Sechs utopische Thriller. Conrad Shepherd

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Sechs utopische Thriller - Conrad Shepherd


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diskrete Hacker-Unterstützung hatte für derlei Überprüfungen längst Vorsorge getroffen...

      »Ich bin Ethnologe«, antwortete er, »und betreibe im Auftrag des Rimtec-Institutes ein paar Studien in Ihrem Land.«

      »Und wie lange gedenken Sie zu bleiben?«

      »Das hängt von meinem Sponsor ab, aber ich denke, so etwa zwei Wochen.«

      Der Beamte tippte auf der Tastatur des Lesegeräts.

      Mit leisem Klicken sprang die ID-Card Mortons aus dem Aufnahmeschlitz. »Ihre Aufenthaltsgenehmigung gilt für zwanzig Tage«, sagte der Beamte und reichte sie zurück. »Wenn Sie länger bleiben wollen, müssen Sie sie verlängern lassen.«

      »Schönen Dank«, erwiderte Conroy.

      Und schon war er durch.

      Die kreisförmig angeordneten Sitzgruppen links liegenlassend, bewegte er sich rund vierzig Schritte nach rechts zur Information. Lehnte sich gegen die niedrige Barriere, stellte die abgenutzte Reisetasche auf die polierte Theke und schlug mit den Fingern einen kleinen Wirbel.

      Die Angestellte wurde aufmerksam.

      »Mein Name ist Conroy«, sagte er. »Dr. Morton Conroy. Rimtec hat einen Schließfachschlüssel für mich hinterlegt. Richtig?«

      Die Nepalesin in ihrer farbenprächtigen Landestracht warf einen Blick auf Mortons Flugschein.

      »Das ist richtig, Sir.«

      Die Schließfächer befanden sich am anderen Ende des Gebäudes. In der Halle herrschte das übliche Tohuwabohu vor den Abflügen. Lautsprecherdurchsagen mischten sich mit dem babylonischen Sprachengewirr der wartenden Passagiere und den einzelnen Aufrufen zu den Starts planmäßiger Maschinen. Er benötigte zwei Minuten, bis er die Reihen der Schließfächer erreicht hatte.

      Unauffällig blickte er in die Runde.

      Auch jetzt verließ ihn die Vorsicht nicht.

      Ein untersetzter, breitschultriger Mann mit einer Stirnglatze und einem Mantel über dem Arm bewegte sich am Beginn der Reihe und schien ein freies Fach zu suchen.

      Etwas weiter bemühte sich eine junge nervöse Frau, eine Tasche von beträchtlichem Umfang in ein Schließfach zu stopfen und gleichzeitig auf drei kleine Gören aufzupassen, die ihr ständig davonliefen.

      In der anderen Richtung war niemand zu sehen.

      Morton öffnete das Fach, zu dem sein Schlüssel gehörte, und fand darin eine kleine, schwarze Reisetasche mit dem Aufdruck einer nicht existenten Fluggesellschaft. Die Tasche enthielt eine Ooni MDK, eine kompakte Waffe in einem Reeger-Gürtelholster. Der Lauf war mit einem daruntergesetzten Laserzielgeber versehen. Die Waffe arbeitete durch ein nanoprozessorgesteuertes Dämpfungssystem nahezu lautlos und zeigte keinerlei Mündungsfeuer. Alles Attribute, die in bestimmten Situationen von unschätzbarem Wert waren. Sie ließ sich vom Einzelschuss- in den Feuerstoß-Modus umschalten, wobei sie zwischen drei und sechs Kugeln ausstieß. Die miniaturisierten Hochgeschwindigkeitsprojektile durchschlugen mühelos Körperpanzer der Klasse III. Eine nahezu unschlagbare Waffe für den Nahkampf. Sie ließ sich außerdem mit mehreren Munitionsarten bestücken, darunter Brandsätze und Urankugeln gegen gepanzerte Roboter.

      Neben der Waffe lag noch ein etwas größerer Umschlag in der Tasche. Morton öffnete ihn und entnahm ihm ein Fax mit seiner Hotelreservierung, die für das »Maniloa International« galt. Kurz überlegte er, dann ließ er beides in der Tasche und stopfte diese in seine eigene, wesentlich größere Reisetasche.

      Zurückgekehrt zur Information, übergab er den Schlüssel der Angestellten und bedankte sich.

      »Keine Ursache Sir«, antwortete die Nepalesin. »Übrigens, Sir – Sie werden erwartet.«

      »Von wem?«

      »Dort drüben, Sir.«

      Morton warf einen Blick in die angegebene Richtung. Er vermutete, SY.N.D.I.C.s Kontaktmann in Schrinagar, Poul Devlin, zu sehen.

