Sechs utopische Thriller. Conrad Shepherd
Читать онлайн книгу.keuchend gegenüber.
Conroy machte schmale Augen, als er sah, wer da im zuckenden Schein der Kollisionsbefeuerung vor ihm stand. Der Angreifer war mindestens so groß wie er und unglaublich muskulös. Das glatte Gesicht wirkte auf eine obszöne Art nackt, bis Conroy bemerkte, dass der Mann keine Augenbrauen besaß. Zu weiteren Überlegungen ließ ihm sein Gegner keine Zeit.
Mit einem Schnauben warf er sich auf ihn, die Faust vorgestreckt wie ein Rammbock.
Conroy glitt zur Seite, machte eine halbe Körperdrehung, weg vom Gegner, und holte aus. Wie eine Schwertklinge schnitt seine Linke durch die Luft und schlug auf den rechten Unterarm des heimtückischen Angreifers. Dessen Schraubstockfinger packten jedoch Mortons Handgelenk, wobei er sich gleichzeitig auf ein Knie fallen ließ und dabei um seine Körperachse drehte. Der Abwehrgriff ließ Conroy über das Dach fliegen. Einer der Plattformpylone stand im Weg. Morton fing sich mit den Händen ab, wartete einen Herzschlag lang und duckte sich dann blitzschnell.
Die Faust des Angreifers, die auf sein Genick zielte, rammte gegen die Säule und brachte sie dumpf zum Erklingen, unter das sich das splitternde Geräusch des brechenden Handknochens mischte.
Der Mann schrie auf.
Eine Mischung aus Überraschung, heißer Wut und Schmerz. Das erste wirklich laute Geräusch auf dem Dach des Maniloa International. Trotz aller Erbitterung hatte sich der nächtliche Kampf nahezu lautlos abgespielt.
Die linke Hand des Mannes griff unter die Achsel, fand die schwere Waffe und riß sie hervor.
Doch da stand Conroy bereits neben ihm und schlug zu. Die Handkante traf die Halsschlagader und fällte den Mann endgültig.
Conroy atmete tief ein und aus. Seine Lungen brannten.
»Verdammt!«, stieß er hervor und tastete seinen Körper ab; es schien alles heil zu sein. Er betrachtete den reglosen Körper zu seinen Füßen. Schließlich bückte er sich, krallte seine Hände in den Stoff und zerrte den Mann hoch; er war schwer wie ein Bulle. Er lehnte ihn gegen die niedrige Brüstung der Dachbegrenzung und schlug ihm mit der flachen Hand mehrmals ins Gesicht. Als der Mann einigermaßen wieder bei Besinnung war, preßte ihm Conroy die Mündung der eigenen Waffe unters Kinn.
»Rede!«, herrschte er ihn an. »Weshalb dieser Überfall?«
»Geh zu Hölle«, würgte der Kerl hervor und wischte sich über die Lippen.
»Komm, spuck's schon aus!«
»Ich...«
Zwei Dinge geschahen nahezu zeitgleich, eigentlich sogar drei.
Das Knacken eines Sicherungsflügels klang wie eine kleine Detonation durch die Nacht, eine Feuerzunge löste sich von der Dachlandeplattform – und einer der Fahrstuhltüren zum Dachausgang öffnete sich. Grelles Licht schuf eine scharf begrenzte Bahn, in der sich die Schatten von Personen abzeichneten. Der Schuss war nur ein halblautes Zischen – schallgedämpft! durchzuckte es Conroy – das ebensogut vom Wind verursacht sein konnte. Die Hohlkörperkugel der AutoMag fetzte an der Stelle in den Dachbelag, wo Conroy sich Sekundenbruchteile vorher noch befunden hatte.
Er hatte sich beim schon beim Geräusch des Sicherungsflügels zur Seite geworfen, lag jetzt mit dem Gesicht nach unten und die Arme schützend über den Kopf gelegt unter der Plattform. Von oben nicht sichtbar, und auch den Blicken der Männer und Frauen verborgen, die, laut und aufgekratzt sich unterhaltend und nichts von dem Schuss mitbekommend, die wenigen Stufen zum Dachlandeplatz enterten.
Die Zeit schien den Atem anzuhalten.
Dann heulte das Startgeräusch mehrere Hover gleichzeitig über die Plattform. Die Hubrotoren pfiffen und sirrten. Unmittelbar darauf erhob sich der ganze Pulk wie ein Schwarm aufgeschreckter Sperlinge in die Luft und schwang sich hinaus in die Nacht.
Conroy erhob sich auf die Knie, warf einen schnellen Blick um sich, konnte niemanden erkennen, auch nicht den Angreifer. Die Stelle, an der er vor wenigen Sekunden noch gelegen hatte, war leer!
