Sechs utopische Thriller. Conrad Shepherd

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Sechs utopische Thriller - Conrad Shepherd


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Trinkgeld. An der Art, wie der Boy den Schein mit spitzen Fingern in Empfang nahm, erkannte er, dass dieser an fürstlichere Trinkgelder gewöhnt sein musste, und beschloss, seinerseits ein bisschen Gift zu verspritzen.

      Er legte ihm gönnerhaft eine Hand auf die magere Schulter und sagte mit erhobenem Zeigefinger: »Aber nicht gleich verprassen, verstanden!«

      »Ich werde 'ne Aktie dafür kaufen«, versprach der Boy bissig.

      »Sehr vernünftig... und nun ab mit dir!«

      Conroy zündete sich grinsend eine Zigarette an und ging auf den kleinen Balkon hinaus. Der Wind fuhr ihm durchs Haar, stäubte glühende Asche von der Zigarette, die seine Nasenschleimhäute reizte. Er musste niesen. Dann trat er an die Brüstung, stützte die Hände auf das Geländer. Vor und unter ihm lag Schrinagar, die ehemalige Hauptstadt der indischen Bundesterritorien Dschammu und Kaschmir, ausgebreitet im Grün der Parks und Gärten.

      Er schnippte den Aschenkegel von der Zigarette und ging ins Zimmer zurück. Ein Blick auf sein Chrono sagte ihm, dass Nomi McIrnerny in wenigen Minuten auftauchen würde.

      Er griff sich die große Tasche aus dem Schrank und entnahm ihr die Ooni MDK mitsamt Holster. Nachdenklich wog er beides in der Hand. Dann befestigte er Waffe und Holster am Gürtel im Rücken und zog die Jacke über.

      7. Kapitel

      Pünktlich auf die Minute betrat Conroy die Halle des Hotels, begrüßte Nomi und fuhr mit ihr weg.

      Ihr roter Hover bewegte sich mit mäßiger Geschwindigkeit im Strom des abendlichen Verkehrs, vorbei an malerischen Moscheen, an buddhistischen und hinduistischen Tempeln und Klöstern, die dann über weite Bereiche von modernen Hochbauten abgelöst wurden. Aus dem in der Mittelkonsole eingebauten TV drangen die Klänge einer Show aus dem Takarusapalast in Tokio. Der Bildträger war jedoch abgeschaltet.

      »Ist es weit?«, erkundigte er sich und blickte die junge Frau von der Seite an.

      »Nicht besonders«, erwiderte sie. »Wir müssen zu den Kais.«

      Nach knapp zehn Minuten erreichten sie die Kaianlagen an den Ufern des hier weitverzweigten Flusses Dschilam. Nomis Hovercar rauschte leise über den gewaschenen Kies eines Zufahrtweges. Dann parkte sie ihr Fahrzeug zwischen einem zerbeulten Veega und einem Lieferwagen chinesischer Bauart, der auf seinen Flanken für Trekkingtouren in das Pandschab warb.

      Vom Fluss her schlug ihnen der typische Geruch des Wassers entgegen. Weiter oben auf den Piers herrschte ein Tohuwabohu an Geschäftigkeit und Lärm.

      Nomi ging zielstrebig auf den Eingang eines umzäunten Grundstückes zu, auf dem sich ein weißgestrichenes Holzhaus mit reichgeschnitzten Lauben und einer weitläufigen Terrasse vor einem aus vorfabrizierten Einzelteilen aufgebauten Hangar erhob. Der Hangar trug eine graugrüne Tarnbemalung.

      Ray Haan erwartete sie auf der Terrasse.

      »Hallo, Miss Nomi!«, empfing der derbknochige Mann im weißen Leinenanzug die Rimtec-Angestellte. In einer seltsamen Vertrautheit legte er dabei seinen Arm um das Mädchen und küsste es leicht auf die Stirn. Dann wandte er sich Conroy zu, der ihn um einen ganzen Kopf überragte und sagte: »Sie müssen Doktor Morton Conroy sein, der Mann mit dem vielen Geld! Ich erwartete Sie schon früher. Dachte bereits, Sie hätten es sich anders überlegt. Hatte Sie beinahe schon auf meiner Verlustliste.«

      »Doktor Conroy hat erst eingecheckt«, erklärte Nomi und lächelte etwas gequält.

