Fünf Minuten vor Mitternacht. Celina Weithaas
Читать онлайн книгу.Der harte Aufprall entlockt mir ein Wimmern. Das Brennen eines ungekannten Schmerzes zieht sich über meinen Rücken und mein Fußgelenk. Ich rieche Qualm, stickigen, grausamen Qualm, versetzt mit dem Geruch von schreiendem, flehendem Fleisch, das in Flammen aufgeht. Der beißende Gestank hat sich in meinen Kopf gefressen und verharrt dort, die Finger unnachgiebig in meine Erinnerungen gegraben.
„Himmel, Chrona!“ Achim? Ich reiße die Augen auf und suche verzweifelt sein Gesicht, brauche diese Nähe und Sicherheit, die er mir gibt mehr denn je. Diese Gewissheit, dass das alles nur ein böser Traum war, ich nie aus dem Bett geklettert bin und mir nie fremde Männer die Kleidung vom Leib gerissen haben. Dass man mich nie an einen Baumstumpf kettete und anzündete. Neben mir, um mich herum, sind nie Frauen verbrannt, die nichts getan haben. Die nur dort saßen und denen die Haut vom Körper floss wie Wachs. Das fassungslose Japsen des ungepflegten Mannes. Eyne Hex. Die deutsche Sprache, so entstellt, dass ich sie ansatzweise verstanden habe. Allerdings lediglich der vielen Stunden mit einem guten Lehrer wegen. Nur ein Traum? Nur Einbildung? Nie habe ich mir etwas mehr gewünscht.
Achim klettert aus dem Bett und hockt sich neben mich. Seine Hände fahren meine nackten Arme rauf und runter, bringen wieder Wärme in meinen Körper, während ich versuche mich in seinen erschöpften, blauen Augen zu verlieren. Der Schatten verzweifelter, schmerzerfüllter Schreie kettet mich an die Schmerzen, die kribbelnd und beißend durch meinen Körper rasen. „Wo ist dein Schlafanzug?“, flüstert Achim und streicht mir die Haare aus dem Gesicht. Ich will ihm sagen, dass ich mein Nachtzeug trage, so dringend. Diese Behauptung wäre eine offensichtliche Lüge. Der Pyjama liegt, ordentlich gefaltet, auf einem Stuhl. Der Schrank steht ein Stück offen, einen leeren Kleidersack neben sich. Mein Mantel wurde vom Erdboden verschluckt. Die Zehen tun mir weh. Ich trage Schuhe. Sie stinken bestialisch. Dreck, halb verkrustet, haftet an den schimmernden Riemen, zieht sich über meine Waden und meine Hände. Das Herz springt mir aus der Brust, als ich mein Bein eine Winzigkeit drehe. Brandblasen. Weiß, groß, frisch. Mir wurden nie zuvor welche zugefügt. Ich könnte diese Male keinem Geschehen zuordnen, hätte ich nicht den Gestank von brennendem Fleisch in der Nase und wüsste ich nicht zu gut, dass es nur ein paar Minuten mehr gekostet hätte, damit auch meine Haut wie Wachs vom Fleisch hinabtropft.
Achim schüttelt leicht den Kopf und berührt die dünne Kruste aus Schmutz. „Was ist das?“ Langsam klärt sich sein Blick, die Finger schnippen die dünnen Schuppen aus Erde und Fäkalien von meinem Körper. Ich bringe kein Wort hervor. Das kann nur ein schrecklicher Traum sein. Und er will einfach nicht enden. Ich liege in meinem Bett und schlafe. Das alles spielt sich innerhalb meines Kopfes ab. Das hier geschieht nicht wirklich. Achims Mund öffnet sich nicht in Fassungslosigkeit und ich hocke nicht nur mit Unterwäsche und Schuhen bekleidet vor ihm, Brandblasen an den Knöcheln und am Rücken. Eigentlich drücke ich gerade jetzt den Kopf auf seine Brust, während er einen Arm um mich schlingt. In Wirklichkeit liege ich friedlich schlummernd unter Decken und rätsle, wie dieser Traum entstehen konnte. Wer ihn in meinen dösenden Geist gepflanzt hat. Ich stinke nicht nach Dreck, sondern nach Champagner und gutem Parfum.
„Chrona, was ist das auf deinen Schuhen?“ Alles nur ein Traum. Ich vergrabe das Gesicht in den Händen und atme gegen mein rasendes Herz an. Gleich schreckt der Wecker mich auf oder mein Kindermädchen. Vielleicht auch eine der Visagistinnen oder Achim selbst. Vermutlich steht er gerade jetzt im Badezimmer und rasiert sich, schenkt mir noch ein paar letzte Minuten Ruhe, bevor ich mich dem Ankleiden und der Gesellschaft widme.
„Chrona“, wiederholt er meinen Namen und zieht sanft aber bestimmt die Hände von meinem Gesicht. „Was ist passiert? Wo warst du?“ Zögernd vergräbt Achim die Nase in meinem Haar. „Du riechst nach flambiertem Fleisch.“ Die Frauen haben geschrien, so laut. So laut! Bis meine Ohren klingelten. Bis ich ihr Leid in meinen Knochen gespürt habe. Es war nur Einbildung. Keine Wirklichkeit. Wir schlafen. Achim schüttelt mich leicht. „Liebste, hörst du mich?“ Ich nicke fahrig und drücke das Gesicht an seine Halsbeuge. Gleich wache ich auf. „Wo warst du?“ Er zeichnet ein Muster an meinen Oberarmen nach. Träge drehe ich den Kopf. Blutergüsse in der Form von Fingern, die sich um meinen Körper geklammert haben. Ich wimmere leise auf. Das ist alles nicht real. Gleich weckt Achim mich. Nichts von dieser Nacht fühlt sich wirklich an. Also ist es nie geschehen. Ich weigere mich das Leiden bei Finsternis als Realität zu begreifen.
