... denn alles ist Vorherbestimmt. Elisabeth Schmitz

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... denn alles ist Vorherbestimmt - Elisabeth Schmitz


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wieder zu ihrem Schreibtisch, wo schon wieder das Telefon klingelte. Immer der gleiche Satz: »Klinikum Roderstadt, Neurologie. Mein Name ist Beate Müller.«

      Wie oft hat sie diesen Satz heute schon sagen müssen. Und stets musste sie freundlich sein, denn die Personen, die anrufen, sind fast immer in großer Not.

      Sie wusste, dass Dr. Weber ohne sie nicht zurecht kommen würde. Aber es war gut, dass Bea solch eine Arbeit hatte, die ihr Spaß machte und wo sie gutes Geld verdiente. Ihr Mann war seit einem halben Jahr arbeitslos, und sie hatten zwei Kinder, die noch im Schulalter waren.

      So, und nun erst mal den Kaffee für den Chef ordern. Der scheint einen nötig zu haben, so wie der ausschaut, dachte sie.

      Dr. Weber ging zu den wartenden Leuten.

      »Meine Sekretärin meinte, Sie wollten zu mir? Was gibt es denn?« Pure Verzweiflung stand in den Gesichtern der jungen Leute.

      Die Frau gab ihm eine CD und sagte: »Bitte helfen Sie uns. Mein Mann muss operiert werden. Keiner will es machen. Er wird sterben.«

      Dr. Weber schaute auf die CD und meinte: »Ich will mir das Ganze gerne anschauen, aber Sie müssen sich einen Termin geben lassen und zu mir in die Sprechstunde kommen. Das ist der Weg.« Er wollte in sein Sprechzimmer gehen, aber die Frau hielt ihn am Arm fest.

      »Sie müssen uns helfen!«, schrie sie.

      Eine Schwester brachte ein Kännchen mit Kaffee, und Bea nahm ihn ihr ab. Sie ging an die aufgebrachten Leute vorbei in das Chefzimmer und stellte das Tablett ab.

      Sie sah, dass ihr Chef die Farbe wechselte. Gerade noch war er kreidebleich, und nun hatte sein Gesicht eine tiefrote Farbe. Oh weh, dachte sie, das geht nicht gut. Dr. Weber hatte die Hand schon erhoben, um die junge Frau von sich zu stoßen, aber blitzartig erinnerte er sich an die Situation auf dem Friedhof. Nie wieder würde er sich so vergessen wie heute Mittag. Kommen Sie schon rein«, sagte er barsch.

      Sofort gingen die beiden in das Zimmer. Dr. Weber schaute sich die Aufnahme an und sah besorgt auf den Monitor. Das war nicht gut.

      Er sagte: »Ihr Tumor sitzt an einer höchst ungünstigen Stelle. Wenn wir ihn entfernen, machen wir mehr kaputt als heile. Die Schmerzen werden wir Ihnen nehmen können. Aber entfernen werden wir ihn nicht. Vielleicht kann er verkapselt werden. Wir müssen sehen. Kommen Sie morgen in die Sprechstunde. Frau Müller soll Ihnen einen Termin geben. Rechnen Sie mit einer langen Wartezeit. Genaues kann ich erst dann sagen. Operieren werde ich sowieso nicht.« Wieder fasste die junge Frau Dr. Weber am Arm und schüttelte diesen heftig.

      »Sie müssen es tun!« Sie schaute auf seine Kaffeetasse und wollte schon sagen, dass er lieber den Patienten helfen solle, anstatt hier nur Kaffee zu trinken.

      Aber Dr. Weber zog seinen Arm zurück und sagte: »Wenn Sie mich noch einmal anfassen, dann können Sie sich einen anderen Arzt suchen! Ich führe die Behandlung durch, aber ich werde nicht operieren«.

      Gut, dass ich nichts gesagt habe von dem Kaffee, dachte Frau Meyzer. Erschrocken gingen die beiden zu Bea, die sich immer noch wunderte, dass ihr Chef die beiden in das Sprechzimmer mitgenommen hatte. Nun sollte sie denen einen Termin geben.

      Man kann nur hoffen, dass jemand absagt. Sonst wird es ein langer Tag, dachte sie. Aber wenn er es so will! Wenn dieser gute Arzt doch bloß wieder operieren würde! Alle im Klinikum warteten darauf. Er gab seinen Kollegen zwar alle nötigen Anweisungen, aber er betrat nicht mehr den OP-Raum.

      Als Peter Weber vom Schreibtisch aufstand, wurde es schon dunkel. Er knipste das Licht an und ging hinüber zu seinem Kollegen Andreas Bergheim.

      »Ich bin noch gar nicht dazu gekommen, dir zu danken wegen der Sache heute Mittag. Ist alles glatt gelaufen mit ihr?«

      »Ja, sie liegt auf der Privaten, Zimmer 8. Ich hoffe, dass die Schwellung am Montag weg ist. Dann werde ich sie operieren, und in einer Woche haben wir dann alles hinter uns. Du hast ganze Arbeit vollbracht, mein Freund. Totale Trümmerfraktur! Die Syndesmose ist gerissen.« Er grinste über das ganze Gesicht.

