Fünf Minuten vor Mitternacht. Celina Weithaas

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Fünf Minuten vor Mitternacht - Celina Weithaas


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Sie es nicht, mich anzurühren.” Der Puls rast. „Ich habe den besten Anwalt, den Sie sich ausmalen können, und er wird mit Sicherheit nicht zulassen, dass die Richter Gnade vor Recht ergehen lassen.“

      Der Mann, der mich zuerst entdeckte, gesellt sich zu dem Zweiten und berührt mit seinen kurzen Fingern den teuren Stoff meines Mantels. Wie die Geier. Wütend reiße ich mich von ihm los. Kämpfe gegen die Angst an, die mich zu überwältigen droht. Ich darf nicht einknicken. Die Konsequenzen wären markerschütternd. Diese Männer kennen weder Anstand noch Respekt. Lasse ich zu, dass Furcht mich überrollt, werden sie weit Schlimmeres tun, als mein Gesicht zu berühren. Warum nur bin ich nicht neben Achim in meinem Bett geblieben? Ich könnte gerade jetzt das Gesicht an seiner Halsbeuge vergraben. Stattdessen… Ja, was? Öde Nacht. Fremde Sprachen. Beißende Gerüche. Wüsste ich es nicht besser, ich würde behaupten, ich bin durch Zeit und Raum gereist. Ich zwinge mich, davon abzusehen, jeglichem Übernatürlichen Glauben zu schenken. Die daraus resultierende Wahrheit ist weit erschütternder als der dümmliche Gedanke, mich von jetzt auf gleich an einem anderen Ort zu befinden: Bei meinem großen Fest ist es jemandem gelungen, Rauschmittel unter den Champagner zu mischen. Mir bleibt nur zu hoffen, dass möglichst wenige der Anwesenden meine wirren Beschwerden durchleben müssen. Unter anderen Umständen wird es unmöglich den befürchteten Skandal zu umgehen. Die reißerischen Schlagzeilen und unangenehmen Interviews. Unsanft schlingt der Erste die Arme um meine Hüfte und hebt mich hoch. Ein erschrockener Schrei entfährt mir, ehe ich nach ihm schlage. Er wagt es mich zu heben! Nicht einmal Achim ist das erlaubt. „Lassen Sie mich auf der Stelle runter. Ich verlange, Einblick in Ihre Personalien zu erhalten!“

      Der Abschaum lacht dunkel, sagt kein Wort. Langsam kann ich die Angst, die sich durch meinen Körper windet, nicht mehr ignorieren. Mit Eisfingern greift sie in mein Herz und erschwert mir das Atmen. Sie schleifen mich in Richtung der schreienden Frauen. Was tun die Männer ihnen an? Ich bete dafür, dass ich es nie erfahren muss. Ich hoffe auf ein Wunder. Den vorfahrenden Jeep meiner Security. Achim, der hinter mir die Straße entlangeilt. Von mir aus auch auf eine Bande, die ihren Mut beweisen will. Nichts. Mir bleibt nur eine jämmerliche Hoffnung, dass die Männer von mir ablassen und sich all das hier als geschmackloser Scherz entpuppt.

      Durch die zähen Lichtverhältnisse, glaube ich Kleidung auf dem schmutzigen, besudelten Boden liegen zu sehen. Ich lasse den Blick über die Spur wandern. Ich atme ein, aber nicht wieder aus. Entsetzen schnürt mir die Kehle zu. Das ist unmöglich. Vor mir entsteht ein skurriles Bild. Frauen wurden gewaltsam an Holzscheite gebunden, die viel zu nah bei einander stehen. Stroh steckt zwischen den Stümpfen, an die man sie gekettet hat. Die Szene ist absurd. Wie aus einer anderen Zeit. Kein Rauschmittel der Welt sollte es entstehen lassen können. Nichts habe ich je gesehen, was hiermit vergleichbar wäre. Niemals könnte ich mir diese Schreie, dieses Flehen, dieses Leid ausmalen. „Brenn, brenn, brenn!“, skandiert die Meute, restlos betrunken, die vollen Krüge in die Luft stemmend. Einer der Männer versucht, mir den Mantel von den Schultern zu reißen. Ich trete nach ihm. „Wenn Sie es wagen, mich noch einmal anzufassen, werden Sie nie wieder das Tageslicht erblicken“, fauche ich. Der Kriminelle wirkt nicht ansatzweise beeindruckt. Stattdessen schlägt er mir mitten ins Gesicht. Stechender Schmerz schießt durch meinen Körper. Fassungslos und restlos empört schnappe ich nach Luft, während mein teurer Mantel sich zu den Lumpen auf dem Boden gesellt. Die Frauen auf dem Holz tragen nicht mehr als ein Unterkleid oder Unterwäsche. Manche von ihnen sind völlig nackt; über ihre Haut ziehen sich dunkle Striemen. Im schwachen Licht des Hauses kann ich gerötete Augen erkennen und aufgebrochene, verletzte Haut, ausgerissenes Haar und dunkle Flecken um ihre Hälse. Blut klebt wie Regen an dem Holz. Ich schüttle ruckartig den Kopf. Das kann nicht der Realität entsprechen. Das darf es nicht! „Brennt!“, grölt jemand, eindeutig auf Deutsch.

