Fünf Minuten vor Mitternacht. Celina Weithaas
Читать онлайн книгу.einfach in dieses hier verliebt“, antworte ich glatt und lege Achim die Arme um den Hals. „Heute bietet sich eine der seltenen Gelegenheiten, es auszuführen.“
Achim zieht eine Braue hoch. Wir wissen beide, dass mein Vorwand nicht der Wahrheit entspricht. Achims Kuss fühlt sich jedoch so ruhig und weich an, dass mein Kleid in den Hintergrund rückt. Nichts zählt mehr außer seiner Berührung und dem Wissen, dass ich sie noch eine Woche werde genießen dürfen. Eine Woche lang an Achims Seite, ihn küssen, seine Stimme hören, mich in seinen Berührungen verlieren. Ein unbezahlbarer Luxus.
Das Blitzen einer Kamera reißt mich aus meinem Traum. Achim und ich setzen beide ein strahlendes Lächeln auf, nahezu gleichzeitig, ehe wir uns voneinander lösen und uns den Fotografen stellen. Es sind lediglich zwei. Mein Verlobter nimmt den gebührenden Abstand ein, während Auslöser klacken und Lichter durch den Korridor tanzen.
Die Fotografen rufen uns zu, bitten um ein Gespräch oder eine bestimmte Pose. Sie haben bereits mehr als genug von uns bekommen. Bestimmt greift Achim nach meiner Hand und führt mich zurück in den Speisesaal. Noch heute Abend wird unser Kuss weltweit zu sehen sein. Ein mahnender, wenn nicht gar enttäuschter Blick meiner Eltern ist mir gewiss.
7
„Darf ich erfahren, wo ihr beiden euch die letzten Minuten aufgehalten habt?“ Vater hat sich zu mir hinübergebeugt, während ihm Weißwein zu dem dargebotenen Fisch eingeschenkt wird. „Wir haben uns lediglich unterhalten.“ Kurz zögere ich. „Achim wird die kommende Woche mit mir verbringen. Es gilt einiges vorzubereiten, bevor wir allein auf Monsieur Depót treffen.“ Vater rollt leicht den Kopf, ehe er noch ein Stück näher zu mir rückt. Achim wirft ihm einen pikierten Blick zu. „Mister Jamesons Meeting ist von außerordentlicher Bedeutung.“ „Das Wohlbefinden meiner Verlobten ebenfalls“, antwortet Achim für mich. Ein winziges Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen. Selbstverständlich, Achims Nähe dient in erster Linie dem Zweck, dass er in Erfahrung bringt, was die letzte Nacht mit mir passiert ist. Ich nehme jede Unannehmlichkeit hin, wenn das bedeutet, dass man mich nicht zu Einsamkeit verdammt. Mein Vater lehnt sich in seinem Stuhl zurück und schwenkt den Wein im Glas herum. Das sanfte Aroma steigt mir in die Nase. Sollte ich gar nichts trinken, wird man vermuten, ich wäre schwanger oder hätte einen Kater von der letzten Nacht. Ich winke den Kellner heran, damit er mir einen Schluck einschenkt. Er folgt mir aufs Wort.
„Dieses Thema werde ich gemeinsam mit Achim diskutieren”, sagt Vater. „Auf dich wartet ein Gespräch mit dem jungen Gioseppe Riva. Mit Sicherheit wird er erfreut sein.“ Nach unserem gestrigen Aufeinandertreffen kaum. „Wir hatten bereits das Vergnügen.“ Der Wein erblüht mir auf der Zunge und läuft angenehm kühl den Rachen hinab.
Ein wundervoll süßliches Geschmackserlebnis.
„Ich erwarte es dennoch von dir. So gebietet es der Anstand.“ Mein Vater wirft mir einen der häufigen Blicke zu, die keinen Widerspruch dulden. Ich presse die Lippen fest aufeinander und bedeute dem Kellner, meinen Stuhl zurückzuziehen, ehe ich den Tisch umrunde und mich zu demjenigen geselle, der womöglich für meine schaurige Nacht verantwortlich war. „Gioseppe Riva, was für eine angenehme Überraschung Sie am heutigen Morgen begrüßen zu dürfen“, sage ich glatt. Ich trage den Kopf hoch und bin mir bewusst, dass ich Gioseppe Dank meiner Absätze um einige Zentimeter überrage. Verbindlich lächelnd blicke ich auf ihn hinab. Kurz scheint Gioseppe hin und her gerissen zwischen meiner herzlichen Begrüßung und meinem kühlen Auftreten, dann erhebt er sich und widmet mir eine knappe Verbeugung. Knapp zehn Zentimeter. Es sind knapp zehn Zentimeter, die er kleiner ist als ich. „Es ist mir eine Ehre, Miss Clark.“ Kurz schweigen wir und ginge es nach mir, würde die Höflichkeit an dieser Stelle ihr Ende finden. Gioseppe würde mit Sack und Pack diesen Raum verlassen und mir nie wieder unter die Augen treten.
Vater wirft mir einen kurzen Blick zu. Ich habe das Gespräch in Gang zu halten. Vermutlich erhofft er sich Gioseppe als Verhandlungspartner, ich allerdings kann nicht genug Potenzial in Gioseppe finden, das meine Zeit rechtfertigen würde.
