Die Unwerten. Volker Dützer

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Die Unwerten - Volker Dützer


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Mann, den Malisha Mister Smith nannte, rieb sich die Hände. »Gut, fangen wir an. Meine Arbeit wird einige Zeit in Anspruch nehmen.«

      »Ich will zusehen«, bat Hannah.

      »Habe nichts dagegen«, entgegnete Smith. »Wenn du geschickte Hände hast, kannst du mir helfen.«

      »Was soll ich tun?«

      »Mir Kaffee besorgen. Am besten eine ganze Kanne.«

      Die Schwester Oberin entfernte sich mit Malisha. Hannah lief in die Küche und kochte Kaffee. Kurz darauf verfolgte sie neugierig, wie Mister Smith den kleinen Koffer öffnete und merkwürdige Utensilien auf den Tisch legte, darunter ein Federmesser, eine Art Schusterahle, feine Pinsel und eine Pinzette. Das Wichtigste präsentierte er zum Schluss: ein Dutzend amerikanische Pässe.

      »Wozu brauchen Sie die elektrische Heizplatte?«, fragte Hannah.

      »Alles der Reihe nach.«

      »Woher stammen diese Ausweise?«

      »Sagen wir, ich habe sie gefunden.«

      »Gefunden? Wo denn?«, löcherte sie ihn.

      Mister Smith grinste. Es ließ seinen Schnurrbart noch breiter erscheinen. »Du bist ja ganz schön neugierig. Auf einem Dachboden. Mehr brauchst du nicht zu wissen.

      Er blätterte die Pässe durch. »Ah, dieser passt am besten. Je weniger ich verändern muss, desto leichter wird die Angelegenheit.«

      Hannah beugte sich vor. Der Pass war am 08.01.1933 ausgestellt worden und am 07.01.1938 abgelaufen. Er enthielt das Bild einer jungen Frau, die ihr entfernt ähnelte. Sie hatte das gleiche dunkle Haar und war den Angaben zufolge genauso groß. Ihr Name lautete Susan Smith.

      »Smith ist einer der häufigsten Namen in Amerika«, erklärte er, »ich habe gleich vier Pässe mit diesem Namen herausgesucht. Dieser hier passt am besten.«

      »Dann heiße ich jetzt Susan Smith?«

      »Ja. Der Name muss dir in Fleisch und Blut übergehen. Du bist Susan und hast niemals anders geheißen. Ist das klar?«

      Hannah nickte stumm. Fasziniert beobachtete sie, wie er die konische Ahle durch die Öse des Passbilds steckte. Vorsichtig bog er mit dem Federmesser die Dornen auf. Dann legte er ein Stück Pappe auf die Heizplatte, und darauf den Ausweis.

      »Er muss gut durchwärmen. Das Papier wird weicher und nimmt die Tinte besser auf. Ich werde einige Einträge ändern müssen.«

      Er sprach von seiner Arbeit wie ein Koch, der ein Rezept erklärt, rauchte eine Zigarette und trank tassenweise Kaffee.

      »Wenn wir in eine Kontrolle geraten, denk daran, dass ich dein Vater bin«, schärfte er ihr ein, »und deine Mutter ist meine Ehefrau. Wir sind eine Familie, hast du das verstanden?«

      Hannah nickte. Smith zählte weitere Einzelheiten auf. Sie lebten in Pittsburgh im Osten der USA und wurden nun nach London versetzt. John Smith war amerikanischer Diplomat mit deutschen Wurzeln.

      »Ich nehme an, du sprichst kein Englisch?«

      »Ein bisschen. Meine Mutter kann es besser.«

      »Gut. Du wirst eine Halsentzündung haben – gefährliche, ansteckende Sache. Du darfst nicht sprechen, kannst nur krächzen. Du bringst kein Wort heraus, bis wir in England sind.«

      Smith nahm den Pass von der Heizplatte und begann, mit der Pinzette vorsichtig das Bild abzulösen. Nach und nach trug er mit einem Pinsel eine ätzend riechende Flüssigkeit auf die Rückseite des Fotos, bis er es entfernt hatte.

      Smith hatte Pässe ausgesucht, in denen nicht nur die körperlichen Merkmale möglichst mit denen von Hannah und ihrer Mutter übereinstimmten, sondern auch das Alter. Sie prägte sich ihr neues Geburtsdatum ein. Dem Pass zufolge war sie schon sechzehn.

      Malisha hieß Marlene Smith, ihr Geburtsname musste noch ergänzt werden. Smith wählte den Namen Jones – wie Smith einer der häufigsten Namen in den Vereinigten Staaten und dadurch am schwierigsten zu überprüfen.