      Mir wird das Kleid vom Körper gerissen. Ich kreische auf, als der Stoff laut ratschend vor meinen Füßen zu Boden sinkt. Wieder trete ich nach den Männern, versuche mit dem Absatz ihre Haut oder ihre Weichteile zu treffen. Der Widerling mit den kurzen Fingern fängt mein Bein auf und wirft mich wie Vieh über seine Schulter. Sein Knochen bohrt sich gegen meine Rippen. Das Herz dröhnt mir in den Ohren. Er presst seine nach Fäkalien stinkenden Finger auf mein Gesicht. Wurde ihnen das erste Fingerglied abgetrennt? Mir dreht sich der Magen um und der feine Alkohol, versetzt mit unbekannten Drogen, steigt mir brennend in die Nase. Nie habe ich mich übergeben. Nicht, dass ich mich erinnern könnte. Es ist ein ekelerregendes Gefühl, wie kratzende Säure sich den Weg hinauf durch die Speiseröhre kämpft, bitter schmeckend in der Mundhöhle verteilt und von da aus nach außen drängt.

      Der Mann schreit angewidert auf, als ich mich erbreche. Er stößt mich auf einen der Baumstümpfe und bindet meine Handgelenke fest, unflätig fluchend. Mein Erbrochenes tropft ihm die Nase hinunter. Achtlos wischt er sich mit dem Handrücken über das Gesicht. Seil schneidet in meine weiche Haut. Ich trete erneut nach ihm. Die scharfen Absätze schrammen Millimeter an ihm vorbei. Er hat lediglich ein abfälliges Lachen für mich übrig. „Sie hören von meinem Anwalt!“, rufe ich ihm zu. Ich klammere mich an den letzten Rest Vernunft, während das Scheusal sich von mir entfernt. Verzweifelt versuche ich mich loszumachen, aber jede Bewegung treibt das raue Material tiefer in meine Haut. Es ist die Hölle. Eine Hölle, die sich anfühlt wie grausame, unerklärliche Realität. Fast als säße ich tatsächlich nur mit Dessous bekleidet auf einem Baumstumpf, mitten in der Nacht im Nirgendwo, umgeben von Stroh und wimmernden und flehenden Frauen.

      „Ich verlange, augenblicklich den Initiator zu sprechen!“ Keine Reaktion. Ein lautes Zischen lässt mir das Blut in den Adern gefrieren. Feuer? Was wollen sie mit Feuer? Das Stroh um mich herum ist trocken und hochentzündlich, genauso der Baumstumpf, auf dem ich sitze und die verteilten Äste. Langsam wird mir die Bedeutung dessen, was hier geschieht, bewusst. „Brenn, brenn, brenn!“ Eine Unmöglichkeit. Ich schüttle den Kopf. Eine Unmöglichkeit! Feuer leckt über die gegenüberliegende Seite des Scheiterhaufens. Berührt den Fuß einer Frau. Sie kreischt auf, gellend genug, dass ich es mir nicht eingebildet haben kann. Unter ihren Schreien verstummt die Turmuhr. Mit dem regelmäßigen Gong verschwindet meine Rationalität. Verzweifelt strample ich und schlage um mich. Das raue Holz reißt mir die Oberschenkel auf und Stroh sticht in meine Arme. Der Henker geht herum, zündet den Kreis aus Heu und Holz, Stroh und Seil an, bis er lichterloh brennt. Frauen schreien, der Gestank von verbranntem Fleisch erfüllt die Nacht und lässt mich würgen. Das ist alles nicht real, nur eine schlechte, boshafte Illusion, jemandem geschuldet, der mir Übles will. Wer war es, der die Drogen in den Champagner mischte? Der junge Italiener? Während er mit mir sprach? Das hier ist nicht wirklich. Es darf nicht wirklich sein. Ich wiederhole diese wankende Überzeugung wieder und wieder wie ein Mantra, selbst als die Hitze um mich herum unerträglich wird und der Mann vor mir in die Knie geht, um das Stroh zu meinen Füßen zu entzünden. „Brenn, Hex“, flüstert er, kaum verständlich über das Knistern und Schreien, Brechen und Betteln hinweg. Das Stroh fängt auf der Stelle Feuer, brennt rot und orange, begierig darauf, sich zu nähren und zu mehren. Das kann nicht real sein. Es streckt die glühenden Finger in meine Richtung aus, beißt in meine Haut, will sie mir vom Körper reißen. Ein grausiges Stechen fährt durch mein Bein, gräbt sich von dort durch das Rückenmark und lässt mich unkontrolliert aufschreien. Ich strample rückwärts, versuche das Stroh zu löschen, während die Flammen von allen Seiten kommen. Ein Blick zur Seite lässt mich verstummen. Entsetzen, kalt und lähmend, nimmt mir für einige Wimpernschläge die Sicht. Wie flüssiges Wachs tropft der Frau neben mir die Haut vom Körper, den Mund hat sie zu einem endlosen Brüllen aufgerissen, während das Haar wie Zunder brennt. Ein Feuergeschöpf, der Grausamkeit gerade leidend genug. Ich kann nicht mehr atmen. Der Rauch erstickt mich gemeinsam mit diesem Anblick. Meine Augen tränen, während ein weiterer glühender Finger sich in meine Haut bohrt. Ich wimmre auf, ziehe die Knie an die Brust. Das hier ist alles nicht wirklich, nur ein böser Traum. Ich liege in meinem Bett, neben Achim. Er hat die Arme um mich geschlungen und das Gesicht im Schlaf an meinem Nacken vergraben.

      Einen Meter von mir entfernt verbrennt keine Frau und ich ersticke nicht an dem Qualm eines mittelalterlichen Feuers. Das hier ist nicht real. Meine Sicht verschwimmt. Der nächste Stich. Dieses Mal kommt er von hinten, leckt meinen Rücken hinauf. Das hier ist nicht wirklich. Vor mir wird empörtes Gebrüll laut. Durch die flackernden Flammen, die mich einschließen und fantasieren lassen, drängt


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