Sechs utopische Thriller. Conrad Shepherd
Читать онлайн книгу.Seine Stirn lief dunkel an. An der rechten Schläfe zeigte sich überdeutlich eine dicke, pulsierende Ader. Er öffnete den Mund, schloß ihn aber wieder. Ohne etwas zu sagen, beugte er sich nach vorn und langte nach dem Bildtelefon.
Der Schein der aufleuchtenden Bildscheibe illuminierte sein Gesicht.
»Schaffen Sie mir eine Verbindung mit folgendem Anschluss...!» rief er. »Wie? Woher soll ich das wissen?«
Einige Male wechselte das Licht auf Hojas Gesicht, während die Vermittlung im Präsidium die Verbindung herstellte. Als er endlich Nomi McIrnerny auf dem Display hatte, sagte er: »Ma'am! Entschuldigen Sie die späte Störung. Aber Sie könnten wesentlich zur Klärung eines Tatbestandes beitragen...«
Conroy verstand nichts von dem, was Nomi sagte. Aber am Gesicht des Polizeioffiziers erkannte er, dass sich Nomi an das hielt, was er mit ihr vereinbart hatte.
Wenn Hoja enttäuscht war, so verbarg er es meisterlich. Nur seine Augenbrauen sträubten sich, als er sagte: »Wie war das noch einmal?... Und Sie irren sich nicht, Ma'am? So, so... na gut!«
Er legte auf, hob den Blick und musterte Morton Conroy eine Weile schweigend. Schließlich sagte er: »Fürs erste sieht es aus, als hätten Sie die Wahrheit gesagt.«
»Meine Rede«, erwiderte Conroy.
»Geben Sie sich keiner falschen Hoffnung hin, Mr. Conroy. Wir werden Sie nicht aus den Augen verlieren. – Worauf warten Sie noch? Verschwinden Sie!«
*
Gegen zwei Uhr morgens kehrte Conroy zum Hotel zurück. In der Lobby war es ruhig; der Portier hinter der Rezeption ging irgendwelchen Tätigkeiten nach und blickte nur kurz hoch, als Conroy vorbeiging. In der Tanzbar herrschte nach wie vor lebhafter Betrieb. Die Party schien kein Ende nehmen zu wollen. Farbiges, stroboskopisches Licht fiel aus den weit offenstehenden Flügeltüren, die Klänge exotischer Musik drangen heraus. Conroy blinzelte bei dem Anblick. Für Sekundenbruchteile begriff er nicht, wo er sich aufhielt. Er hatte das Gefühl, an einem Ort zu sein, der aus der Geschichte herausgelöst war und sich ebensogut auf einem fremden Planeten befinden konnte. Dann war der Spuk vorbei; er atmete tief ein. Zum Teufel damit.
Kopfschüttelnd verschwand er im Lift und verließ ihn eine halbe Minute später und einundzwanzig Stockwerke höher. Seine Schritte waren auf dem Kunstfaserbelag unhörbar.
Gleich darauf war er vor der Tür seines Apartments angelangt.
Sie waren von oben gekommen. Mit einem Hoverjet. Über die Dachplattform. Und dann die restlichen paar Etagen die Treppe herunter. Der eine sicherte den Fluchtweg weiter oben, der andere näherte sich ihm nahezu unhörbar. Er hatte die Hälfte des Korridors durchquert. Lautlos schlich er näher...
Conroy schob die Chipkarte ins Schloss.
Der Mann hinter ihm hob den Arm...
Während Conroy auf das Öffnen der Tür wartete, erahnte er am Rande seines Gesichtsfeldes das Zucken einer Bewegung.
Er reagierte in der Zeitspanne eines Wimpernschlages und ließ sich fallen. Der Schlag wischte an seiner Wange vorbei, und ein heftiger Schmerz flammte in seiner Schulter auf.
Er rollte weg und stieß sich von der Wand in Richtung seines Angreifers ab, eine ausschließlich reflexartige Reaktion. Der Mann war ihm unbekannt, ein kräftiger, untersetzter Bursche mit einem kurzen Knüppel in der Hand. Conroys Aktion überraschte ihn völlig, er verlor das Gleichgewicht, flog über den Flur, krachte voll gegen die Korridorwand und sprang wieder auf die Füße. Sein Fehler – er hätte lieber abhauen sollen, wie jeder anderer vernünftige Mensch.
Conroy war zu diesem Zeitpunkt schon längst wieder auf den Beinen. Unter den gegebenen Umständen war er sehr schnell. Sein Fuß peitschte aus und traf den Angreifer seitlich am Knie; das Geräusch der brechenden Knochen hallte unnatürlich laut durch die Stille.
Conroy hörte nur das Ächzen ausgestoßener Luft, als sich sein Angreifer mit vom Schmerz gezeichnetem Gesicht umdrehte; Conroy ließ ihm keine Chance zu einem weiteren Angriff; er drosch ihm die stahlharten Fingerknöchel seiner Linken gegen die Schläfe.
