Sechs utopische Thriller. Conrad Shepherd
Читать онлайн книгу.dass mir schon die Ohren klingen.«
Conroy schwieg.
Er war sich sicher, dass Oberst Sheehy keine Antwort erwartete, sondern er würde gleich sagen: Kommen wir zum Wesentlichen, oder: Der Grund, weshalb ich Sie vom Mond geholt habe oder: Vermutlich fragen Sie sich, warum...«
»Um es auf den Punkt zu bringen«, sagte der Oberst. »Ab sofort befinden Sie sich wieder im aktiven Dienst, Oberleutnant Morton Conroy. Uneingeschränkt.« Er hob die Stimme ein wenig. »Gegeben und beschlossen heute, am einunddreißigsten August 2097, neun Uhr sechzehn, Ortszeit.« Das alles war für den Protokoll-Bot bestimmt, der Morton Conroys Wiedereinsetzung in seine militärischen Privilegien für dessen Datenbank registrierte und seinem ID-Chips nun jene Daten hinzufügte, die es ihm ermöglichten, bei untergeordneten Behörden jegliche Sperre zu überwinden und mit entsprechendem Nachdruck aufzutreten.
Das übliche Prozedere bei einem derartigen Wiedereinsetzungs-Verfahren.
Kurz und bündig.
Wie stets.
Fast genauso kurz und bündig, wie man ihn vor über einem Jahr auf den Mond geschickt hatte...
»Soll ich nun zum Wesentlichen kommen?«
»Verzeihung? – Oh, natürlich, Sir, ja.«
»Gut. – Ich möchte Sie mit Professor Coulson bekannt machen.«
Der alte Herr reichte Conroy lächelnd die Hand über den Tisch.
Conroy wusste jetzt endlich, warum es jene tagelange Unterbrechung gegeben hatte. Einer jener Unterbrechungen nämlich, die üblicherweise bei derlei Aktionen zwischen dem Zeitpunkt, wo sie ihm gesagt hatten, dass er jederzeit damit rechnen müsste, auf eine Mission geschickt zu werden, und demjenigen, wo er tatsächlich aufgefordert werden würde, seinen Arsch in Bewegung zu setzen, lagen. Schließlich lag ein tieferer Sinn hinter dieser Warterei. Sie hatte ihnen die Zeit gegeben, ihn zu beobachten, ihn zu überprüfen, sein Verhalten zu studieren, herauszufinden, ob er aus der Reihe tanzen, sich eventuell absetzen würde.
Sicher war sein Apartment total verwanzt gewesen, voller SpyCams. Und sicher hatten sie jedes Wort, jede Bewegung aufgezeichnet. Conroy grinste plötzlich bei der Vorstellung, wie sie sich mit roten Ohren und schweißfeuchten Händen die Szenen mit Kyra reingezogen hatten – diese Spanner.
Nun, Conroy hatte ihnen diesen Gefallen nicht getan, nämlich aus der Reihe zu tanzen.
Einmal, weil er diese Chance, rehabilitiert zu werden, um nichts auf der Welt hätte aufs Spiel setzen wollen. Und zum anderen, weil er ja wusste, dass es sich um eine große Sache handelte. Ansonsten hätten sie sich nicht die Mühe gemacht, ihn vom Mond zu holen.
Sie wollten etwas von ihm, was immer das auch war.
Sie wollten, dass er irgendetwas für sie erledigte.
Sie brauchten ihn.
Und sie brauchten ihn anscheinend schnell!
Deshalb verzichteten sie auf das sonst übliche Prozedere.
Und der Hauptgrund für diese Eile resultierte aus der Anwesenheit jenes Mannes, der sich in Gesellschaft des Obersten befand.
Als Professor Coulson war er von Sheehy vorgestellt worden. Er hätte auch sagen können: Zweisternegeneral Coulson. Denn obwohl er jetzt keine Uniform mehr trug, war er einmal ein sehr hohes Tier beim Militär gewesen, und nebenbei noch Professor der Astrophysik.
Conroy beobachtete ihn verstohlen. Seine Anwesenheit hier gab ihm Rätsel auf.
Der Professor lächelte unmerklich und sagte: »Kennen Sie das wahrscheinliche Szenario für den nächsten globalen Krieg, meine Herren?»
»Ich habe einige miterlebt, Sir.« Damit wollte Santana ausdrücken, dass er es nicht kannte. Und dass es eine ziemlich schwierige Frage war.