      Er irrte sich.

      Ein erfreulicher Irrtum, wie er feststellte.

      Es handelte sich um eine junge Frau.

      Sie saß in einer der mit weißem Kunstleder gepolsterten Fiberglasschalen unmittelbar neben dem Zeitschriftenkiosk und blätterte in einem Journal. Von ihrem Gesicht war nicht viel zu erkennen. Eine rote Haarflut entzog es Mortons Blicken.

      Er ging hinüber. Stand jetzt vor der jungen Frau. Für einen Moment überlegte er, wie er sich bemerkbar machen sollte. Dann sagte er übertrieben freundlich: »Verzeihung, Miss! Haben wir uns nicht schon mal gesehen?»

      Sie sah auf, musterte ihn schweigend und mit deutlich erkennbarer Zurückhaltung. Der Ausdruck in ihren grauen Augen tendierte zur Langeweile. Doch dann legte sie die Zeitschrift auf dem niedrigen Tisch ab und warf mit einer energischen Bewegung ihre Haare zurück; sie schimmerten im Licht der Halle wie poliertes Teakholz.

      »Guten Tag, Mr. Conroy!«, sagte sie mit heller, weicher Stimme. »Lassen Sie dieses alberne Getue! Selten habe ich eine geistlosere Parodie dieses abgeschmackten Witzes gehört.«

      »Bei der siebenundneunzigsten Sure«, entfuhr es Morton verblüfft. Seine Augen blitzten. »Sollte ich tatsächlich mal einer Frau mit Verstand begegnet sein?«

      Ihr Blick hätte das Wasser des Flusses Dschilam einfrieren können.

      »Mister!«, entgegnete sie scharf und akzentuiert. »Es entzieht sich meiner Kenntnis, in welcher Gesellschaft Sie sich für gewöhnlich bewegen. Ich möchte mich dazu auch nicht äußern. Nur dies: In den Kreisen, in denen ich meine Freunde suche und finde, benimmt man sich etwas höflicher einer Frau gegenüber. Falls Sie es noch nicht gemerkt haben: Sie verkehren hier unter zivilisierten Menschen.«

      »Mit Ihnen zur Seite?«, erkundigte er sich lächelnd.

      Sie stand auf. Ihre Figur war ohne Tadel; an genau den richtigen Stellen proportioniert, und das nicht zu wenig. Sie war ohne Zweifel das hübscheste Wesen, dem Morton seit langem begegnet war.

      »Es wird Ihnen nichts anderes übrigbleiben«, antwortete sie kühl. »Man hat mich zu Ihrem Chauffeur bestimmt. Zumindest so lange, bis ich Sie abgeliefert habe.«

      »Man...?«, dehnte Morton.

      »Mr. Poul Devlin. Der Manager von Rimtec – und mein Boss.«

      Morton Conroy nickte. »Wie umsichtig von ihm, Sie zu schicken. Sind Sie sicher, den Anforderungen einer Fahrt zu genügen?«

      Ihr Lächeln wurde um eine Spur herablassender.

      »Vertrauen Sie sich mir ruhig an. Ich kenne Schrinagar in- und auswendig. Bin ausgebildet in Kranken- und Säuglingspflege und verstehe mich auch darauf, einen Schraubenschlüssel richtig anzuwenden, falls es erforderlich sein sollte.«

      »Letzteres spricht für Sie. Mit wem habe ich das – unbestreitbar reizende – Vergnügen?«

      »Nomi McIrnerny. Ich bin Mister Devlins Assistentin.«

      »Das geschieht mir recht.« Morton spielte den Zerknirschten. »Verzeihen Sie mir?«

      »Wenn Sie damit meinen, ob ich Ihnen Ihre ungehörige Bemerkung über die weibliche Intelligenz verzeihe, ja.«

      »Ich werde es nicht wieder tun«, versprach er. »Unterhalten wir uns zur Abwechslung einmal vernünftig.«

      »Gerne. Worüber?«

      »Zum Beispiel: Hotel und Bett...«

      Sie runzelte die glatte Stirn.

      »Sie müssen wissen«, sprach Morton Conroy rasch weiter, »dass es mir miserabel geht. Gestern war ich noch in Aden. Heute schon hier. Der plötzliche Ortswechsel war zuviel. Ich fühle mich etwas indisponiert...«

      Sie stand schnell auf und griff nach seinem Arm, als befürchte sie, er könne


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