      Smith schnitt die neuen Passfotos zurecht, etwas größer als das Originalbild. Er legte hauchdünnes Seidenpapier über das alte Foto und zog mit einem Achatstift die Konturen des Stempels nach, die er dann mittels Stift und Kohlepapier in der passenden Farbe auf Hannahs Bild übertrug. Schließlich fixierte er die Fälschung mit Malerfixativ. Danach brauchte er nur noch das gelochte Bild im Pass zu befestigen. Er bördelte die Metallzähne um die Öse zurück und betrachtete seine Arbeit. Die Konturen des Stempels deckten sich genau mit denen des Passes. Er nickte zufrieden und machte sich an den Pass für Malisha.

      »Pässe fälschen erfordert eine ruhige Hand und viel Geduld«, erklärte er, »einen Stempel nachmachen ist dagegen ein Kinderspiel.«

      »Wie macht man das?«, fragte Hannah.

      Smith lachte. »Da die Deutschen so viele Kartoffeln essen, ist es in diesem schönen Land besonders einfach. Man nimmt eine heiße Kartoffel, die in der Mitte noch recht fest ist, schneide sie in zwei Hälften und drücke sie auf das Dokument, auf dem sich der Stempelabdruck befindet. Dann wartet man eine Viertelstunde und schon hat man einen seitenverkehrten Abdruck. Nun muss man nur die Kartoffel wieder erwärmen und die aufgesaugte Farbe wird wieder feucht. Man drückt die Kartoffel auf das gewünschte Papier, das war’s.«

      Hannah prägte sich jeden Arbeitsschritt ein. Wer konnte schon wissen, ob sie nicht irgendwann selbst einen Pass oder vielleicht einen Meldebogen würde fälschen müssen?

      Am frühen Abend klappte Smith den zweiten Ausweis zu und reichte ihn Malisha.

      »Macht dreihundert Reichsmark. Dafür bringe ich Sie bis nach Calais und von dort mit der Fähre nach England.«

      »Das ist mehr als ich Ihnen geben kann.«

      »Geben Sie mir hundert«, sagte er grinsend. »Joschi hat den Rest bereits bezahlt.«

      Malisha fuhr zu dem Riesen herum. »Das kann ich nicht annehmen. Ich …«

      Joschis vernarbtes Gesicht verfinsterte sich. Er machte eine abwehrende Geste.

      Smith rieb sich die Hände. »Gut, das hätten wir geklärt. Zur Erinnerung: Wir befinden uns auf der Reise nach London und genießen diplomatische Immunität. Reden Sie möglichst wenig, wenn Sie gefragt werden. Und vermeiden Sie es unter allen Umständen, deutsch zu sprechen.«

      Im Hof des Klosters parkte eine schwarze Limousine mit der Aufschrift Packard. Auf den Kotflügeln waren kleine amerikanische Flaggen befestigt. Hannah verabschiedete sich von Joschi, der sie heftig an sich drückte. Die Mutter Oberin wünschte ihnen viel Glück.

      Der Wagen rollte vom Hof und tauchte in die Dämmerung ein. Smith saß am Steuer, Malisha auf dem Beifahrersitz und Hannah auf der breiten Rückbank.

      »Der deutsche Angriff auf Luxemburg und Belgien verkompliziert die Lage«, erklärte Smith. »Wir fahren die Mosel stromaufwärts nach Trier. Dann halten wir uns südwestwärts und überqueren die Grenze. Wenn wir nicht aufgehalten werden, nehmen wir ab Metz den Zug über Reims nach Calais.«

      »Aber Frankreich hat Deutschland schon im vergangenen Jahr den Krieg erklärt«, sagte Malisha. »Ich habe von Truppenbewegungen entlang der Grenze gehört.«

      »Noch ist in Frankreich alles ruhig. Aber mit dem heutigen Angriff auf die Niederlande und Belgien wird sich das ändern. Die Franzosen können ihren Drôle de guerre – den seltsamen Krieg – so nicht weiterführen. Wir müssen uns beeilen, bevor die Fahrt nach Calais unmöglich wird.

      »Die Grenzübergänge werden doch sicher bewacht.«

      »Natürlich. Aber Sie vergessen, wir genießen diplomatische Immunität. Schließlich arbeite ich im Konsulat der Vereinigten Staaten in Frankfurt und werde im Auftrag meiner Regierung nach London beordert.«

      »Sie werden uns kontrollieren. Man wird feststellen, dass es dort keinen Mister Smith gibt«, warnte Malisha.

      »Machen Sie


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