Fünf Minuten vor Mitternacht. Celina Weithaas

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Fünf Minuten vor Mitternacht - Celina Weithaas


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im Nacken, so angenehm und atemberaubend nach Pfefferminze duftend wie sonst nur die Pflanze selbst. „Weil du sprichst wie ein kleines Mädchen.” Energisch löst er eine verirrte Strähne. „Erwachsene Menschen stehen für ihre Pflichten zu jeder Zeit hundertprozentig ein. Besäufnisse zwischen Proleten passen nicht zu deinem Leben.“ Ich seufze schwer und suche Achims Blick. Diese stechend blauen Augen. „Es ist mein Geburtstag”, erinnere ich Achim sacht. „Kann man nicht wenigstens heute etwas Verrücktes mit mir unternehmen? Einmal.” Ich bettle. Erniedrigend. Heute ist mir jedes Mittel recht. „Es ist sozusagen meine letzte Gelegenheit“, versuche ich den Leichtsinn vor mir selbst zu rechtfertigen. Achim nimmt mein Gesicht in beide Hände und sieht mir mit einem schiefen Lächeln in die Augen. „Chrona, du bist das reichste und schönste Mädchen dieser Welt. Du wirst niemals die Chance dazu haben, solche Absurditäten zu vollziehen. Genieße das, was du hast. Jede Frau beneidet dich darum.“ Das ist wahr. Egal ob um mein hübsches Gesicht, die vollen Haare, die leuchtenden Augen, das Geld, meinen Verlobten, den Ruhm oder die feine Gesellschaft. Anders als für gewöhnlich erfüllt mich dieser Gedanke nicht mit Stolz. Der Wunsch, dieses Gebäude zu verlassen, nimmt Dimensionen an, die ich nicht in Worte fassen kann. Die frische Nachtluft riechen, mit Achim, nur für ein paar gestohlene Stunden. Das erste Mal in meinem Leben möchte ich so tun, als müsste ich morgen früh nicht mit tadellos gefalteten Händen an dem nächsten Tisch sitzen und jedes Wort auf die Waagschale legen. Dieser Wunsch ist mir so fremd wie die nächtlichen Straßen der Stadt von Nahem. Aber… er lässt mich nicht mehr los. „Bitte.“ Mehr bringe ich nicht über die Lippen, flehe mit jeder Faser in mir, dass Achim nur heute Abend sein Pflichtbewusstsein für wenige Stunden vergisst. Achim antwortet nicht. Stattdessen fährt er damit fort, meine Frisur zu lösen. „Wo sind deine Zimmermädchen?“, fragt er mich sachlich. Ich unterdrücke ein schweres Seufzen. Das Thema ist vom Tisch. „Unten. Ich habe sie darum gebeten, sich zu vergnügen, bis es für mich Zeit wird, ins Bett zu gehen.“ „Wo sind sie jetzt?”, wiederholt Achim kühl. Wir sitzen in meinem Zimmer. Seine Missbilligung kann ich in Maßen nachvollziehen. „Du brauchst jemanden, der dir das Kleid aufknöpft und dir die Haare auskämmt.“ Ich halte Achims Finger fest, als er eine der letzten Haarnadeln auf den Nachttisch legt. „Warum hilfst du mir nicht mit meinem Kleid?” Fremde Worte eines sinnlosen Wagemuts. „Ich möchte niemanden mehr sehen außer dir.“ Die redenden Menschen haben mich erschöpft. Ihre Gratulationen, die Begeisterung. Achim verzieht missbilligend den Mund. „Du benimmst dich unangebracht.“ Ich zucke die Schultern. „Na und? Wir sind allein. Niemand wird jemals davon erfahren, wenn du mein Kleid aufknöpfst oder wir nach draußen verschwinden. Ich muss nicht einmal etwas mit dir trinken. Lass uns nur spazieren gehen. Allein.“ Irgendwo, wo niemand Zugriff auf uns hat. Wo wir Wir sein dürfen, bevor wir zurück in das Leben schlüpfen, das ich so sehr liebe. „Der Alkohol ist dir zu Kopf gestiegen. Es ist gefährlich für dich, ohne Leibwächter das Gebäude zu verlassen. Erinnerst du dich an den Vorfall von vor zwei Monaten?“ An den wahnsinnigen Mann, der sich mit seiner Kamera auf mich stürzte und mir um ein Haar die Jacke zerrissen hätte. Ich presse die Lippen fest aufeinander, fühle mich von meinem Verlobten gescholten wie ein kleines Kind. Natürlich verstehe ich seinen Standpunkt und würde ihn zu jeder Zeit ebenso vertreten wie er. Nur jetzt nicht. Alles in mir brüllt danach, hinaus zu rennen und sei es in diesem Kleid. Der Regen prasselt noch immer gegen den Tower, lässt sich in langen Schlieren an den Fenstern hinuntergleiten, fängt mit jedem Tropfen eine neue Facette des Nachtlebens auf. Die Unvernunft hat mich gepackt. Nie wieder trinke ich so viel um diese Uhrzeit. Der Alkohol verdreht meine Sinne, bis ich zu jemandem werde, der ich nicht sein will.