»Nun«, Coulson lächelte wieder, diesmal offener, »es ist eine Frage des gesunden Menschenverstandes, wenn man einen derartigen Ausdruck im Zusammenhang mit Krieg überhaupt verwenden kann. Außerdem waren die Kriege, in die Sie verwickelt waren, nicht mehr als Geplänkel, kleinere Scharmützel. Kein Vergleich zu dem, der uns in nicht allzuferner Zukunft erwarten wird.« Der Professor machte eine Pause, damit seine Worte wirken konnten, und Conroy sagte: »Ich habe keine speziellen Theorien über Krieg, ob nun mit oder ohne gesunden Menschenverstand. Krieg ist Krieg, und wir haben uns ihm zu stellen.«
»Eine sehr gefestigte Meinung, Herr Oberleutnant. Aber lassen Sie mich auf mein Thema zurückkommen. Der nächste Konflikt auf der Erde...«
»Immer vorausgesetzt, er findet statt«, unterbrach ihn Major Santana.
Stirnrunzelnd betrachtete ihn Professor Coulson ein paar Sekunden lang, ehe er meinte: »Er findet statt. Verlassen Sie sich darauf. Und es wird das biblische Armageddon sein, ein Weltenbrand, der die Menschheit hinwegfegt.«
»Übertreiben Sie da nicht ein wenig, Professor?«, warf Conroy ein.
»Keineswegs. Ich untertreibe eher. – In spätestens hundert Jahren wird der ökologische GAU die Erde zu einem Tollhaus machen. Werden neunzig Prozent der Menschheit vor dem Nichts stehen. Schon jetzt werden in den Netzwerken der Regierungsstaaten Simulationsszenarios durchgespielt, wie man den jeweiligen Rest der Weltbevölkerung in einem Offensivschlag nie gekannten Umfanges dezimieren könnte, um mit den verbleibenden Ressourcen der kollabierten Erde in der Tiefe des verseuchten und inzwischen vermutlich durch den radioaktiven und chemischen Fallout unbewohnbar gewordenen Planeten so lange überleben zu können, bis ein effizienter und schnell verfügbarer Weg gefunden wäre, in den Weltraum auszuwandern. Wie gesagt, noch sind es mögliche Szenarien.« Er wandte sich direkt an Conroy und fragte: »Was würden Sie als das augenblicklich brennendste globale Problem ansehen – die zur Neige gehenden Energievorräte auf der Erde?«
»Richtig, Professor.«
»Falsch, Herr Oberleutnant. Die Energieverknappung ist keine wirkliche, sondern eine Folge des wirtschaftlichen Gefälles zwischen den superreichen Staaten und den in Armut und Elend verharrenden Nationen. Nach dem letzten Zensus werden in den nächsten zwanzig Jahren schätzungsweise 900 Millionen Menschen in absoluter Armut leben, überwiegend in den unterentwickelten Ländern, wo auch sonst! Bereits heute leben nach FSA-Schätzungen 1,8 Milliarden Menschen weltweit von weniger als einem Credit am Tag. Trotz vieler globaler Kampagnen zur Armutsbekämpfung. Nein, nein. Es gibt de facto keine Energieverknappung auf der Erde, trotz der fehlenden fossilen Brennstoffe. Die Fusionsreaktortechnik ist längst ausgereift – nur eben für all die erwähnten Länder und Nationen nicht verfügbar, weil nicht bezahlbar! Weshalb sich an ihrem Elend auch nichts ändern wird. Heerscharen hungriger, durstiger oder frierender Bewohner der Problemzonen werden auch noch das letzte bisschen Grün abholzen und zu Nahrung und Brennmaterial verarbeiten. Die riesigen Slums der Megastädte stoßen schon jetzt mehr Schadstoffe in die Atmosphäre, als alle herkömmlichen Kraftwerke zusammen.
Und trotzdem ist das brennendste globale Problem nicht die Energiekrise. Die kommt erst an zweiter Stelle. An erster Stelle steht der Wettlauf in der Raumforschung.«
»Professor Coulson ist Vorsitzender des FSA-Raumforschungsprogramms«, erklärte Oberst Sheehy und übernahm die Initiative, »und war im Auswahlgremium von Basis Alpha. Er ist mit einer äußerst brisanten Information an uns herangetreten. Aber darüber später mehr. Wie gesagt, der Wettlauf in der Raumforschung beherrscht die Regierungen der Welt. Und die Tatsache, dass wir eine Mondkolonie unterhalten und unsere Fühler bereits nach den äußeren Asteroidengürteln ausstrecken, bereitet unseren Freunden vom Eurasischen Commonwealth unter Zar Phönix Fjodor Zakitin I. einige Sorgen. Wir holen ihren Vorsprung auf, den sie mit der Errichtung der Marskolonie besitzen, und sie wissen es.«
»Können sie denn etwas dagegen tun?«
Oberst Sheehy nickte. »Ja, es zeichnete sich da eine Möglichkeit ab, an der sie schon verdammt lange arbeiten. Aber darum geht es eigentlich nicht. Worum es wirklich geht, das kann Ihnen Professor Coulson besser erklären. Er ist schließlich