      »Hör mit dem Grinsen auf. Die Sache ist schlimm genug. Ich habe überreagiert,« sagte Peter. Dr. Bergheim grinste wieder. »Überreagiert? Du hast einen Wutanfall bekommen, weil jemand in das Areal deiner verstorbenen Frau getreten ist.« Peter schmiss seinem Freund einen hasserfüllten Blick zu. Andy war der Einzige, der so etwas zu ihm sagen durfte. Aber zu weit gehen sollte auch er nicht.

      Auf dem Weg zurück in sein Büro überlegte Peter, dass er vielleicht mal bei seinem Opfer vorbeischauen könne.

      Er ging zur Privatstation hinüber und blieb vor Zimmer 8 stehen. Sicherlich würde sie wieder ein Donnerwetter loslassen, und das auch noch mit Recht.

      Er hatte sich total schofel verhalten, und das hätte jemandem in seiner Position niemals passieren dürfen. Aber nun ist es passiert.

      Er klopfte leise an die Tür und trat ein. Er sah, dass sie schlief und trat vorsichtig an ihr Bett. Ihr Fuß war hoch gelagert. Sie trug nur ein T-Shirt. Sicherlich hatte man ihr noch keine Nachtwäsche gebracht. Morgen würde er ihr einen Blumenstrauß kaufen. Ja, das war eine gute Idee, um es wieder gut zu machen. Er legte noch am selben Abend einen Zettel auf Beas Schreibtisch, worauf er geschrieben hatte: Bitte besorgen Sie einen Blumenstrauß und lassen Sie ihn zur Privatstation Zimmer 8 liefern mit einem Vermerk: »Bitte entschuldigen Sie. W.« Er hatte den Satz leise vor sich hingesprochen, und nun fühlte er sich viel besser.

      Als Bea am nächsten Morgen den Zettel sah, schaute sie ihn ratlos an. Was hat Dr. Weber bloß gemacht? Die weibliche Neugier war groß. Sie würde es schon noch raus bekommen und schaute in den Computer, wer auf Zimmer 8 lag. Bettina Braune. Fibulafraktur. Hm...

      Ob er sie mit dem Auto angefahren hatte?, überlegte Bea und rief ihre nette Kollegin Irene von der Privaten an, mit der sie lange Zeit zusammen gearbeitet hatte. Sie fragte nach einigen freundlichen Sätzen, wie denn der Unfall bei Frau Braune passiert sei, und ob da ein Fremdverschulden vorlag. Irene schaute nach und verneinte. Sie sei lediglich umgeknickt. Was das wohl bedeutete?

      Aber im Moment hatte sie nicht die Zeit zum Nachdenken. Sie rief bei Fa. Kisten an und bestellte zwei Rispen Orchideen. Das war immer passend.

      Die Sonne blitzte durch einen Spalt im Vorhang. Tina blinzelte und wusste zunächst nicht, wo sie war. Als sie ihren Fuß nicht bewegen konnte, fiel es ihr schlagartig wieder ein. Sie war im Klinikum Roderstadt.

      Sie angelte nach einem Schalter, um Licht zu machen und erreichte die Fernbedienung. Sie drückte irgendwo drauf und hui – die Vorhänge öffneten sich. Nun testete sie auch die anderen Tasten. Das Licht im Vorraum ging an, das Licht ging wieder aus, das Licht im Zimmer ging an, die Jalousien öffneten und schlossen sich, der Fernseher ging an, das Bett fuhr rauf und runter und bei dem roten Knopf kam eine Schwester.

      Sie stellte sich vor und schüttelte Tinas Kissen auf. Sie fragte Tina, ob sie nun gewaschen werden möchte. Es wäre noch früh, und sie sei dann zum Frühstück fertig. Das käme um 8 Uhr. Ja, duschen wäre nun gut und Zähne putzen. Sie sagte es der Schwester, aber diese schüttelte ihren Kopf.

      »Duschen geht erst mal nicht, aber wir putzen Sie blitzblank.« Nun fiel Tina ein, dass sie keine Wäsche und Waschzeug hatte. Nichts hatte sie hier, und als sie es der Schwester sagte, meinte diese, dass Tina erst mal Wäsche vom Klinikum erhalten würde. Das war ihr ganz schön peinlich. Die Schwester sagte, sie würde gleich zurückkommen und sie fertig machen.

      »Wir kriegen das hin«, sagte sie und verließ das Zimmer.

      Vor der Tür stieß sie fast mit Dr. Bergheim zusammen, der gerade erst das Krankenhaus betreten hatte.

      »Guten Morgen«, sagte er fröhlich, »gibt es was Neues auf Zimmer 8?«

      »Ja«, meinte die Schwester, »Frau Braune hat nichts zum Anziehen. Ich hole ihr erst mal hauseigene Wäsche.« Dr. Bergheim nickte und klopfte an die Zimmertür.

      »Guten Morgen, Prinzessin«, meinte er verschmitzt. Tina lachte.

      »Prinzessin ist gut. Muffeline wäre richtiger. Ich habe nichts zum Anziehen und Waschen.«


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