tina sah seine blitzenden Augen und sagte schnell: »Nun sehen Sie aus wie letzte Woche auf dem Friedhof. Ich bin wehrlos hier. Bitte nicht ausflippen.«
Tina schob sich mit ihrem gesunden Fuß etwas aus seinem Umfeld.
Schlagartig wurde Peter bewusst, dass er nun wirklich auf dem besten Weg war, sich wieder mal nicht unter Kontrolle zu haben. Er starrte sie an und räusperte sich. Hatte ihn etwas am Kopf berührt? Er strich sich über das leicht ergraute Haar.
»Bitte entschuldigen Sie. Der Tod meiner Frau hat mich sehr mitgenommen, und ich rede nicht gerne darüber. Das mit dem Jogginganzug ist schon in Ordnung.
Es freut mich, dass er Ihnen so gut passt.
Eigentlich wollte ich heute Abend nach Hause fahren und Ihnen noch zwei Nachthemde bringen, wenn das für Sie in Ordnung ist. Aber ich war so müde, dass ich dieses auf morgen verschieben muss. Ich hoffe, Sie halten es so lange noch in diesem wunderschönen babyrosa aus?
Wenn meine Frau Sie so sehen würde! Martha war sehr modebewusst, und sie mochte rosa überhaupt nicht. Sie hat viele Sachen selbst genäht, und sie war sehr talentiert. Früher ist mir das Rattern der Nähmaschine auf den Nerv gegangen. Ich habe sie oft gebeten, es zu unterlassen, weil ich vieles für die Klinik zu Hause bearbeitet habe. Und nun fehlt es mir. Man macht manchmal viele Fehler, und im Nachhinein tut es einem dann sehr leid.
Die Sache, die mir mit Ihnen passiert ist, gehört auch dazu. Ich möchte mich noch mal in aller Form bei Ihnen entschuldigen. Sie glauben gar nicht, wie verzweifelt ich bin, wenn ich an die Situation auf dem Friedhof denke. Es hätte niemals passieren dürfen.«
Tina schaute den zusammengekauerten Mann an. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Einerseits war sie fürchterlich böse auf ihn, andererseits schien es ihm aufrichtig leid zu tun.
»Tja«, meinte sie, »es ist nun einmal passiert, und nun müssen wir halt das Beste daraus machen. Nun machen Sie schon ein anderes Gesicht. Sie sehen ja fürchterlich aus! Wir müssen die Sache annehmen, denn ändern können wir die Situation doch nicht. Also: Augen zu und durch. Alles hat seinen Sinn.«
Tina lächelte, obwohl sie eigentlich so losheulen könnte. Weshalb sie so redete, war ihr selbst ein Rätsel. Es war ihr, als würden ihr Worte in den Mund gelegt, die sie gar nicht sagen wollte.
Dr. Weber schaute sie erstaunt an, denn so hatte Martha auch geredet. Welche Parallelen es hier gab!
Er sah nun betreten zu Boden und sagte: »Wenn davon jemand erfährt, dann könnte es der Klinik immens schaden. Das ist eigentlich meine größte Sorge.«
»Das ist Ihre größte Sorge?« Empört stöhnte sie auf.
»Ihre größte Sorge sollte eigentlich sein, dass mein Fuß wieder gut wird und wie das arme Opfer allein in ihrer Wohnung zurecht kommen soll. Wie bekommt sie etwas in den Kühlschrank? Sechs Wochen gefangen! Daran sollten Sie mal denken.
Wie soll denn jemand was erfahren von all dem? Dr. Bergheim und Sie werden mit Sicherheit nichts preisgeben. Und ich werde es auch nicht tun.« Tina nahm unbewusst seine Hand.
»He, ich schwöre bei allem, dass es unser Geheimnis ist. Mensch, nun machen Sie endlich wieder ein anderes Gesicht.«
Peter bemerkte, dass Tina seine Hand hielt und zog sie abrupt zurück.
»Das ist sehr nett von Ihnen. Verdient habe ich es wahrlich nicht. Ich werde alles tun, damit Sie gut versorgt werden. Auch wenn Sie zu Hause sind, wird sich jemand kümmern, das verspreche ich. Wenn ich etwas tun kann, dann lassen Sie es mich bitte wissen.«
Eigentlich hätte Peter nun aufstehen und nach Hause fahren sollen. Aber er blieb sitzen und beide sagten nichts.
Warum gehe ich nicht?, dachte Peter. Was hält mich hier nur? Plötzlich fingen beide zur selben Zeit an zu reden und lachten zusammen los.
»Sie zuerst«, sagte Tina lachend.
»Ich wollte fragen, ob Sie denn noch etwas gebrauchen. Scheuen Sie sich bitte nicht, es mir zu sagen. Und was wollten Sie sagen?«
»Ach, es ist nicht wichtig. Ich bin hier gut versorgt, danke. Wenn Sie mir noch die Schlafanzüge bringen, dann lasse ich Sie in Ruhe, dann ist alles gut. Das heißt, Sie müssen ja noch etwas über den Holunder erfahren. Also, so einfach kommen Sie doch nicht hier weg.«
Nun lachten beide wieder. Sie hat Grübchen in den Wangen, bemerkte er.
»Ja, das muss ich wohl unbedingt. Meine Patienten werden irgendwann keine herkömmlichen Rezepte mehr von mir erhalten, sondern nur noch Teerezepte. Die beiden lachten wieder. Wie lange war es her, dass Peter so lachen konnte? Es war ein gutes Gefühl.
»Gute Nacht, Frau Braune, bis morgen. Wenn Sie Schmerzen haben sollten, dann melden Sie sich bitte bei der Nachtschwester. Und sollte Ihnen kalt sein, dann bringt man Ihnen eine warme Decke. Ich geh gleich mal im Schwesterzimmer vorbei und ordere eine, die schon vorgewärmt ist. Hier im Raum ist eine leichte Kühle.«
Er kontrollierte die Heizung, die sich aber warm anfühlte.
Er verließ das Zimmer Nr. 8, ging ins Schwesternzimmer, damit Tina die warme Decke erhielt und verließ dann das Klinikum. Es hatte etwas zu nieseln angefangen. Schnell lief Peter zu seinem Auto und schaute nach oben zu den beleuchteten Fenstern. Es war sehr nett, dass Frau Braune den Mund hielt. Wirklich