Sein Gegner wurde augenblicklich besinnungslos und sackte zusammen wie eine Marionette, der man die Fäden abgeschnitten hatte. Zu diesem Zeitpunkt hetzte Conroy bereits die Treppe zum Dach hinauf, wohin der zweite Mann sich verabschiedet hatte, nachdem er erkannt haben musste, dass seinem Partner kein Erfolg beschieden war.
Er hatte fast die oberste Etage erreicht, als er ein Geräusch hörte: Jemand hatte den Durchgang zur Dachplattform geöffnet.
Sekunden später erreichte er die breite Tür, die ins Freie hinausführte. Sie war offen. Er wartete sekundenlang mit angehaltenem Atem, dann glitt er vorsichtig durch die Öffnung und sofort zur Seite. Bruchteile eines Augenblicks brauchte er, um sich zu orientieren. Vor ihm lag das Flachdach, unterbrochen nur von der erhöhten Landeplattform auf ihrer Stützkonstruktion, den Liftausgängen sowie den Kaminen der Geothermik, mit denen das Hotel klimatisiert wurde. Die Antikollisons-Warnlampen an den Eckpylonen spendeten mattes Licht, außerdem war die Plattformbeleuchtung in Betrieb.
Auf der Plattform selbst standen ein paar Fluggeräte, offenbar gehörten sie Gästen der Bar. Ansonsten war das Dach leer, soweit Conroy erkennen konnte, bot aber genügend dunkle Ecken für jemanden, der sich verbergen wollte.
Wo war der zweite Mann? Conroy erlaubte sich die kurze Überlegung. Dann huschte er gebückt über die mondbeschienene freie Fläche. Er bewegte sich so schnell wie möglich und jede erdenkliche Deckung ausnutzend, mochte sie noch so unbedeutend erscheinen. Schließlich tauchte er in das Dunkel unterhalb der mannshohen Leichtstahlstützen der Landeplattform ein, jede Sekunde darauf wartend, dass von irgendwoher ein Schuss auf ihn abgefeuert wurde. Doch nichts dergleichen geschah.
Die Nacht war kühl; ein lauer Wind strich über die Dachfläche und erzeugte surrende Geräusche an Ecken und Vorsprüngen. Dann mischte sich in diese Geräusche ein anderer, raschelnder Ton. Es kam von links, nahe der Brüstung, hinter der es senkrecht hundert Meter in die Tiefe ging. Conroy fuhr herum – seine Hand glitt zum Holster, doch da war keine Waffe, Mist! – aber es waren nur ein paar wirbelnde Blätter, die von den aufsteigenden Thermikwinden nach oben getragen worden waren und... er übersah den Schatten und überhörte das Geräusch.
Eine dunkle Gestalt trat blitzschnell wie ein Schemen hinter einer der Plattformsäulen hervor, riss Conroys linken Arm nach hinten und oben und schlug ihm gleichzeitig wuchtig mit einer eisenharten Handkante gegen die Halsschlagader. Der Hieb hätte einem weniger vorbereiteten Mann sicher die Halswirbel gebrochen. Doch Conroys antrainierte Reflexe und sein gedankenschnelles Reagieren vereitelten dieses Vorhaben. Er zog die rechte Schulter hoch, trat nach hinten aus. Traf etwas und registrierte befriedigt das unterdrückte Grunzen in seinem Rücken.
Unmittelbar darauf drosch ihm der Angreifer eine Faust zwischen die Schulterblätter. Der Schlag war einer von denen, die einem das Rückgrat brechen konnten.
Conroy stolperte nach vorn. Versuchte, sein Gleichgewicht zurückzugewinnen. Steckte einen zweiten Hieb ein, der ihn von den Füßen riss. Er fiel mit dem Gesicht auf den nach Hydraulikflüssigkeit und Kerosin stinkenden Dachbelag. Aus den Augenwinkeln sah er einen Stiefel auf sich zukommen und wich zur Seite hin aus. Er rollte weiter, richtete sich halb auf. Im Hocken schoss er einen Vorwärtstritt auf die Gestalt ab, die ihm auf den Fersen blieb. Der Spann traf aber nur die Außenseite des Unterschenkels. Conroy selbst musste einen Tritt in den Solarplexus einstecken, der ihm die Luft nahm. Keuchend krümmte er sich zusammen, würgte, streckte die Hände aus und grub die gespreizten Finger wie Dolche in die Weichteile seines Gegners. Eine Hand wischte durch die Luft und traf ihn an der Schläfe. Funken sprühten scheinbar vor seinen Augen. Sein Versuch, sich aufzurichten, wurde von einem weiteren Tritt zunichte gemacht. Doch Conroys Reaktionen, in hartem Training geübt und bei vielen Kampfeinsätzen zur Vollendung gebracht, verhinderten Schlimmeres. Er rollte sich hin und her, um dem Fußtritt seines Angreifers zu entgehen. Im Zurückrollen packte er das Standbein