      Nicht sein darf. Schweigend warte ich, bis Achim die letzten Nadeln gelöst hat und sich an die Knöpfe macht. Es ist ein beachtlicher Vorstoß. Wäre es den Reportern möglich, mein Apartment zu betreten, sie würden sich die Mäuler zerreißen. Aber sie kommen hier nicht hinein. Wir sind in Sicherheit. Das weiß Achim auch. Er streicht mir die Haare über die Schulter, um besser an die zahlreichen Knöpfe zu gelangen. „Das sind hunderte“, stellt Achim nüchtern fest und löst sie. Einen nach dem anderen. Seine Fingerspitzen hinterlassen eine kribbelnde Feuerspur auf meiner bloßen Haut. Ich nicke. „Es hat auch lange gedauert, bis ich fertig war für diesen Abend.“ Allein das Ankleiden nahm eine Stunde in Anspruch. Von den Haaren und dem Make-Up ganz zu schweigen. Die Fingernägel, die perfekte Schmuckauswahl zu dem Collier, die passenden Schuhe. Wie soll der Rock optimal fallen? Passt die Farbe des Lippenstifts zu den Nägeln und diese zu den Diamanten? Wie setzt man meinen Verlobungsring am besten in Szene, ohne ihn penetrant hervorzuheben? Achim drückt mir einen zarten Kuss in den Nacken. „Du siehst bezaubernd aus und genau aus diesem Grund widerstrebt es mir, dich auf die Straße zu lassen. Wir können auch hier Spaß haben.“ Vermutlich. Aber hier duftet es nach teurem Parfum und das warme Licht spiegelt sich in den Kristallen des Kronleuchters, wirft tausend helle Facetten auf das edle Mobiliar. Gerade jetzt möchte ich nicht über den Wolken schweben. Ich wünsche mir Standfestigkeit und die bekomme ich nur auf dem nassen Asphalt. Soll der Regen doch meine Haare durchweichen und meine Schminke verlaufen lassen. Soll er das Kleid wie eine zweite Haut an meinen Körper kleben. „Ich wünsche es mir so sehr“, wispere ich und sehe aus dem Fenster. Die Tropfen zerspringen fröhlich auf dem gepflegten Glas. Gelbe, grüne, orange Tupfen huschen darüber, nur um mit dem nächsten Wimpernschlag zu verschwinden. „Eine halbe Stunde. Ich flehe dich an, Achim.“ Er schüttelt den Kopf. „Das kann ich nicht verantworten.“ Sanft küsst er mich. Noch immer beherrscht. Der Alkohol löst jede Hemmschwelle ins Nichts auf und ich danke im Geiste Mutter dafür, dass sie mir die letzten Stunden erlassen hat. Etwas muss in meinem Glas gewesen sein. Es lässt mich schwindelig und atemlos fühlen. „Bitte“, wispere ich zwischen zwei Küssen. „Nur ein einziges Mal. Einmal”, beschwöre ich Achim. „Wir werden es nie wieder tun. Niemand wird jemals etwas davon erfahren.“ „Es regnet in Strömen.“ Ich zucke die Schultern. „Na und? Das ist doch aufregend.“ Ich habe das Gefühl, dass der Boden unter meinen Füßen schwankt. „Chrona.“ Achim seufzt tief und schiebt meine Ärmel nach vorn. Sie gleiten von meinem Körper. Die Knöpfe sind gelöst. „Wo liegt dein Nachtzeug?“ Ich ziehe es unter den Decken hervor. Er hilft mir aus meinem Kleid und legt es ordentlich gefaltet über einem Stuhl ab. Achim ist mehr Gentleman als er sein sollte, dreht sich respektvoll um, während ich in Unterwäsche vor ihm stehe und mir den Pyjama anziehe. Der Stoff ist wundervoll weich auf meiner Haut und nimmt meine Körperwärme auf, um sie zurückzustrahlen und mich in seine sichere Umarmung zu ziehen. Ich höre das leise Knistern von Stoff, während Achim sich ebenfalls entkleidet und umzieht. Das Hemd legt er auf mein Kleid, die Hose dazu. Einladend schlägt er die Bettdecke bei Seite und ich krabble darunter. Das war unsere Diskussion. Er hat sie gewonnen, wie jedes Mal. Ich bewundere Achims Raffinesse und Autorität. Seine Selbstbeherrschung und ruhige Kontrolle. Gerade jetzt hätte ich mir mehr einen Mann gewünscht, der mich aus ganzem Herzen liebt und bereit ist, etwas Verrücktes mit mir zu unternehmen. Mich Leben atmen zu lassen. Es juckt mich in den Fingerspitzen auf den Knopf des Aufzugs zu drücken und mit Achim nach unten zu fahren und mich nach draußen in den prasselnden Regen zu stellen, damit seine Kälte meine betäubende Trunkenheit fortwäscht. Stattdessen gebe ich mich Achims Umarmung hin. Er drückt mir einen Kuss ins Haar, der mich wohlig aufseufzen lässt. Ich schmiege mich an ihn, bette den Kopf auf seine Brust und lausche dem regelmäßigen Herzschlag.

