Fünf Minuten vor Mitternacht. Celina Weithaas

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Fünf Minuten vor Mitternacht - Celina Weithaas


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besitzt. „Ich wünschte, ich hätte dich begleitet“, flüstert Achim in mein Haar. „Dann hätte ich Hilfe holen können.“ Die Erinnerungen daran, wie sehr ich seine Nähe vermisste in diesem Trubel aus Chaos und Kälte, sind noch frisch und unbeschreiblich intensiv. Allein, dass Achim jetzt hier ist, mich hält, als würde er mich nie wieder loslassen wollen, schmälert diese Angst und die Schmerzen in meinem Herzen.

      Er drückt mir einen Kuss auf die Stirn. „Das nächste Mal werde ich für dich da sein“, verspricht er mir. Ein kurzes Zögern, das für ihn ebenso untypisch ist wie diese vielen Berührungen. „Wenn du mich jetzt brauchst, kann ich das Meeting absagen.“

      Pardon? Ruckartig löse ich mich von Achim und sehe ihm in die Augen. Ist er von Sinnen? Es könnte sich um einen gigantischen Deal handeln, der ihm entgeht. Ich taste sein ernstes Gesicht mit Blicken ab. Achim wirkt nicht, als würde er scherzen. Ich muss einige Male blinzeln, um nicht in Tränen auszubrechen und mir das sorgfältig aufgetragene Make-Up zu ruinieren. Das täte er? Für mich? Meine Eltern blieben nie Daheim, wenn ich krank war und irgendwo ein vielversprechender Dialog angesetzt war. Es gibt Kindermädchen, Angestellte. Jeder ist fähig, eine heiße Schokolade zu kochen und mich zuzudecken oder im schlimmsten Fall den Arzt zu rufen. Achims Angebot ist so viel mehr, als ich erwartet hätte. Für einen Moment spielt mein selbstsüchtiger Teil mit dem Gedanken, es anzunehmen. Dann erinnere ich mich daran, was auf dem Spiel steht.

      Worum es hier geht. Egoismus mag eine gute Eigenschaft sein, aber nicht in diesen Situationen.

      Es erfordert all meinen Willen, den Kopf zu schütteln. Das Gesicht vergrabe ich an Achims Brust. Sein Atem rauscht leise an meinem Ohr vorbei, begleitet von seinem beschleunigten Puls. Ich liebe den Geruch seines Aftershaves. Wüsste ich doch nur, wie es heißt, dann könnte ich mir etwas davon aufs Handgelenk sprühen, wenn ich nicht schlafen kann.

      Dass Achim diese Angewohnheit mit meinem Parfum hat, weiß ich seit beinahe einem ganzen Jahr. Er trug meinen Geruch bei einem wichtigen Meeting. Als ich Achim darauf ansprach, bekundete er achselzucke, dass ihn mein Duft beruhige. Das war der erste nahbare Wesenszug an ihm gewesen, den ich kennenlernte.

      Diese Bereitschaft aber für mich alles stehen und liegen zu lassen, berührt mich viel tiefer und intensiver.

      Achims Angebot zu bleiben, ist mehr wert als jeder Ring, den er mir zu unserer Hochzeit an den Finger stecken kann. Es schwört mir, dass ich nach unserem Eheversprechen niemals wieder allein sein werde. „Bist du dir sicher?“ Achim wirkt enttäuscht. „Es gibt weitaus wichtigere Dialoge, die ich suchen kann. So hätten wir eine Woche nur für uns.“

      Eine Woche? Das klingt wie Musik in meinen Ohren. Urlaub, wohlverdient und wunderschön. Wir könnten ausschlafen, gemeinsam in den Park gehen, uns auf das Gespräch mit Monsieur Depót vorbereiten, Seite an Seite. Mit Achim gemeinsam könnte ich die Einschreibungen für das College erledigen.

      „Du weißt, dass ich es am liebsten habe, wenn du bei mir bist.“ Unverwandt sehe ich Achim an. Die seichte Erschöpfung im Blick, lässt seine Augen heller strahlen denn je. „Wenn unsere Zweisamkeit allerdings einen Nachteil für dich birgt, dann…“ „Ich storniere den Flug“, unterbricht Achim mich. Er schüttelt den Kopf. „Ganz gleich, was letzte Nacht geschehen ist, du brauchst mich momentan dringender als ein europäischer Investmentmakler.“

      Mit Sicherheit handelt es sich nicht um irgendwen, sondern um jemanden mit Rang und Namen, aber ich schweige. Wie könnte ich Achim von unserem jetzigen Standpunkt aus dazu überreden, zu gehen? Wenn ich doch nichts dringender will, als dass er bleibt. Achim hat Recht. Ich brauche ihn tatsächlich. Seine Liebe, seine Nähe. Mehr als alles andere. Ich seufze leise auf und nicke. „Das wäre schön.“

      Eine kleine Ewigkeit stehen wir nah beieinander, beobachten das Treiben unter uns auf der Straße. Menschen, Autos, Lichter. Wie alles problemlos nach ein paar Signalen funktioniert, hunderte wie ferngesteuert verharren, nur um mit dem nächsten Klick los zu hasten, das Handy an das Ohr gepresst und aufgeregt gestikulierend. Ein erbärmliches Leben, weit unter dem Standard, den sie sich hätten erarbeiten können. Wir sind die Herrscher über die wuselnden Gestalten Meter unter uns. Ihr König und ihre Königin.