„Kannst du mich bitte wecken?“, flüstere ich. Flehend klammere ich mich an Achims Schultern. „Von mir aus kneif mich oder betätige den Wecker, aber ich muss aufwachen.“ Achim runzelt die Stirn. „Hast du Rauschmittel zu dir genommen?“ Ich verstehe nicht, was er meint. „Chrona, eine ganz einfache Frage.” Sein Daumen drückt gegen die weiche Stelle über meiner Kehle. „Wo warst du? Woher kommt das alles?“ Ich kichere auf, klinge wie eine Wahnsinnige, die nicht an Achims Seite lehnen sollte. Es muss endlich vorbeigehen! Vielleicht indem ich das ausspreche, was geschehen ist? Das Unmögliche in Worte fasse. Dann wird der Albtraum offensichtlich. Ich würde in Wirklichkeit niemals den Mut aufbringen, so etwas Absurdes von mir zu geben. Niemals würde mir etwas in dieser Art geschehen. Die Welt liebt mich. Nicht einer würde mich in Flammen stehend sehen wollen.
„Ich war draußen.“ Meine Stimme klingt heiser, als hätte ich Männer mit schmutzigen Händen und grausamen Absichten aus Leibeskräften angebrüllt. „Es hat geregnet.” Die Nässe ist mir vom Leib getrocknet. Qualm übertüncht den Gestank von Abgasen. „Als ich gestolpert bin, war ich in Deutschland, irgendwann vor dieser Zeit.“ Ein hysterisches Wimmern. Es kann nicht von mir stammen. Ich verliere nie die Beherrschung. „Sie wollten mich als Hexe verbrennen.“ Und ich spreche nie von Unmöglichkeiten.
Achim rückt eine Winzigkeit von mir ab. Fahrig halte ich ihn fester. Die Hitze seiner Haut ist alles, was zwischen mir und einer unbegründeten Panikattacke steht. „Du bist ja völlig durch den Wind.“ Sanfte Worte. Behutsam streicht er mir durch das Haar, schweigt, rätselt. Mühsam versuche ich mich zu beruhigen. Das Herz donnert mir gegen die Zungenspitze. Zittrig atme ich ein. Ich liebe diesen Gesichtsausdruck an ihm. Er verspricht mir, dass Achim nach einer Lösung sucht und sie finden wird. Dieser Mann wird mich in Sicherheit bringen und all diese grausigen Momente in das Reich der Träume verbannen. Mehr sind sie nicht. Illusionen, Einbildungen, dem Alkohol oder Drogen geschuldet.
„Komm, ich bringe dich ins Badezimmer.“ Ich nicke nur, schaffe es nicht, einen Finger zu rühren. Eigentlich schlafe ich noch immer. Achim gibt keinen Laut von sich, während er mich hochhebt, den einen Arm unter meinen Beinen hindurchschiebt, den anderen unter meinem Rücken, und mich auf diese Weise Schritte später in der Badewanne absetzt. Etwas ungeschickt öffnet er die Riemchen meiner Schuhe und zieht sie mir aus. Ein Strohhalm fällt auf die weiße Keramik der Wanne. Nichts weiter als Einbildung. Was hat man mir in das Getränk gemischt und wer ist schuldig? Der ärmliche Italiener, mit Sicherheit. Er kann kaum geladen gewesen sein. Unerlaubt hat er sich in diesen Saal gestohlen, um mir meinen guten Ruf zu nehmen. Ein Vorhaben, das ihm nicht gelingen wird.
„Warst du in einem Stall?“ Achim rümpft leicht die Nase, während er das Wasser einlässt. Es ist zu warm, heiß, fast unerträglich, sticht in meine Haut wie gierige Flammen, die nichts anderes im Sinn haben, als zu fressen, was ihnen vor das Maul kommt. Ich schüttle den Kopf und verschränke schützend die Arme vor meiner Brust. Dieses gierige Feuer, es war nicht mehr als eine grausame Bestie in meinen Träumen.
Ich reguliere die Wassertemperatur und lehne mich gegen das kühle Material der Wanne. Ein beißendes Brennen kriecht meine Wirbelsäule hinauf. Das Lecken der Flammen drängt sich zurück in meine Gedanken. Wie es sich nach oben kämpfte, um mir die Haut von den Knochen zu schmelzen, mich in Flammen aufgehen zu lassen. Als wäre ich nur ein weiteres wertloses Stück Holz. Achim hockt neben mir und träufelt ein wenig von dem Granatapfelextrakt in die Wanne. Gemeinsam beobachten wir, wie das Rot sich in Blüten ausbreitet, sich aufbauscht, zu einer großen Wolke wächst und schließlich die helle Keramik hinaufbrandet, als hätte es nie etwas anderes getan. Der Strohhalm treibt gegen meine Bauchdecke. Eine Erinnerung. Die Erinnerung an eine grausame Nacht. Nur Einbildung. „Weißt du, wie spät es ist?“, frage ich Achim irgendwann, als die Schmerzen erträglich werden und der säuerlich-fruchtige Duft den Gestank von verkohltem