Menschen und U-Boote. Manuel Schiffler
Читать онлайн книгу.Deutsche Handels-U-Boote
Deutschland nutzte U-Boote auch, um trotz der britischen Seeblockade Handel zu treiben. Einige Betriebe in den USA waren dringend auf die Zulieferung spezieller chemischer und pharmazeutischer Produkte aus Deutschland angewiesen, die in den USA damals noch nicht hergestellt werden konnten. Umgekehrt benötigten deutsche Unternehmen Rohstoffe wie Kautschuk oder Zink. Deswegen kam ein Hamburger Reeder auf die Idee, ein Handels U-Boot zu bauen. 1916 wurde die „Deutschland“, das erste von zwei Handels U-Booten, in Dienst gestellt. Ihr gelangen zwei Fahrten in die USA mit einer Fracht von jeweils 1.000 Tonnen. Dabei fuhr sie unter der britischen Blockade zwischen Schottland und Norwegen hindurch, auf dem Atlantik dann über Wasser mit dem schnelleren Dieselantrieb. Die Fahrten hatten vor allem eine politische Botschaft: Den neutralen USA, in denen nach der Versenkung der „Lusitania“ die Stimmung deutschlandfeindlicher geworden war, sollte damit der gute Willen Deutschlands demonstriert werden. Als die „Deutschland“ am 9. Juli 1916 in Baltimore ankam, verlangten die Regierungen Großbritanniens und Frankreichs, dass sie beschlagnahmt werden müsse. Die US-Regierung schloss sich jedoch der deutschen Auffassung an, dass es sich bei der „Deutschland“ um ein Handelsschiff handele, und ließen sie wieder auslaufen. Bereits auf seiner ersten Fahrt machte die „Deutschland“ einen Gewinn in der vierfachen Höhe ihrer Produktionskosten.
Streit um den uneingeschränkten U-Boot-Krieg 1916: Tirpitz wird entlassen
Admiral von Tirpitz, Staatssekretär im Reichsmarineamt, der U-Boote zehn Jahre zuvor als „lahme Enten“ und „blinde Maulwürfe“ bezeichnet hatte, plädierte Ende 1915 dafür, den uneingeschränkten U-Boot-Krieg wiederaufzunehmen. Frankreich, dessen Kohleminen größtenteils in deutsche Hände gefallen waren, wäre zudem von britischen Kohlelieferungen abgeschnitten worden, so dass seine Eisenbahnen und seine Industrie nicht mehr funktionsfähig gewesen wären. Er wollte außerdem Großbritannien, das auf Nahrungsmittel und Rohstoffe aus Übersee angewiesen war, in die Knie zwingen. Nationalkonservative Politiker und Tirpitz glaubten, dass Großbritannien in seiner Not zu einem Separatfrieden bereit gewesen wäre. Die deutschen Landstreitkräfte würden dann in Frankreich, so der Gedankengang, auf weniger Widerstand stoßen. Außerdem hielt Tirpitz eine Marine, deren Matrosen sich während eines Kriegs untätig im Hafen befanden, für einen potenziellen Unruheherd.
Admiral Alfred von Tirpitz, bis 1916 Staatssekretär im Reichsmarineamt
Allerdings musste Tirpitz zuvor die Regierung und den Reichstag überzeugen. Besonders intensiv befasste sich der Abgeordnete Matthias Erzberger von der katholischen Zentrumspartei mit der Frage des Für und Wider des uneingeschränkten U-Boot-Kriegs. Der Zentrumspartei kam eine wichtige Rolle im Reichstag zu, weil sie damals das Zünglein an der Waage zwischen den fortschrittlichen und konservativen Parteien war. Um sich ein genaues Bild zu machen, suchte Erzberger das Gespräch mit Tirpitz und seinem Admiralstab. Tirpitz behauptete, England wäre sechs Wochen nach Aufnahme des uneingeschränkten U-Boot-Kriegs friedensbereit. Sein Admiralstabschef Holtzendorff hingegen sprach von sechs Monaten. Durch diese Widersprüche irritiert schlug Erzberger vor, dass die U-Boote zunächst nur für die Blockade des Ärmelkanals genutzt werden sollten, um die Franzosen von ihrem Kohlenachschub abzuschneiden. Dabei wären keine neutralen Schiffe in Mitleidenschaft gezogen worden. Die Marineführung behauptete, dass dieser Plan nicht zu verwirklichen sei. Erzberger wurde dadurch noch skeptischer: Wie sollten die U-Boote ganz England blockieren können, wenn sie noch nicht einmal in der Lage sein sollten, den Ärmelkanal zu blockieren?36
Der Reichstagsabgeordnete Matthias Erzberger, ein kenntnisreicher Kritiker des U-Boot-Kriegs
Ein anderer Skeptiker dachte weniger militärisch, sondern politisch. Reichskanzler Bethmann Hollweg rechnete im Fall der Wiederaufnahme des uneingeschränkten U-Boot-Kriegs mit einem Kriegseintritt der USA. Am 19. Februar 1916 sagte der Reichskanzler in einer Denkschrift, dies sei ein „Verbrechen“ und es dürfe kein „eiserner Vorhang“ um Großbritannien gelegt werden.
