World Runner (1). Die Jäger. Thomas Thiemeyer
Читать онлайн книгу.her?«
»Sieht aus, als hätte mich jemand vom Schiff aus gefilmt und den Clip ins Netz gestellt.« Erschrocken starrte Tim auf den Bildschirm. Er erinnerte sich, dass einige der Leute auf dem Partyschiff ein Handy auf ihn gerichtet hatten. Zum Glück war er kaum zu erkennen.
»Genau das habe ich befürchtet.« Sakura nickte düster.
»Dabei ist es gerade mal eine Viertelstunde her«, murmelte Tim.
»Und wieso taucht das bei WorldRunner auf?«, fragte Farid.
»Leute, WorldRunner ist doch berüchtigt für seinen ausgefeilten Algorithmus«, belehrte Annika sie und sah sie vorwurfsvoll an. »Das Programm verfolgt netzgebundene Datensignaturen mit Lichtgeschwindigkeit! Der Algorithmus durchforstet andauernd das Netz und setzt automatisierte Links. Er stellt Querverbindungen zwischen Zeit und Ort her und fügt dann verschiedene Aufnahmen eines bestimmten Ereignisses zusammen. Echt jetzt, Tim, hast du denn das Kleingedruckte nicht gelesen?«
Tim schüttelte den Kopf. »Tue ich nie.«
»Na, jedenfalls reichen Zeitpunkt und Ort meistens schon aus, um eine Querverbindung zwischen den Quellen herzustellen. Wenn du den Link wieder raushaben willst, musst du einen Antrag stellen. Gar nicht so einfach. Sieh mal, da ist noch ein Video.«
Tim merkte, dass es vielleicht ein Fehler gewesen war, sich zu wenig mit den technischen Details zu beschäftigen und das ausschließlich Farid zu überlassen. Er schwor sich, dem künftig mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Mit wild klopfendem Herzen starrte er auf den Monitor. Diese neue Aufnahme zeigte sehr viel mehr von seinem Gesicht. Hier war er deutlich zu erkennen. Zum Glück hatte er sein Mundtuch hochgezogen. Freunde und Mitschüler würden ihn vielleicht erkennen, Fremde jedoch nicht. Zeitgleich mit dem Auftauchen der neuen Aufnahmen schossen die Klickzahlen in die Höhe.
Sakura stand auf. »So, Leute, ich mache mich vom Acker. Das solltet ihr auch tun. Es schwirren immer noch eine Menge Leute herum, die euch beobachtet haben könnten. Und bis die Polizei weg ist, dürfte es noch eine Weile dauern.«
Farid klappte seinen Rechner zu und steckte ihn ein.
»Aber … willst du echt schon gehen?« Tim hoffte, dass seine Enttäuschung nicht allzu offensichtlich war. Sosehr er Sakura auch bewunderte, wissen musste sie das ja nicht.
Sie nickte. »Ich muss. Aber ich denke, wir werden uns wiedersehen. Apropos: Hast du eigentlich gefunden, was ich in der Box versteckt habe?«
Er griff nach dem Päckchen mit dem Datenstick und zog es aus der Tasche. »Meinst du das hier?«
»Ja.«
»Was ist da drauf?«
»Wirst du schon sehen. Du hast es dir wirklich verdient. Macht’s gut, ihr drei, wir sehen uns.«
Mit diesen Worten verschwand sie in Richtung Hohe Straße. Tim blickte ihr hinterher, bis der blaue Punkt in der Menge unsichtbar wurde. Seine Wangen glühten, als hätte er zu lange in der Sonne gesessen.
10
San Francisco …
Der Blick über die Bay Area an einem Sonntagmorgen im Juli besaß etwas Magisches. Die ziegelroten Pfeiler der Golden Gate Bridge, die grünen Hügel von Presidio, der Mountain Lake Park mit seinen Joggern, Spaziergängern, Hunden und Familien, die Kinderwagen vor sich herschoben. In der Bucht hinter dem Strand waren unzählige Boote unterwegs, deren weiße Segel wie Schneeflocken über das Meer tanzten.
Drüben in San Rafael hing noch der Nebel über den Bergen, aber der würde bald weggeschmolzen sein. San Francisco bereitete sich bei bestem Ausflugswetter auf ein ruhiges, entspanntes Wochenende vor.
In der Zentrale von GlobalGames war von Ruhe und Entspannung nichts zu spüren. Im Bürogebäude hinter dem Palace of Fine Arts summte es wie in einem Bienenstock. Dreißig Mitarbeiter schoben Überstunden und sorgten dafür, dass alles bereit war für den großen Moment. Und der kündigte sich mit dumpfem Dröhnen an.
Mortimer Hansen stand am Fenster in der obersten Etage des dreistöckigen Gebäudes und spitzte die Ohren. Das dumpfe Wummern ließ die Fensterscheiben klirren. Dann sah er ihn.