      „Wann bist du gestern Nacht losgegangen?“, fragt Achim mich schließlich leise und kreist mit den Daumen über meinen Oberarm. Ein leichtes Drücken zieht sich durch meine gut überdeckten Blutergüsse. „Kurz nachdem du eingeschlafen bist“, gestehe ich ihm leise. „Es kam mir so vor, als würde ich verrückt, wenn ich nicht sofort dieses Apartment verlasse.“ Achim nickt gedankenverloren. „Hat dich jemand gesehen?“ Ja und nein. Gesehen mit Sicherheit, erkannt unter keinen Umständen.

      „Ich bezweifle, dass man mit mir mitten in der Nacht auf offener Straße in einem eher bescheidenen Aufzug rechnet, während es in Strömen regnet.“ Ein Fetzen Sorge bleibt dennoch. „Hast du gesehen, was die Presse schreibt?“ Achim schüttelt knapp den Kopf und zieht mich näher an sich. Seine Körperwärme sickert langsam in mein Blut und entspannt die Muskeln. „Wir können das nachher gemeinsam überprüfen.“ Ich glaube, diesen Satz habe ich noch nie aus seinem Mund gehört. Auf eine seltsame Art und Weise macht er mich glücklich. Diese Aussicht mit ihm gemeinsam zu arbeiten, klingt wie das Versprechen an uns, ein Team zu bilden. Es wirkt fast, als sollte ich demjenigen, der mir die fraglichen Rauschmittel in den Champagner mischte, dankbar sein. Allein er hat zu verantworten, dass Achim nicht vorhat, mir die nächsten Tage von der Seite zu weichen. Wer auch immer die Schuld an meinem Aussetzer trägt, hat mir Achims Nähe geschenkt. „Das wäre wundervoll“, wispere ich. Wieder dieses ratlose Schweigen. Achim und ich unterhalten uns selten, wenn, dann über steigende und fallende Kurse, die anstehende Gesellschaft oder die mögliche Kleiderordnung. Vielleicht noch über unsere Bildungswege und die neuesten Meldungen. Aber persönliche Dinge? Die sind uns fremd. Wir haben beide gelernt, dass es am besten ist, wenn wir wenig miteinander zu tun haben. Geheimnisse halten eine Beziehung aufrecht und gerade eine Liebe vor der Weltpresse, hat distanziert und geheimnisvoll zu wirken. Es geht niemals um unsere eigene, kleine Romanze, sondern die, die die Redakteure und Papparazzi daraus machen. Wir haben ein weißes Blatt Papier zu sein, das von Fremden beschrieben wird.

      Diese Aktion, das Absagen des Meetings, verstößt gegen alles, was man uns eintrichterte. Diese Gewissheit lässt mich gleichzeitig schwindelig und überglücklich sein.

      „Wie fühlst du dich?“ Achim schaut mich mit einem verbindlichen Lächeln an. Es ist die Frage, die er immer stellt, wenn ein Gespräch ins Stocken gerät. „Hervorragend. Es ginge kaum besser.“ Das ist die gleiche Antwort, die ich jedes Mal gebe, wenn man sich nach meinem Wohlbefinden erkundigt.

      Achim nickt und sieht wieder hinaus auf die Straße. Der nächtliche Regen ist abgezogen und hat düsteren Wolken Platz gemacht, durch die sich hin und wieder ein weicher Sonnenstrahl stiehlt. Sie erinnern mich vage an die fernen Blitze aus meinem Fiebertraum.

      „Könntest du dir eine Zusammenarbeit mit einem der Anwesenden vorstellen?“, leite ich das Gespräch auf für uns bekanntes Terrain. Sofort entspannt sich Achim und sucht den Blickkontakt. „Die ungarischen Oligarchen sind beide gleichermaßen dumm und fahrig. Es sollte genügen, wenn deine Eltern sich mit ihnen befassen. Irgendwann endet deren Glückssträhne.” Achim räuspert sich. „Der spanische Monarch ist in erster Linie auf sein Prestige aus und die italienischen Neureichen scheinen mir weder erfahren noch allzu clever zu sein.“ Achim macht eine kleine, wegwerfende Bewegung mit dem Kinn. „Wir sollten uns auf Monsieur Depót und seine Kreise konzentrieren. Sie mögen riskanter, aber auch um ein Vielfaches erfolgsversprechender sein. Außerdem“, Achim schenkt mir ein kleines Grinsen, das selten zu seinem Repertoire gehört, „Französisch spreche ich, mit Ungarisch tue ich mich noch immer schwer.“ Dem kann ich nur zustimmen.

      Grinsend zupft Achim an dem türkisfarbenen Rock meines Kleides. Es ist gewagt für einen formellen Anlass, endet kurz über den Knien und dabei sei es dahingestellt, dass es sich um eine Haute Couture Kreation handelt. Für diesen Brunch ist das Kleid zu kurz und gerade deswegen von mir geliebt. Die Länge und das Design meiner Garderobe sind die einzige Form, in der ich es wage, zu rebellieren. Und selbst diese feinste Rebellion zettle ich nur an, um mit Sicherheit in das Programm eines jeden privaten Senders eingebunden zu werden.

      „Warum


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