Tirpitz scherte sich jedoch wenig darum, was der Reichskanzler und Erzberger sagte, was tief blicken lässt, was das Kräfteverhältnis zwischen Militärs und Politikern während des Ersten Weltkriegs angeht. Am 29. Februar 1916 gab Tirpitz den Befehl, den uneingeschränkten U-Boot-Krieg wiederaufnehmen.
Reichskanzler Bethmann Hollweg lehnte den uneingeschränkten U-Boot-Krieg ab
Allerdings hatte er es offenbar „versäumt“, den Kaiser vorher umfassend zu unterrichten. Bethmann Hollweg intervenierte daraufhin beim Kaiser. Gleichzeitig gab es massive Kritik aus dem Reichstag. Matthias Erzberger gelang es, seine in dieser Frage gespaltene Fraktion gegen den U-Boot-Krieg einzuschwören. Nicht nur sei dieser völkerrechtswidrig. Das Kaiserreich habe auch, so rechnete der Abgeordnete im Reichstag vor, zu wenige U-Boote, um eine Blockade wirksam durchsetzen zu können. Gleichzeitig konnten jedoch zahlreiche britische Handelsschiffe versenkt werden, was die Argumentation von Tirpitz zunächst stützte. Der Kaiser nahm den Befehl dennoch zurück, weil Tirpitz ihn übergangen hatte. Tirpitz musste am 12. März sein Rücktrittsgesuch einreichen. Der zweite uneingeschränkte U-Boot-Krieg wurde nach weniger als drei Wochen wieder eingestellt.
Zweite deutsche Blockade der britischen Inseln 1917-18
Im August 1916 veränderte sich das Kräfteverhältnis zwischen Militär und Politikern im Kaiserreich, als mit Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff zwei „Hardliner“ an die Spitze der Streitkräfte gelangten und gemeinsam die Oberste Heeresleitung bildeten. Hindenburg, der eine Schlacht gegen die russische Armee gewonnen hatte und sich als Held stilisieren ließ, war tatsächlich nicht viel mehr als eine Fassade. Tatsächlich fügte er sich dem ihm formal als Vertreter zugeordneten, rhetorisch begabten Ludendorff, der in den nächsten beiden Jahren zum mächtigsten Mann im Kaiserreich wurde, ohne formal an der Spitze des Staats oder der Regierung zu stehen. Der Kaiser bezeichnete Ludendorff als einen „zweifelhaften, vom Ehrgeiz zerfressenen Charakter“, stellte sich ihm jedoch nicht in den Weg.37 Beide Männer begannen darauf hinzuarbeiten, dass der uneingeschränkte U-Boot-Krieg wieder aufgenommen werden sollte. Im Oktober gelang es ihnen, dass die Zentrumsfraktion im Reichstag gegen den Willen von Matthias Erzberger auf den Kurs der Obersten Heeresleitung umschwenkte und den U-Boot-Krieg wieder unterstützte.
Die Nationalkonservativen und ihre Verbündeten glaubten, dass Großbritannien aus dem Krieg ausscheiden würde, noch bevor sich ein erwarteter Kriegseintritt der USA entscheidend auf den Kriegsverlauf hätte auswirken können.38 Zudem würden die U-Boote es den Amerikanern erschweren, Truppen nach Europa zu bringen. Bevor sich die Hardliner durchsetzen konnten, ergriff Bethmann Hollweg jedoch noch einmal die Initiative, wobei er aufs Ganze ging. Im Reichstag machte er am 12. Dezember 1916 Deutschlands Kriegsgegnern ein Friedensangebot, bei dem es keine Sieger und Besiegte geben sollte. Aufgrund des Drucks der Obersten Heeresleitung blieb das Angebot jedoch vage und machte die Bedingungen für den Frieden nicht explizit. Den Kriegsgegnern war das ursprünglich geheime „Septemberprogramm“ der Reichsregierung aus dem Jahr 1914 bekannt, in dem die Annexion Luxemburgs sowie von Teilen Frankreichs und Belgiens vorgesehen war. Außerdem sollte Belgien zu einem Vasallenstaat gemacht und Frankreich „in wirtschaftliche Abhängigkeit gebracht werden“. Die Oberste Heeresleitung dachte gar nicht daran, sich aus den besetzten Gebieten in Belgien, Luxemburg und Frankreich vollständig zurückzuziehen. Unter diesen Umständen war es nicht überraschend, dass die Kriegsgegner das Friedensangebot am 30. Dezember ablehnten. Es diente jetzt lediglich dazu, den Krieg zu eskalieren, während die Verantwortung dafür den Briten, Franzosen, Italienern und Russen gegeben werden konnte.
Zudem hatte die kaiserliche Marine Anfang 1917 weit mehr Möglichkeiten, eine Blockade der britischen Inseln durchzusetzen, als es noch 1915 oder Anfang 1916 der Fall gewesen war. Die Zahl der deutschen U-Boote war von nur 19 zu Beginn des Kriegs auf 110 im Mai 1917 angestiegen. 120 weitere Boote waren zudem im Bau. Die Boote waren moderner und mit Dieselmotoren anstatt