Conroy lief zum Plattformrand, sprang hoch, hielt sich mit beiden Händen fest und zog sich langsam über die Kante; die Fläche vor ihm war ebenfalls leer. Also hatte sich der Schütze mitsamt seinem Kumpel aus dem Staub gemacht! Im Schutz der anderen startenden Fluggeräte, deren Insassen sicher nichts anderes in ihm gesehen hatten als einen weiteren Hotelgast.
Conroy ließ sich auf den Beton herab.
Er klopfte vorsichtig Staub und Dreck von seiner Kleidung; sein Körper bestand zur Zeit nur aus Schmerzen, die glühende Pfeile an seine Nerven schickten. Nach zwei, drei Minuten hatte er sich soweit erholt, dass er seine nächsten Schritte überdenken konnte. Er ging die Treppe hinab zum einundzwanzigsten Stockwerk. Er fluchte lautlos; auch der Kerl, dem er das Knie gebrochen hatte, war verschwunden!
Conroy saugte überlegend an seinen Zähnen, eine ganze Weile lang. Dann zuckte er die Schultern und ging in sein Apartment.
Diesmal fing ihn niemand ab, als er die Tür aufschloss, auch kein Polizist. Als er eintrat, wich er unwillkürlich zur Seite aus. Dann grinste er und kam sich ein bisschen albern vor.
Es lag auch kein fremder Geruch in der Luft. Er fühlte, wie die Spannung in ihm nachließ. Nachdenklich rieb er sich eine juckende Stelle hinter dem Ohr und stöhnte unterdrückt auf. Der plötzliche Schmerz trieb ihm Schweiß auf die Stirn.
Er ging ins Bad und zerrte die Kleider herunter. Als er sich vor den wandhohen Spiegel stellte, sah er die Spuren des Kampfes gegen Sorich und dessen Handlanger. Stirnrunzelnd betastete er die rot und blau unterlaufenen Stellen seines Körpers. Dann drehte er die Hähne auf. Mit geschlossenen Augen ließ er sich vom heißen Wasser überströmen, duschte eine Weile abwechselnd heiß und kalt. Schließlich bewegte er den Kaltwasserhahn bis zum Anschlag. Erst als er unter den eisigen Strahlen zu zittern begann, drehte er ab und stellte sich vor den Trockner. Auf die Dienste des mechanischen Masseurs verzichtete er wohlweislich.
Kurz darauf hockte er im kurzen weißen Bademantel aus der Wäschekammer des Hotels auf dem Bett. In der einen Hand ein Glas Whisky, in der anderen eine Zigarette und analysierte die Geschehnisse der letzten Stunden.
Was lief hier ab?
Das Handgemenge im Getto konnte er noch einordnen: Er war ohne sein Zutun in einen Konflikt zwischen Skorrow und Syndikatsleute geraten. Der Mord an Skorrow warf nur ein Licht auf die Brutalität und Gründlichkeit, mit der das hiesige Syndikat operierte. Er verriet weiter, dass kein Pardon gegeben wurde bei diesen Auseinandersetzungen, in die Conroy unbeabsichtigt geraten war. Skorrow war auf keinen Fall umgebracht worden, weil er, Conroy, Verbindung mit ihm aufgenommen hatte.
Schade nur, dass sie nun keine Kenntnis mehr darüber erlangen konnten, wie aufschlussreich Skorrows Informationen über Basis Alpha für die FSA wirklich gewesen wären.
Andererseits erhob sich die Frage, wer der Unbekannte war, der offensichtlich jeden seiner Schritte verfolgte und ihm die Polizei auf den Hals gehetzt hatte. Das führte unweigerlich zu einer weiteren Frage: Wer wusste über ihn Bescheid? Welche Maschinerie hatte er seit seiner Ankunft in Schrinagar in Gang gesetzt? Zu viele Ungereimtheiten. Zu viele unbeantwortete Fragen. Und es bedeutete, dass die bevorstehende Aufgabe sogar für ihn nicht einfach war. Nicht dass er das erwartet hatte. Eigentlich rechnete er überhaupt nicht damit, dass sich ein Auftrag als einfach, angenehm oder gar ungefährlich erweisen würde.
Conroy starrte in sein längst leergewordenes Glas.
Im Zimmer war es kühler geworden.
Die Balkontür stand offen. Ein frischer Luftzug bewegte die Vorhänge. Erste Geräusche des neuen Tages drangen herauf: Motorenlärm, vereinzelte Rufe vom Fluss, Gongschläge aus einem nahegelegenen Tempel. Das charakteristische Surren einer Gubgubi-Trommel, die die ersten Gläubigen zum Gebet rief.
Er musste SY.N.D.I.C. von seinem Fehlschlag beim Kontakt mit Skorrow in Kenntnis setzen, und davon, dass es offenbar jemanden gab, der jeden seiner Schritte verfolgte.
Er merkte, dass sein linker Arm eingeschlafen war. Er bewegte