„Wollen Sie mich auf den Balkon begleiten?”, frage ich. „Hier drin ist es recht warm.“ Ein rascher Blick seinerseits über mein kurzes Kleid, zeigt mir, dass Gioseppe mir kein Wort glaubt und nur der Höflichkeit halber zustimmt.
Vater und Achim sind in eine leise Diskussion versunken, während meine Mutter sich mit dem Spanier über Oberflächlichkeiten zu unterhalten scheint, als einer der Angestellten uns die Türen zu dem weitläufigen Balkon öffnet. Eine kühle Brise weht uns entgegen, die mich erschaudern lässt und in die gestrige Nacht zurückkapituliert. Immerhin regnet es nicht.
„Worüber wollen Sie mit mir sprechen, Miss Clark?“, fragt Gioseppe, sobald man die Tür hinter uns geschlossen hat. Die helle Jacke seines Jacketts zaubert seine schmalen Schultern breiter. Die dicke Goldkette um seinen Hals wirkt protzig. Im Gegensatz zur vergangenen Nacht scheint Gioseppe angespannt, wie er die Hände in den Taschen vergräbt und die Miene verkrampft. Die Haare stehen Gioseppe ab. Das Weiß der Schuhe harmoniert nicht mit dem der Hose. „Geschäftliches”, erwidere ich schlicht. „Sie sollten wissen, dass eine Frau wie ich nichts anderes im Sinn hat als den stetigen Gewinn.“
Gioseppe stützt sich auf dem schmiedeeisernen Geländer ab und blickt hinab in die plärrende Tiefe. Nicht einer der Passanten beachtet uns. Eine unsichtbare Wand scheint zwischen ihnen und uns zu verlaufen. „Ich dachte, wir beide wären uns so weit im Klaren, dass es da nicht allzu viel zu bereden gibt”, sagt er. Die Kränkung steht ihm in das gewöhnliche Gesicht geschrieben. „Ich erfülle nicht Ihre Ansprüche und Sie bei Weitem nicht meine.“
Pikiert hebe ich eine Braue. Die Prinzessin der Börse genügt den Ansprüchen des feinen Herrn nicht? Worauf hoffte er? Ein naives Mädchen, das ihm die Karten zuspielt? Eine ordinäre Lady, die nur für den Ruhm und den Skandal lebt? „Inwiefern genüge ich Ihnen nicht?”, spiele ich das Spiel, zu dem Vater mich verdammte. „Haben Sie sich höhere Chancen ausgemalt?“ „Absolut.“ Langsam betrachtet Gioseppe mich von Kopf bis Fuß. „Ich dachte, reiche Menschen wären freundlich. Aber Sie? Sie sind nur aalglatt und selbst das nicht mehr, wenn keine angemessene Entlohnung winkt oder keine Fotografen in der Nähe sind. Ich frage mich, ob sie überhaupt noch ein Mensch sind oder nicht irgendein Geld inhalierendes Monster.“
Ich lache kokett auf, als hätte Gioseppe einen äußerst unterhaltsamen Witz gemacht und lehne mich neben ihm an die Brüstung.
„Sie sind nicht besonders klug, so mit mir zu sprechen“, stelle ich fest. Gioseppe verdreht tatsächlich die Augen. „Was soll ich denn tun?” Verspottet er mich? Sacht lege ich den Kopf schief. „Was wäre denn in Ihren Augen angemessen, Miss Clark? Soll ich vor Ihnen in die Knie gehen und um Vergebung betteln?“
Das wäre ein Anfang.
„Wissen Sie, als meine Ehefrau mir sagte, Sie würden mit Sicherheit das kühlste und abweisendste Wesen sein, das existiert, da glaubte ich ihr nicht, weil wie ist es möglich, dass etwas so Schönes nicht bis in den hintersten Winkel des Seins rein ist?” Sein harsches Lachen hallt zu laut über die Straßen hinweg. Ich senke mein Kinn ein Stück, bereit für den perfekten Schnappschuss. „Aber offensichtlich sollte ich in dieser Hinsicht auf meine Frau hören. Sie weiß, woran man eine falsche Schlange erkennt.“ Es ist nicht in meinem Interesse meinen Atem weiterhin an Gioseppe Riva zu verschwenden. Aber jetzt gehen? Mich in einem schlechten Licht präsentieren lassen? Das wäre die größte Demütigung. Also entspanne ich mich und blicke Gioseppe tief in die langweiligen, beinahe stumpfsinnig braunen Augen. „Wäre es in Ihrem Interesse, Ihre Sorgen näher auszuführen?“
Gioseppe schnaubt abfällig und stößt sich kraftvoll von dem Geländer ab. „Als meine Eltern den ersten großen Gewinn hatten, da dachte ich, jetzt geht das Leben los. Partys, schöne Mädchen, Überfluss. Irgendwann aber habe ich bemerkt, dass das Geld einen nicht befreit, es baut Käfige um einen herum. Und du, du benimmst dich wie ein dressiertes Äffchen.“
Ich lächle ihn lieblich an und lasse den lauen Wind durch meine Haare streichen. „Es ist durchaus faszinierend”, erwidere ich langsam, „wie rasch ein kleiner Junge, Anstand mit Willenslosigkeit und gutes Benehmen mit Reichtum verwechselt. Man spürt, dass Sie in einer