Von Norden kommend, fegte der Hubschrauber über das Wasser. Der rote Rumpf mit den türkisfarbenen Buchstaben SE warf Schatten auf die schaumbedeckten Wellen. Möwen stoben davon oder wurden von dem heftigen Wind des Rotors zur Seite gefegt. Das Wasser aufwirbelnd, kam der Helikopter auf sie zu, drehte eine Kurve und setzte dann unter donnerndem Gebrüll auf der freien Rasenfläche vor dem Gebäude auf. Mortimer beeilte sich, ihren Gast willkommen zu heißen.
Ein Mann stieg mit gesenktem Kopf aus dem Hubschrauber, seine Haare vom Wind der Rotoren verwirbelt. Er machte sich an der Außenverkleidung zu schaffen und stellte sicher, dass die Treppe ordnungsgemäß ausgefahren wurde. Die Rotorblätter kreisten langsamer und blieben schließlich stehen. Das Triebwerk erstarb.
Über die Stufen herab kam Shenmi Stevenson. Sie trug einfache Jeans, ein bedrucktes T-Shirt und weinrote Chucks. Hätte Mortimer nicht gewusst, wer ihn da besuchte, er hätte sie für eine einfache Studentin gehalten. In ihrem Arm lag Posh, ihr weißer Japan-Spitz.
Mortimer presste die Lippen aufeinander. Er hasste diesen Hund. Das verdammte Biest hatte ihm beim letzten Treffen zum Abschied doch glatt sein Paar Lieblingsschuhe zerbissen. Aber das konnte er seiner Chefin natürlich nicht sagen. Trotzdem, Posh musste weg. Am besten in einen Raum, in dem die Hundedame möglichst keinen Schaden anrichtete. Fehlte noch, dass sie ihm den wichtigsten Tag seiner Karriere versaute.
Er setzte ein strahlendes Lächeln auf. »Ms Stevenson, was für eine Freude, Sie zu sehen. Hatten Sie einen guten Flug?«
»Guten Morgen, Morti. Ja, es war herrlich. Stell dir vor, wir haben Wale gesehen, drüben bei Point Reyes. Herrlicher Anblick. Sie hatten sogar ein paar Kälber dabei.«
»Wunderbar«, schleimte Mortimer. »Um diese Jahreszeit sind sie ja eher selten. Da waren Sie aber vom Glück gesegnet, Ms Stevenson.«
»Glück oder Karma, das ist die Frage, Morti.« Sie strich Poshs Haare glatt. »Ich bevorzuge den Gedanken, dass nichts im Leben durch Zufall entschieden wird. Wer hart arbeitet, der wird belohnt werden. Und wir haben viel und hart an diesem Projekt gearbeitet. Ich hoffe, es ist alles bereit?«
»Wir haben nur auf Sie gewartet.«
»Gut, dann wollen wir hineingehen.«
Im Combat Direction Center, kurz CDC, herrschte angespannte Stille. Der sechzig Quadratmeter große Überwachungsraum war voller Mitarbeiter, die das Eintreffen von Shenmi Stevenson mit Nervosität erwarteten. Hier lag das Nervenzentrum von GlobalGames. Monitore leuchteten, Anzeigen schlugen aus und Drucker ratterten. Im Sekundentakt gingen neue Meldungen ein.
In der Mitte des Raumes befand sich eine gewaltige Weltkarte, über die ein Meer von Lichtern huschte. Die Karte war kein flacher Farbdruck, sondern ein Relief mit Meerestiefen, Ebenen und Hochgebirgen. Aus der Nähe wirkte es wie eine hochaufgelöste, dreidimensionale Luftaufnahme. Eine halbe Million war dafür ausgegeben worden. Unsinnig viel Geld in Mortimers Augen, aber Shenmi hatte darauf bestanden. Sie sagte, es erinnere sie an die großen Leuchttafeln in den James-Bond-Filmen, auf denen die Superschurken ihre Weltherrschaft planten.
Mortimer zupfte an seinen Augenbrauen. Eine dumme Angewohnheit. Ein Zeichen von Nervosität. Er öffnete den obersten Knopf seines Kragens. Täuschte er sich oder war es stickig hier drin? Die Sonnenblenden waren heruntergelassen, das Licht gedämpft.
»Könnt ihr bitte mal die Klimaanlage hochdrehen?«, rief er. »Hier drinnen ist es ja kaum auszuhalten.« Unter seinen Füßen spürte er das Summen der Server. Hunderte davon standen in den Kellergeschossen, wo sie eine Unmenge Wärme produzierten.
»Ist schon voll hochgedreht, Mr Hansen«, sagte Lisa Weston, seine langjährige Mitarbeiterin und rechte Hand. »Liegt an der erhöhten Rechenleistung beim Stand-by. Sobald wir online gehen, dürfte sich das Problem erledigen.«
»Also ich finde es sehr angenehm«, sagte Shenmi. »Um ehrlich