      Achim hat Recht. Jedes Mädchen beneidet mich. Nicht nur um meine Schönheit und mein Geld, den Erfolg und die Gesellschaft, sondern vor allem um ihn. Es gibt keinen beherrschteren, verantwortungsvolleren Mann auf dieser Welt, der mit einem ähnlichen Charisma gesegnet wurde. Anstatt mich damit zu befassen, dass Achim nicht mit mir vor die Tür gehen will, sollte ich mich auf seine durchdachten Gründe konzentrieren. Verrückte gibt es überall. Was würden sie dafür tun, um mit mir ein Foto zu erhaschen? Nur von hinten auf mich springen, die Kamera gezückt? Achim allein könnte mich nicht vor ihnen beschützen und ich verstehe ihn, dass er mich in unseren wenigen Stunden mit niemandem teilen möchte. Am wenigsten mit Fans oder Paparazzi. Das was wir haben, ist besser. Mit dem Kopf an seiner Brust einzuschlafen und den Atem regelmäßig kommen und gehen zu hören.

      Achim dämmert schnell weg. Vorsichtig fahre ich mit den Fingerspitzen die Schatten unter seinen geschlossenen Augen nach. Sie erinnern an Blutergüsse. Ich möchte nicht wissen, wie viel Make-Up man ihm aufdrängen musste, um das zu retuschieren. Es ist eine kleine Ehre, ein großer Beweis von Vertrauen,


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