      Haans Gesicht war von einer Hässlichkeit, die schon wieder anziehend wirkte. Das eisgraue Haar war straff zurückgekämmt und lag eng wie ein Helm am Kopf an. Wenn er lächelte, warf sein Gesicht unzählige kleine Falten.

      Haan wandte sich wieder Conroy zu.

      »Hoffentlich haben Sie keine Höhenangst, Kumpel! Die können Sie nicht brauchen, wenn wir in die Berge fliegen.«

      Conroy sagte: »Devlin versicherte mir, dass ich mich bei Ihnen in den denkbar besten Händen befinde.«

      »Da hat er nicht untertrieben«, erwiderte Haan selbstgefällig. »Allerdings bin ich dafür, dass Sie sich Ihr eigenes Urteil bilden. Warten Sie erstmal ab, man soll ja nicht vorschnell urteilen. – Setzen wir uns doch.«

      Auf der Terrasse waren unter einem Baldachin mehrere Korbsessel um einen kleinen Tisch gruppiert.

      Von der Terrasse aus erstreckte sich ein gepflegter Garten bis hinunter zum Fluss.

      »Toller Ausblick«, sagte Conroy bewundernd.

      »Am Abend ist's hier noch schöner«, nickte der Bergpilot, »wenn die Sonne hinter den Bergen untergeht. Aber entschuldigen Sie mich für einen Augenblick. Meine geliebte Lea ist für ein paar Wochen bei ihrem Stamm. Also muss ich mich eigenhändig um die Bewirtung meiner Gäste kümmern.«

      Als Haan wieder auftauchte, trug er in der Hand ein Tablett mit Gläsern und unter dem anderen Arm eine zusammengerollte Karte. Er stellte das Tablett auf den Tisch und setzte sich.

      Aus dem Haus drangen die Klänge einer Fanfare.

      »Jean-Baptiste Lully: Fanfares pour le Carrouzel de Monseigneur«, beantwortete Haan Conroys ungestellte Frage.

      »Eine einmalige Aufnahme des längst nicht mehr existenten Collegium Musicum de Paris«, bestätigte Nomi McIrnerny.

      »Sie sind Liebhaber barocker Fanfarenklänge?«, wunderte sich Conroy.

      »I wo«, versetzte der Pilot grinsend. »Pure Sentimentalität. Die Fanfare war das Angriffssignal unseres Staffelkommodores während unserer Einsätze. Ist meine einzige Erinnerung an den Schweinehund. Inzwischen habe ich mich an den Lärm gewöhnt...«

      Conroy kämpfte gegen ein Lachen an. Es gelang ihm nur mit Mühe. »Ich bin tief beeindruckt von Ihrer Loyalität.«

      Ray Haan schob sein Glas beiseite und entrollte die Karte.

      »Kommen wir zur Sache. Mister Devlin sagte, dass Sie schon mal in Tibet waren. Trifft das zu?«

      »Stimmt. Aber nur im Nordosten.«

      Conroy sah, wie sich eine kleine Falte über der Nasenwurzel des Piloten bildete. Sicher wusste er, wie heiß umkämpft die Region um die Uranfelder Rungmar Thoks gewesen war. Und dass sich vor allem westliche Elitetruppen dort im Einsatz gegen die Chikoms befunden hatten. Sicher überlegte er, was ein Ethnologe dort gesucht haben könnte. Doch dann entspannte sich seine Miene wieder.

      Conroy atmete unmerklich auf.

      Er hasste fadenscheinige Erklärungen über Sachverhalte, die eindeutig falsch waren.

      Außerdem mochte er den Mann auf Anhieb gut leiden, der jetzt erklärte: »Der Westen ist ganz anders. Das gesamte Territorium liegt in über fünftausend Meter Höhe. Überwiegend handelt es sich um ein unwirtliches, zerklüftetes Land, so wie es auf dem Mars vorherrscht.«

      »Sie sind sicher, dass Sie es schaffen, dort raufzukommen?«

      Haan zuckte die Schultern.

      »Warum auch nicht? Probieren geht über studieren, wie man bei uns zu Hause sagt. Sehen Sie her«, er deutete mit dem Finger auf die Karte. »Wir werden zunächst nach Thilen fliegen, einem Dorf in der Schlucht des oberen Indus. Liegt ungefähr dreitausend Meter


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